Ahrensburg. Am Sonntag ist Weltfrauentag. Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn lud Frauen verschiedener Generationen zur Diskussion ein.
Es war die deutsche Sozialistin Clara Zetkin, die im Jahre 1910 den Weltfrauentag im Kampf um Frauenrechte und Gleichberechtigung ins Leben rief. Sie setzte sich für das Wahlrecht für Frauen und die Emanzipation von Arbeiterinnen ein. Seit 1921 wird der Tag jedes Jahr am 8. März gefeiert und schärft das Bewusstsein für Gleichstellung. Was hat sich seitdem verändert, wie stellt sich die Situation aus Sicht von Frauen heute dar? Das Abendblatt hat sechs Stormarnerinnen verschiedener Generationen zum Austausch über das Thema Gleichberechtigung eingeladen. Hat sie befragt, wie es heute steht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, um Frauen in Führungspositionen. Und sie stellten sich der Diskussion: Friedericke Wrohn, Klimaschutzaktivistin und Schülerin, Cathrice Stadler, Sozialpädagogin und Mitarbeiterin des Kreisjugendrings. Ferner die selbstständige Motivationstrainerin Heike Löwensen und Heike Grote-Seifert, Chefin der Agentur für Arbeit in Bad Oldesloe. Auch Westeraus Bürgermeisterin Petra Jürß und Jule Lehmann, Klimaschutzbeauftragte in Ahrensburg, waren mit von der Partie.
Braucht Deutschland im Jahr 2020 noch Feminismus?
Friederike Wrohn Wenn Feminismus bedeutet, gegen Männer zu sein, kann ich das nicht gut heißen. Was wir brauchen, sind Aktivisten, die dafür sorgen, dass Frauen mehr gesehen und unterstützt werden, um Gleichberechtigung zu schaffen. Denn in der Berufswelt ist diese noch nicht angekommen.
Heike Grote-Seifert Wir sind noch nicht da, wo wir hin möchten. Wir müssen das Bewusstsein dafür vorantreiben, dass das Geschlecht uns in der Arbeitswelt beeinflussen kann, zum Beispiel bei Neueinstellungen. Bei der Frage, wen suche ich für die Stelle, orientiert man sich immer auch daran, wie man selbst ist. Da kann die Wahl eines Mannes auch eher auf einen Mann fallen.
Wie viel hat die innere Haltung mit tatsächlich gelebter Gleichberechtigung zu tun?
Jule Lehmann Selbstbewusstes Auftreten trägt dazu bei, wie andere Frauen wahrnehmen. Da müssen wir ansetzen.
Heike Löwensen Wir Frauen verstecken uns noch zu viel. Wer soll an uns glauben, wenn wir selbst es nicht tun? Um gelebte Gleichberechtigung zu erreichen, brauchen Frauen ein klares Ziel. Brauchen Rückgrat, Selbstvertrauen, Mut und einen emanzipierten Partner, der sie unterstützt.
Petra Jürß Jeder Mann in einer Führungsposition hat einen Lebenspartner im Hintergrund, der ihn unterstützt. Aber das würde dieser Mann nie betonen. Umgekehrt sprechen wir Frauen sofort von dem unterstützenden Partner als etwas Besonderes. Bei echter Gleichberechtigung ist die gegenseitige Unterstützung selbstverständlich.
Grote-Seifert Es ist eine Frage der Einstellung, bei beiden Geschlechtern. Nicht alle Mütter wollen weiterarbeiten und nicht alle Väter weigern sich, sich zu gleichen Teilen um die Kinder zu kümmern. Häufig folgen wir immer noch dem Klischee: Die Frau bleibt zuhause.
Was können Arbeitgeber dazu beitragen, diese Klischees aufzubrechen?
Grote-Seifert Sie können Männer länger in Elternzeit gehen lassen, Dienstbesprechungen vor 17 Uhr ansetzen und insgesamt von der Präsenzkultur mehr Abschied nehmen. Dazu gehört auch die Akzeptanz von mobilem Arbeiten. Vor dem Hintergrund geringer Arbeitslosigkeit und fehlender Fachkräfte tun Arbeitgeber dies auch immer mehr.
2019 verdienten Männer im Durchschnitt 6,4 Prozent mehr als Frauen. Dieser Wert konnte nicht mit lohnrelevanten Merkmalen erklärt werden. Im Ländervergleich schneidet Deutschland damit schlecht ab. Wie viel Gleichberechtigung herrscht auf dem Arbeitsmarkt?
Grote-Seifert Das Berufswahlverhalten von Frauen führt noch immer dazu, dass sie in Berufe gehen, die schlechter bezahlt sind, wie zum Beispiel Pflegerinnen oder Erzieherinnen. Meist streben Frauen auch nicht nach einer Führungsposition. Es wäre gut für die Gleichberechtigung, wenn wir weniger eindimensional denken würden. Junge Frauen kehren heute zwar schnell aus der Elternzeit zurück, aber oft nur in Teilzeit. Das macht Karriere schwieriger. Und nicht nur das. Wenn Frauen aus den genannten Gründen weniger verdienen, fallen auch die Rentenbeträge geringer aus.
Jürß Die schlechte Bezahlung ist auch ein Grund für die geringe Anzahl an männlichen Erziehern und Grundschullehrern. Um mehr Männer für diese Branche zu begeistern, müssten die Löhne erhöht werden.
Löwensen Wenn Männer und Frauen den gleichen Job haben, aber die Frau dabei schlechter bezahlt wird, liegt das oft auch am mangelnden Selbstbewusstsein der Frauen. Sie trauen sich weniger zu und fordern entsprechend weniger ein. Wir sollten uns fragen: Wollen wir nicht etwas männlicher denken und in diesem Zuge auch an Mut und Selbstbewusstsein gewinnen?
Cathrice Stadler Und zwar frühzeitig! Die Rollenverteilung wird schon im Grundschulalter vergeben. Befragt danach, in welcher Rolle sie sich sehen, sagen Jungs: Ich bin stark, ich verdiene das Geld und sorge so für die Familie. Die Mädchen, darunter auch Muslime, wünschen sich: Ich will so sein können, wie ich möchte. Nicht geschlagen und von meinem Mann geliebt werden. Wir müssen die Mädchen theoretisch schon ab dem Tag ihrer Geburt stärken.
Ist Gleichberechtigung also auch eine Frage der Erziehung?
Wrohn In der Erziehung müssen Mädchen gestärkt werden. Jungs müssen lernen, dass auch Mädchen stärker sein können. Ihnen muss dafür eine gewisse Akzeptanz und Toleranz anerzogen werden. Denn wenn da eine starke Frau ist, aber keine akzeptierenden Männer, kann nicht für Gleichgewicht gesorgt werden.
Löwensen: Es gibt diese Geschichte, in der ein Babyelefant an einem kleinen Pfahl angebunden wurde, von dem er nicht los konnte. Als er älter und größer wurde, stand er immer noch da. Denn er hatte als Kind die Erfahrung gemacht, dass er sich nicht befreien kann. So ist das auch mit der Gleichberechtigung in der Erziehung. Bringe ich meiner Tochter nur eindimensionales Denken bei, wird sie dem vermutlich auch als Erwachsene folgen.
Grote-Seifert Bestimmte Verhaltensweisen liegen nicht an der Erziehung. Alles darauf zu reduzieren, wäre zu kurz gesprungen.
Der durchschnittliche Frauenanteil in Führungspositionen beträgt hierzulande weniger als ein Drittel. Woran liegt das?
Grote-Seifert Gründe sind unsere Haltung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ebenso wie fehlende Unterstützung vom Umfeld. Aber wir werben verstärkt für weibliche Führungspositionen.
Lehmann: In der Verwaltung braucht die Gleichstellung länger, aber wir besetzen immer mehr Stellen weiblich. Dennoch sind in Besprechungen in meinem Bereich mit anderen Fachdienstleitern überwiegend Männer anwesend. Im täglichen Miteinander ist die Schieflage in der Gleichberechtigung nicht so präsent. Aber wenn ich E-Mails schreibe, bei denen ich männliche Kollegen in Kopie nehme, dann sind die Antworten oft direkt an den Kollegen adressiert. Ich bin dann jedoch nur noch in Kopie. In der Politik muss man ein Auge darauf haben, dass Frauen nicht vernachlässigt werden, denn Politik von Männern wird vornehmlich für Männer gemacht. Ich setze mich dafür ein, dass bei jedem gestellten Antrag in der Politik künftig nicht nur die Auswirkungen auf das Klima, sondern auch auf die Gleichstellung berücksichtigt werden.
Wie haben Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erlebt?
Grote-Seifert In meiner Generation verzichteten viele auf Kinder zugunsten der Karriere. Auch heute ist zwischen Männern und Frauen noch nicht richtig ausgehandelt, dass beide die Hälfte zum Familieneinkommen erwirtschaften. Gerade junge Menschen sollten sich Gedanken machen, wie sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gestalten wollen. Wie können beide zu ihrem Recht kommen? Vor 20 Jahren bin ich schon in Teilzeit in eine Führungsposition zurückgekehrt. Auch Jobsharing ist heute viel akzeptierter als früher. Das ist alles möglich. Ich kann Frauen nur dazu ermutigen, früh wieder einzusteigen.
Stadler Ich komme ursprünglich aus Hessen. Dort habe ich die Erfahrung gemacht, dass viele Mütter die ersten drei Jahre nach der Geburt nicht gearbeitet haben. Das Konzept Kinderkrippe gab es dort nicht einmal. Für mich war es befremdlich, das Kind nach nur ein paar Monaten in die Betreuung zu geben, heute befürworte ich das.
Lehmann Die Akzeptanz von anderen Frauen ist teilweise nicht da. Oft schwingt Missgunst mit, wenn man Kinder hat und gleichzeitig arbeiten möchte.
Löwensen: Heutzutage bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten, wann und wo ich arbeite. Das sollten Frauen nutzen. Mir hat Homeoffice das Vereinbaren von Familie und Beruf erleichtert. Wir setzen uns noch zu viele Grenzen, wo gar keine sind.
Wie stellst du dir eine gleichberechtigte Partnerschaft vor?
Wrohn Ich erwarte, dass in Bezug auf Karriere und Kinder Kompromisse von beiden Seiten eingegangen werden. Die Berufswünsche von meinem Partner und mir sollten gleichermaßen gewichtet werden.
Reichen die Kinderbetreuungsangebote in Stormarn aus?
Stadler Als ich nach Lübeck zog, war ich in einer Kita in Pölitz tätig, dort war immer um 13 Uhr Schluss. Gerade in den dörflichen Gegenden ist das Betreuungsangebot noch dürftig.
Jürß Das Angebot ist immer auch eine Frage der Finanzierung. In Westerau kooperieren wir mit anderen Kommunen für die Kinderbetreuung, im Prinzip haben wir nur ein Tagesmütterangebot. Das Betreuungsangebot der Schulen ist geringer und schwieriger zu gestalten, da Eltern und Lehrer bezüglich dieser Thematik wenig Flexibilität zeigen. Zum Beispiel müssen wir an einer Schule eventuell neu anbauen, um die Nachmittagsbetreuung zu ermöglichen, obwohl die Schulräume leer stehen. Auch die Kita-Reform wird ein finanzieller Kraftakt für uns.
Grote-Seifert Man wünscht sich natürlich immer mehr Kindergärten, auch um die Randzeiten der Betreuung abzudecken. Betriebskindergärten sind sicher eine gute Ergänzung und zudem ein sinnvolles Angebot, um Fachkräfte zu akquirieren.
Ist eine vollständige Gleichberechtigung möglich?
Alle Ja, es ist möglich. Wir brauchen uns nur Skandinavien anzuschauen, wo die Gleichberechtigung schon viel fortgeschrittener ist.
Löwensen Wir sind in einem Prozess, noch ist es kein gleichberechtigter Zustand. Ich glaube, wir sind alle noch nicht soweit, dass wir denken, das kann funktionieren.
Stadler Nach meinem Empfinden werden Frauen inzwischen im Job mehr wahrgenommen und geschätzt.
Grote-Seifert Es ist eine große Herausforderung, die Gesellschaft so zu gestalten, dass alle Menschen zu ihrem Recht kommen. Wir sind auf einem guten Weg. Das Bewusstsein ist in der jungen Generation vorhanden, die die Gleichberechtigung auch einfordert.
Frauen verdienen deutlich weniger als Männer
Laut Bundesagentur für Arbeit verdienen Frauen in Stormarn aktuell zehn Prozent weniger als Männer. Diesen Wert nennt man auch „Gender-Pay-Gap“, der den prozentualen Unterschied zwischen dem durchschnittlichen Bruttoverdienst von Männern und Frauen beschreibt. In einer Vollzeitstelle verdienen Frauen im Durchschnitt 2900 Euro im Monat, in Vollzeit arbeitende Männer 3227 Euro – das ergibt eine Differenz von mehr als 330 Euro.
Bei Teilzeitstellen und Minjobs, die aktuell zu 57 Prozent von Frauen erledigt werden, sind die Löhne im Schnitt niedriger. Bezöge man diese in die Berechnung des Gender-Pay-Gaps ein, läge dieser in Stormarn bei deutlich über zehn Prozent. Geringere Rentenbeträge für Frauen sind Folge dieser Unausgeglichenheit.