Schleswig-Holsteins Sozialminister sprach bei seinem Redaktionsbesuch über Organspenden, Sterbehilfe und die Kita-Reform.
Das Ressort von Schleswig-Holsteins Sozialminister Heiner Garg ist mit einem Milliarden-Etat ausgestattet. Das ist auch angemessen, sind in seinem Ministerium doch die Aufgabengebiete Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren verortet. Bereiche also, in denen viele Initiativen große Investitionen erfordern. Beim Besuch der Redaktion der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn sprach der FDP-Politiker über aktuelle Streitthemen wie die Organspende, die Sterbehilfe und die Kita-Reform.
Herr Minister, das Thema Organspende stand gerade auf der Agenda des Bundestags. Wie hätten Sie dazu entschieden?
Heiner Garg: Ich begrüße die gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema. Ich halte die Lösungsansätze aber für problematisch. Weil sie nicht zwingend zu mehr Spenderorganen führen werden. In den USA ist der Regelfall, dass mit der Erneuerung des Passes oder des Führerscheins die Abfrage zur Organspende erfolgt. Ich hielte das auch hierzulande für einen guten Kompromiss zwischen Gegnern und Befürwortern der Widerspruchslösung. Klar ist, dass wir dringend eine Lösung brauchen. Obwohl eine große Mehrheit der Bevölkerung einer Organspende positiv gegenübersteht, warten in Deutschland etwa 10.000 Menschen auf ein Spenderorgan. Aber auch die mit der Änderung des Transplantationsgesetzes einhergehenden Verbesserungen müssen ihre Wirkung entfalten.
Bleiben wir beim Thema Gesundheit. Die medizinische Versorgung vor allem auf dem Land gibt Anlass zur Kritik. Sehen Sie Handlungsbedarf?
Die ärztliche Versorgung in einem Flächenland wie Schleswig-Holstein ist sicher eine der größten Herausforderungen. Aber von einer Unterversorgung kann – zumindest auf dem Papier – noch keine Rede sein. Weniger als 75 Prozent der vorgegebenen Ärztekapazitäten sind aktuell in keinem einzigen Planungsgebiet zu verzeichnen. Aber natürlich ist die gefühlte Versorgungslage oft eine andere. Wenn Menschen länger auf einen Arzttermin warten müssen, hat das auch mit dem demografischen Wandel zu tun. Die Menschen werden immer älter, das trifft ebenso auf die Mediziner zu. Fast ein Drittel der Hausärzte sind 60 Jahre und älter. Junge Absolventen medizinischer Fakultäten aber, von denen bis zu 70 Prozent weiblich sind, wünschen sich nicht selten eine andere Work-Life-Balance und keine 24/7-Praxis.
Braucht es neue Arbeitszeit- und Kooperationsmodelle für Mediziner?
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit muss gestärkt werden, in Gemeinschaftspraxen und Versorgungszentren. Nicht zuletzt weil die Medizin immer komplexer wird. Da sind Kooperationen klar von Vorteil. Ein gutes Beispiel ist das Ärztezentrum Büsum. Dort können sich die Mediziner auf ihre Patienten konzentrieren, während das Gros des bürokratischen Aufwands von der Ärztegenossenschaft Schleswig-Holstein professionell gemanagt wird.
Fallpauschalen sollen Krankenhäusern helfen, effizienter zu arbeiten. Hat sich das System aus Ihrer Sicht bewährt?
Es hat Stärken und Schwächen. Dass 90 Prozent aller Leistungen über das System abgebildet werden, ist international unüblich und völlig unnötig. Die Krankenhausfinanzierung muss auf neue Füße gestellt werden, da bin ich mir mit meinen Kollegen aus den anderen Bundesländern einig. Bei der Investitionskostenfinanzierung stehen vor allem die Länder in der Pflicht. Aber die Finanzmittel sind auch hier begrenzt. Wenngleich Schleswig-Holstein da in den vergangenen Jahren wieder deutlich besser aufgestellt ist.
Der Fachkräftemangel ist auch im Gesundheitswesen, insbesondere in der Pflege, ein Problem. Was kann Kiel tun, um einen Pflegenotstand zu verhindern?
Es wurde schon vieles getan, mit messbarem Erfolg. Die Zahl der staatlich geförderten Ausbildungsplätze ist auf 2100 erhöht worden, der Satz pro Platz ist von 310 auf 450 Euro gestiegen. Mit 11,4 Millionen Euro hat die Landesregierung im Vorjahr dafür so viel Geld ausgegeben wie nie zuvor. Dadurch hat sich die Zahl der Auszubildenden seit 2012 um 35 Prozent erhöht. Seit 1. Januar gilt jetzt die generalistische Ausbildung, die sich nicht mehr nach Alten-, Kranken- und Kinderpflege unterscheidet. Sie ist schulgeldfrei und es gibt eine Ausbildungsvergütung, die sich am Tarif orientiert.
Halten Sie die Verdienstmöglichkeiten in der Pflege für angemessen?
Ich finde es völlig unangemessen, dass eine examinierte Altenpflegerin im Schnitt zwischen 500 und 600 Euro brutto weniger verdient als eine ausgelernte Krankenpflegerin. Diese Diskrepanz wird uns als Gesellschaft auf die Füße fallen, wenn wir sie nicht überwinden. Weil sich junge Leute im Zweifel gegen die Langzeitpflege älterer Menschen und für die Pflege im Krankenhaus entscheiden.
Können Sie sich vorstellen, Ihren Lebensabend in einem Altenheim zu verbringen?
Wünschen tun sich das wohl die wenigsten. Mein Wunsch wäre es, so lange wie möglich selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben zu können. Wenn das nicht mehr geht, hoffe ich auf eine Einrichtung, in der gut ausgebildete, motivierte und angemessen bezahlte Pflegekräfte arbeiten. Die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daran arbeiten wir.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat nach Angaben des Bundesinstituts für Arzneimittel mehr als 100 Anträge auf Sterbehilfe abgelehnt. Wie stehen Sie zum Thema Sterben in Würde?
Ich erinnere mich, dass die FDP Anfang der 2000er-Jahre diesem Thema einen ganzen Parteitag gewidmet hat. Ich war damals wie heute der Ansicht, dass ein schwer kranker Mensch unter strengen Auflagen selbst entscheiden können sollte, ob und wann seinen Leiden ein Ende gesetzt wird. Am 26. Februar soll es ja eine Grundsatzentscheidung darüber geben, wie mit dieser heiklen Frage künftig umgegangen wird.
HIV-Infektionen sind nach wie vor ein Problem, auch Syphilis-Fälle sollen wieder vermehrt auftreten. Wird an den Schulen genug über die Gefahren dieser Krankheiten aufgeklärt?
Alle Aidshilfen im Land leisten eine sehr engagierte Präventionsarbeit. Wann und in welchem Umfang damit an den Schulen begonnen werden sollte, darüber gibt es durchaus geteilte Auffassungen. Bildungspolitiker beurteilen sinnvolle altersspezifische Aufklärung zuweilen anders als Gesundheitspolitiker.
Sprachstörungen, Ängste und Depressionen haben laut einer aktuellen Studie der DAK erheblich zugenommen, jedes vierte Schulkind soll im Norden betroffen sein. Worauf führen Sie das zurück?
Die DAK-Studie wird im Ministerium gerade intensiv ausgewertet. Ohne dem vorgreifen zu wollen: Für einen entscheidenden Faktor halte ich die Zeit, in der Kinder zur Schule gehen dürfen. Ich glaube, die allgemeine Begeisterung, das Abitur in acht Jahren durchzuziehen, ist vollständig verflogen. Stress- und Drucksituationen haben zugenommen, ein negativer Einfluss auf die seelische Gesundheit vieler Schüler ist kaum zu leugnen. Deshalb halte ich die Rückkehr zu G9 für nachvollziehbar und goldrichtig.
Die Kita-Reform ist in den Kommunen längst nicht so positiv aufgenommen worden wie von Kiel erhofft. Moniert wird vor allem, dass eine nachhaltige finanzielle Entlastung nach wie vor nicht in Sicht ist.
Die Jamaika-Koalition ist angetreten, eine grundlegende Kita-Reform auf den Weg zu bringen. Bei der die Eltern von zum Teil exorbitanten Beiträgen entlastet, die Qualität gestärkt und die Kommunen finanziell unterstützt werden. In dieser Legislaturperiode wird ins System der frühkindlichen Bildung eine Milliarde Euro zusätzlich investiert. Hiervon sind 191 Millionen Bundesmittel, alles andere sind Landesmittel. Zum ersten Mal in der Geschichte beteiligt sich das Land mit einem verbindlichen Anteil an den Kosten der frühkindlichen Bildung. Richtig ist, dass es darüber hinausgehende Wünsche gab und gibt. Doch sind die nicht alle auf einmal erfüllbar. Die Reform ist ein unglaublicher finanzieller Kraftakt.
Der Landesrechnungshof hat vor einigen Jahren eine Drittelung der Kosten durch Land, Kommunen und Eltern empfohlen. Warum ist es dazu nie gekommen?
Weil es dafür nie eine politische Mehrheit gab. Keine der jetzt in Verantwortung stehenden Parteien hat sich dieses Modell zu eigen gemacht. Ich selbst war nie ein Fan dieser Drittelfinanzierung. Mittelfristig bin ich für eine gänzlich beitragsfreie Kita. Sämtliche Bildungsangebote bis hin zur Universität sollten beitragsfrei sein. Das ist natürlich immer auch eine Frage der finanziellen Möglichkeiten, denn der Staat hat auch andere finanzielle Anstrengungen etwa im Bereich Gesundheit und Pflege zu meistern.
Wie soll der Mehrbedarf an Fachkräften gedeckt werden, der mit der Qualitätssteigerung unweigerlich einhergeht?
Pro Gruppe muss es künftig zwei Fachkräfte geben, bei einer reduzierten Gruppengröße. Das bezahlen wir auch. Das ist ein klares Signal an die Erzieher und Menschen, die es werden wollen, dass wir verstanden haben, wie schwierig, anstrengend und im Zweifel belastend die Arbeitsbedingungen in den Kitas heute sind. Außerdem haben wir erstmals Mindeststandards hinsichtlich der Leitungsfreistellung und der Verfügungszeiten gesetzt. Das alles sind Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen.
Braucht es in Kitas auch mehr Männer?
Wir brauchen mehr Männer in allen sozialen Berufen, unter anderem in der Pflege. Das funktioniert aber nur, wenn die Arbeitsbedingungen verbessert werden und es eine andere gesellschaftliche Anerkennung für diese Berufsgruppen gibt. Nicht ohne Grund hat Bundesfamilienministerin Franziska Giffey einmal gesagt, Erzieherinnen müssten eigentlich so viel verdienen wie Grundschullehrerinnen.
Die finanzielle Situation vieler Alleinerziehender ist sehr angespannt. Sehen Sie Möglichkeiten einer Entlastung?
Der steuerrechtliche Aspekt ist auf Landesebene nicht zu lösen. Wir könnten aber mit einer qualitativ hochwertigen, verlässlichen und bezahlbaren Kitabetreuung helfen, dass Alleinerziehende ihren Job ohne schlechtes Gewissen ausüben können. Oder über spezielle Beratungsangebote zurück in den Beruf finden. Sie sollen sich frei entscheiden können, was sie für sich und ihre Kinder wollen.
Sehen Sie hier auch einen Zusammenhang mit der wachsenden Kinderarmut und wie kann ihr begegnet werden?
Ja, Kinderarmut ist, genauso wie Altersarmut, ein gesellschaftliches Problem, mit dem ich mich nicht abfinden will. Es gibt sie und sie nimmt in Teilen sogar noch zu. Deshalb bin ich auf Bundesebene mit anderen Ressortkollegen unterwegs, eine eigenständige Kindergrundsicherung auf den Weg zu bringen. Das wäre eines der wirksamsten Mittel gegen Kinderarmut, verbunden mit der Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz.
Für einen FDP-Politiker haben Sie ein außergewöhnliches sozialpolitisches Faible. Fühlen Sie sich in der eigenen Partei nicht zuweilen als Paradiesvogel?
Keineswegs. Ich bin jetzt 25 Jahre politisch in Schleswig-Holstein unterwegs und seit 30 Jahren FDP-Mitglied. Die Partei war in diesem Land schon immer etwas Besonderes und sozialpolitisch engagiert. Ich habe vom Landesverband wie von der Landtagsfraktion stets Rückendeckung bekommen. Als Paradiesvogel habe ich mich zu keinem Zeitpunkt gefühlt. Freiheit bedeutet für mich auch, frei von Existenzangst zu sein. In diesem Sinne ist es mir wichtig, Systeme zu verbessern, nachzujustieren oder neu zu etablieren.
Ihr Lebenspartner ist Amerikaner. Diskutieren Sie manchmal die unterschiedlichen Sozial-, Gesundheits- und Bildungssysteme diesseits und jenseits des Atlantiks?
Permanent! (lacht) Bei einem Weihnachtsessen 2015 in New York haben wir mit Freunden leidenschaftlich über das Gesundheitssystem beider Länder diskutiert. Dass fast ein Drittel aller Amerikaner ohne Krankenversicherung ist, sei für Mitteleuropäer im Grunde unvorstellbar, habe ich gesagt. Dabei gibt es in den Vereinigten Staaten eine Spitzenmedizin, zu der aber längst nicht alle Amerikaner Zugang haben. Am Ende waren sich fast alle einig, dass das System der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung in Deutschland nicht so schlecht ist, trotz der hohen Kosten für die Versicherten. Aber dafür gibt es eben auch eine Gesundheitsversorgung auf hohem Niveau für alle.