Ahrensburg/Reinbek. Viele Fälle von Missbrauch werden nicht oder zu spät erkannt. Experten des Kreises informieren Lehrer über ein Schutzkonzept.

In jeder Schulklasse sitzen im Schnitt ein bis zwei Kinder, die sexuell missbraucht wurden. An sieben Erwachsene muss sich ein Opfer wenden, um Hilfe zu bekommen. Das ist das erschreckende Ergebnis einer Studie des Bundesbeauftragten für Fragen sexuellen Kindesmissbrauchs, Johannes-Wilhelm Rörig. Der Kreis Stormarn stellt Schulen ab sofort ein Kooperationsteam aus Fachkräften zur Seite, das den Pädagogen helfen soll, Missbrauch frühzeitig zu erkennen und im Fall der Fälle die richtigen Schritte einzuleiten. Bei der Auftaktveranstaltung heute im Reinbeker Schloss werden Vertreter etwa eines Drittels der Stormarner Schulen erwartet.

Institut informiert Schulen über Präventionsprojekt

Übt Kritik an der Politik: Ursula Schele vom PETZE-Institut
Übt Kritik an der Politik: Ursula Schele vom PETZE-Institut © Bente Stachowske

In rund drei Jahren sollen alle Schulen solch ein Konzept umgesetzt haben. Die Initiative geht auf die Ergebnisse der Studie und der dringenden Forderung des Bundesbeauftragten Rörig zurück. Stormarns Landrat Henning Görtz hat die Schirmherrschaft für das Projekt „Gemeinsam gegen sexuelle Gewalt im Kreis Stormarn – Schutzkonzepte an Schulen“ übernommen. Er sagt auf Abendblatt-Anfrage: „Sexuelle Gewalt gegen Kinder passiert in allen Ebenen der Gesellschaft und ist für viele noch ein Tabuthema. Alles, was getan werden kann, muss getan werden, um Missbrauch zu verhindern. Da sind wir als Gesellschaft salle gefordert.“

Bevor sich die Vertreter der Schulen in Arbeitsgruppen aufteilen, informiert die Geschäftsführerin des PETZE-Instituts für Gewaltprävention in Kiel, Ursula Schele, über das Vorgehen und die neun Module eines solchen Projektes. Für jedes Element bietet das Kooperationsteam nach der Veranstaltung je zwei Ansprechpartner zur Unterstützung. Wie viele Kinder in Stormarn jährlich Opfer sexueller Übergriffe werden, darüber konnte die Staatsanwaltschaft in Lübeck kurzfristig keine Auskunft geben.

Auf finanzielle Unterstützung können Schulen nicht zählen

„Wenn wir nur einen Missbrauch mit dieser Veranstaltung unterbrechen, dann ist das für mich ein Erfolg“, sagt Claudia Rönsch-Marcinek vom Fachdienst Soziale Dienste in Bad Oldesloe. „Ziel ist, dass alle Schulen ein Konzept haben. Dafür brauchen sie Unterstützung. Dies bedeutet einen Organisationsentwicklungsprozess“, sagt Petra Linzbach, Stormarns Kinder- und Jugendschutzbeauftragte. „Das Thema muss von den Schulleitungen vorangetrieben und die Lehrer beteiligt werden.“

Anja Deloch vom Verein Frauen helfen Frauen sagt: „Alle Teilnehmenden sollen die Veranstaltung in der festen Überzeugung der Notwendigkeit von Schutzkonzepten verlassen.“ Für jedes der neun Module stehe Beratung zur Verfügung. Aber, so Deloch: „Es muss der Initiative politisch etwas folgen, personelle Ressourcen und Geld.“

Doch eine gesetzlich verankerte Verpflichtung zu solchen Konzepten gibt es in Schleswig-Holstein im Unterschied zu Bundesländern wie Hessen nicht. Auch mit einer zusätzlichen finanziellen Unterstützung können die Schulen nicht rechnen. Dies kritisiert Ursula Schele von PETZE: „Wir fordern seit Jahren Geld für Schutzkonzepte. Sie entstehen bislang nur dort, wo massive Fälle aufgetreten sind. Also, wenn es zu spät ist.“

Schulen sollen zu Kompetenzorten werden

Karin Prien (CDU), Schleswig-Holsteins Bildungsministerin, sagt: „Die Schulen haben grundsätzlich den gesetzlichen Auftrag, effektiven Kinderschutz sicherzustellen.“
Karin Prien (CDU), Schleswig-Holsteins Bildungsministerin, sagt: „Die Schulen haben grundsätzlich den gesetzlichen Auftrag, effektiven Kinderschutz sicherzustellen.“ © Frank Peter

Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin Karin Prien (CDU) kontert: Schutz gegen sexuelle Gewalt sei an den Schulen im Land ein Bestandteil pädagogischer Präventionskonzepte. Das Institut für Qualitätsentwicklung in Schleswig-Holstein (IQSH) biete Veranstaltungen an. Zudem unterstützten externe Kooperationspartner wie zum Beispiel die PETZE, die schon lange eine Landesförderung erhalte, pro familia, Kinderschutzzentren, der Wendepunkt und andere. Die Ministerin räumt jedoch auf Abendblatt-Anfrage ein: „Wir werden im Lichte des Berichtes prüfen, ob zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind.“ Die Forderung des Stormarner Expertenteams: Schulen sollten zu Kompetenzorten werden und für die Kinder Ansprechpartner sein.

Dazu gehört zu vorderst, dass der Blick der Lehrer geschult wird, um Missbrauch zu erkennen. Dann braucht es kontinuierliche Fortbildungen und Personalverantwortliche. „Vieles ist schon vorhanden“, ermutigt Ursula Schele. Projekttage, Theater oder Fortbildungen zu sexueller Gewalt gebe es bereits an vielen Schulen in Stormarn. Auch gebe es in den Schulen einen gelben Ordner mit einem Notfallplan.

Überdies hat jeder Lehrer oder Sozialarbeiter das Recht auf eine zeitnahe Beratung in solch einem Fall. Ursula Schele sagt abschließend: „Wenn man ein gutes Schutzkonzept hat, gilt dies auch für andere Fälle von Kindeswohlgefährdung.“

Mit diesen Themen geht das Team an den Start: Schulleiter und Sozialarbeiter sind heute eingeladen in das Schloss Reinbek (Schlossstraße 5) von 13.30 Uhr bis etwa 17.15 Uhr. Dort berät das Kooperationsteam „Schutzkonzepte an Schulen“. Mitglieder sind: Frauen Stormarn e.V., Jugendarbeitsteam der Stadt Bargteheide, Kreis Stormarn, Fachdienst Soziale Dienste, Fachberatung gegen sexuelle Gewalt, Fachdienst Familie und Schule, Kinder und Jugendschutz, Kreisfachberatung Sucht und Gewaltprävention. Sie geben Einblick in die Elemente: Leitbild, Interventionsplan, Kooperation, Personalverantwortung, Fortbildung, Verhaltenskodex, Partizipation, Präventionsangebote, Ansprechstellen und Beschwerdestrukturen.