Ahrensburg. Große Diskussion bei Abendblatt-Veranstaltung im Marstall über Gründe und Lösungen für Personalmangel und Fehler der Heimkontrollen.

Es war ein hochkarätig besetztes Podium, das sich beim 1. Stormarner Seniorentag des Hamburger Abendblattes mit einem extrem relevanten Thema beschäftigt hat: der aktuellen Situation und künftigen Entwicklung der Pflegebranche in Stormarn. 1800 Fachkräfte könnten laut einer Bertelsmann-Studie im Jahr 2030 kreisweit fehlen. Ein Pflegenotstand droht. Schon jetzt fehlen den Heimen und ambulanten Diensten Mitarbeiter.

 Elke und Heinrich Köpp informierten sich beim Abendblatt-Seniorentag im Ahrensburger Marstall bei Christel Wildenburg vom Augustinum Aumühle.
 Elke und Heinrich Köpp informierten sich beim Abendblatt-Seniorentag im Ahrensburger Marstall bei Christel Wildenburg vom Augustinum Aumühle. © HA | Janina Dietrich

Es ist ein Thema, das alle Menschen betrifft. Und dennoch wird es in der Gesellschaft noch nicht genug diskutiert. Im Marstall beschäftigten sich acht ausgewiesene Fachleute damit: Matthias Badenhop (FDP), Staatssekretär des Sozialministeriums, Robert Nobiling, Geschäftsführer Operativ der Arbeitsagentur in Bad Oldesloe, Andreas Rehberg von der Stormarner Heimaufsicht, die Heimbetreiber Mathias Steinbuck, Kenneth Woods und Christian Bendrath sowie Sophie Glässer und Björn-Ole Wollschläger von der Südstormarner Vereinigung Pflegedienst. Sie machten klar: Die Lage in Stormarn ist ernst.

Wie groß ist der Mangel an Fachpersonal in Stormarn?

„Sehr groß“, sagt Arbeitsagentur-Chef Robert Nobiling. „Wir haben einen Arbeitnehmermarkt.“ Das bedeutet, es gibt deutlich mehr offene Stellen in der Pflege als Fachkräfte. Bei der Arbeitsagentur sind zurzeit drei examinierte Altenpfleger in Stormarn arbeitslos gemeldet. Dem stehen 85 Stellenangebote gegenüber. „Der Bewerber entscheidet, welchen Arbeitgeber er sich aussucht“, sagt Nobiling. Für die Firmen sei es sehr schwierig, neues Personal zu gewinnen. Das gelte auch für den Nachwuchs. „Immer mehr junge Menschen gehen nach der zehnten Klasse weiter zur Schule“, sagt Nobiling. „Wer als Jugendlicher in Stormarn eine Ausbildung sucht, kann rein rechnerisch aus vier Angeboten auswählen. Ob er sich dann für die Altenpflege entscheidet, ist fraglich.“

Wie können Heimbetreiber für den Pflegeberuf begeistern?

„Es ist notwendig, den Mitarbeitern ein bisschen was drumherum anzubieten“, sagt Christian Bendrath, Direktor der Augustinum Seniorenresidenz Aumühle. Dazu zählten zum Beispiel besondere Fortbildungsangebote. „Bestimmte Anreize und Prämien sind inzwischen ganz normal“, sagt auch Mathias Steinbuck aus Bargteheide, Geschäftsführer der gleichnamigen Pflegeeinrichtungen. „Das UKSH zahlt bis zu 8000 Euro Prämie für eine neue Krankenschwester. Auch dort herrscht Mangel.“

Ein Modell, das offenbar funktioniert. „Wir hören in Gesprächen mit den Stormarner Heimbetreibern immer wieder, dass Mitarbeiter in Richtung Krankenhäuser abwandern, weil sie dort mehr verdienen können“, sagt Andreas Rehberg von der Stormarner Heimaufsicht. Für Björn-Ole Wollschläger, Pflegedienstleiter aus Reinbek, sind solche Mittel trotzdem ungeeignet. Er sagt: „Wir brauchen Menschen, die sich für die Arbeit in der Pflege begeistern können, nicht für irgendeine Prämie.“ Das größte Problem sei, dass der Bedarf so stark wachse, sagt Badenhop.

Wird das Pflegepersonal angemessen entlohnt?

Ein wichtiger Aspekt, da sind sich alle Diskussionsteilnehmer einig, ist eine angemessene Bezahlung der Pfleger. „Aber so schlecht verdienen sie in der Branche nicht“, sagt Steinbuck. Im ersten Lehrjahr betrage das Gehalt knapp 1000 Euro, eine Fachkraft bekomme in Schleswig-Holstein 2750 Euro im Mittel. „Alle rufen nach besserer Bezahlung“, sagt Steinbuck. „Den Menschen muss aber klar sein, das landet über die Pflegeversicherung beim Steuerzahler.“

Sind Flüchtlinge eine Lösung für den Personalmangel?

Nein, meinen die Experten. „Eine Bevölkerungsgruppe pauschal in diese Branche zu drängen, nur weil sie gerade verfügbar ist, halte ich für den falschen Weg“, sagt Wollschläger. „Dann wird die Abbrecherquote extrem steigen.“ Auch für Staatssekretär Matthias Badenhop sind Flüchtlinge keine Lösung für den Personalmangel. „Solche Heilsversprechen sollten wir nicht tätigen“, sagt er. Schon gar nicht dürften falsche Anreize geschaffen werden, zum Beispiel, dass der Beruf an einen Aufenthaltstitel geknüpft werde. „Die Menschen interessieren sich dann nur dafür, aber nicht für die eigentliche Arbeit“, sagt er. „So kann keine Pflege gemacht werden.“ Tatsächlich sei die Branche für Flüchtlinge eher ungeeignet, so der Staatssekretär. „Denn Sprachkenntnisse spielen hier eine wichtige Rolle.“

Sind behördliche Hürden für ausländische Kräfte zu hoch?

„Ja“, sagt Mathias Steinbuck. „Wir kommen in der Pflege nicht um eine geordnete Zuwanderung herum, um den Personalmangel zu bewältigen.“ Auf den Philippinen gebe es viele ausgebildete Pflegekräfte, die bereit wären, nach Deutschland zu kommen. Doch das Anerkennungsverfahren dauere zu lange und koste mit 12.000 bis 15.000 Euro pro Person zu viel. Die Probleme bestätigt auch Arbeitsagentur-Chef Robert Nobiling. „Es scheitert leider oft an der typisch deutschen Bürokratie“, sagt er.

Steinbuck fordert diesbezüglich Unterstützung vom Land Schleswig-Holstein. „Wir sind in der Branche am Ende“, sagt er. „Irgendwer an höherer Stelle muss das Thema mal in die Hand nehmen und loslegen.“

Wer kontrolliert die Heime in Stormarn und wie oft?

Die Stormarner Heimaufsicht prüft alle rund 50 Pflegeheime im Kreis einmal im Jahr. Diese Regelprüfungen sind laut Rehberg tagsüber und werden vorher nicht angekündigt. „Hinzu kommen etwa 30 Kontrollen, die aufgrund von bei uns eingegangenen Beschwerden erfolgen“, sagt der Fachbereichsleiter.

Auch der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) kontrolliert die Einrichtungen und vergibt Noten. Dabei werden 77 Einzelkriterien getestet. „Das Verfahren dauert zwei bis drei Tage“, sagt Kenneth Woods, Geschäftsführer der Gesellschaft für soziale Aufgaben (GesA) mit Heimen in Ahrensburg und Reinfeld. „Der größte Punkt ist die Pflegedokumentation.“

Ist das bisherige Verfahren überhaupt noch zeitgemäß?

Das Verfahren des MDK steht in der Kritik, weil die Noten für die Pflegeheime reihenweise sehr gut ausfallen. Menschen, die auf der Suche nach einer geeigneten Einrichtung sind, können dadurch keine sinnvollen Vergleiche vornehmen. Nach Meinung der Heimbetreiber liegt das Problem in dem starren Testvorgehen. „Die Kriterien sind bekannt“, sagt Christian Bendrath. „Wie bei einer Führerscheinprüfung bereiten sich alle darauf vor. Und wenn es mal Probleme gibt, verbessert man sich bis zum nächsten Jahr in dem Bereich.“ Diesen Ehrgeiz habe jedes Haus. „Die bestehenden Regeln bieten keine Transparenz. Mit einer Schulnote lässt sich nie darstellen, ob ein Heim zu meinen Bedürfnissen passt“, sagt Staatssekretär Matthias Badenhop.

Deshalb wird zurzeit über eine Neuorganisation des Pflege-TÜVs diskutiert. Die Betreiber haben aber Zweifel, ob dadurch etwas besser wird. „Das neue System darf zu keiner Mehrbelastung der Pfleger führen“, sagt Steinbuck. „Das wäre dann auch nicht im Sinne der Bewohner.“ Zudem sei das wichtigste Auswahlkriterium für die Menschen das individuelle Wohlbefinden, sagt Woods. „Aber das lässt sich mit keiner Prüfung messen.“

Wie finde ich das richtige Heim für mich oder Angehörige?

Eine schwierige Aufgabe, denn die Noten des MDK helfen meist nicht weiter. Matthias Badenhop rät, sich direkt bei Bewohnern oder Angehörigen über deren Zufriedenheit mit einem bestimmten Heim zu erkundigen. Letztlich hänge die Entscheidung aber von den eigenen Bedürfnissen ab – und die seien sehr individuell. Ein guter Weg sei es, sich beim Pflegestützpunkt des Kreises Rat zu holen, sagt der Staatssekretär.

Ist der Weg in ein Heim für jeden Menschen der richtige?

„Viele Menschen wollen gern so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben“, sagt Badenhop. Für diese Gruppe gebe es viele Unterstützungsmöglichkeiten, etwa über ambulante Dienste. „Wenn jemand viel Unterstützung von der eigenen Familie oder Freunden bekommt, ist zu Hause eine Menge möglich“, sagt Sophie Glässer, Leiterin der Tagespflege bei der Südstormarner Vereinigung Pflegedienst. Auch Menschen mit Demenzerkrankungen und deren Angehörige sollen dabei unterstützt werden, so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden leben zu können. In manchen Fällen sei aber aus Sicherheitsgründen ein Heim die bessere Wahl.