Ammersbek. Lena Horstmann gehört zum “Klassenzimmer unter Segeln“. Was die Wissenschaftler an den Jugendlichen erforschen.

Weiße Weihnachten wird es für Lena Horstmann in diesem Jahr definitiv nicht geben. 7747 Kilometer entfernt von ihrem Zuhause im Ammersbeker Ortsteil Rehagen erlebt die 16 Jahre alte Schülerin das Fest nun auf der Karibik-Insel Grenada. Sie ist eine von 34 Schülern aus vielen Teilen Deutschlands, die für das Projekt „Klassenzimmer unter Segeln“ der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ausgewählt wurden. Sechseinhalb Monate verbringen die Zehntklässler an Bord des Dreimastdoppelschoners, der 1930 gebaut wurde und den Namen des norwegischen Abenteurers Thor Heyerdahl (1914-2002) trägt.

Gefeiert wird bei 28 Grad und unter dem karibischen Sternenhimmel

Die Schüler werden auf dem rund 50 Meter langen Schiff unterrichtet und lernen Segelmanöver, während Wissenschaftler der Hochschule das Sozialverhalten der Jugendlichen erforschen. „Die Feiertage verbringen wir vor Anker vor Grenada“, sagt Lena. Sie ist sicher: „Das wird ein ganz besonderes Weihnachtsfest.“ Denn gefeiert wird bei 28 Grad Lufttemperatur und unter dem karibischen Sternenhimmel.

Ankunft auf Grenada: Ein Drittel der Reise haben die Schüler hinter sich

Mit dem Segelschiff „Thor Heyerdahl“ ist das Klassenzimmer unter Segeln derzeit auf Fahrt.
Mit dem Segelschiff „Thor Heyerdahl“ ist das Klassenzimmer unter Segeln derzeit auf Fahrt. © Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg | HA/

Für Heiligabend hätten die Jugendlichen ein Programm mit Musik und Theater eingeübt, das sie den sechs Lehrern und neun Besatzungsmitgliedern vorführten, sagt Lena. Bei einem Mehrgänge-Menü wollen die Reisenden Wichtel-Geschenke austauschen. Mit der Ankunft auf Grenada hat Lena bereits ein Drittel der Reise hinter sich. Sie führt durch neun Länder, auf der die Thor Heyerdahl 24.076 Kilometer an 189 Tagen zurücklegen wird. Am 19. Oktober war das Segelschiff in Kiel ausgelaufen, hatte den Nordostsee-Kanal passiert, über den Ärmelkanal Kurs auf die marokkanische Hafenstadt Safi genommen.

Jeder Schüler hat zweimal drei Stunden Wachdienst am Tag

Der Alltag an Bord sei streng getaktet, berichtet Lena. Die Jugendlichen wirkten bei allen Vorgängen auf dem Schiff mit. Der Küchendienst, der in Seemannssprache Backschaft heißt, oder das „Reinschiff“ genannte Putzen an Deck – alles wolle erledigt sein. Lena sagt: „Gleich nach dem Auslaufen wurden wir in vier Wachgruppen eingeteilt, sodass jeder Schüler zweimal drei Stunden am Tag Wachdienst verübt. Ich habe morgens von 8 bis 11 Uhr und abends von 20 bis 23 Uhr Dienst.“

Kurz nach der Durchquerung des Ärmelkanals habe das Wetter den Reiseplan durcheinandergewirbelt. „Hurrikan Pablo war für das Gebiet vor Portugal angekündigt, sodass wir außerplanmäßig in Spanien vor Anker gehen mussten, um Schutz zu suchen“, sagt Lena. Bereits kurze Zeit später habe die Crew den ersten großen Sturm an Bord erlebt. „Es gab Windstärken von sieben bis acht und bis zu fünf Meter hohe Wellen“, berichtet die Ammersbekerin. „Es wurden Leinen gespannt, und jede Wachgruppe musste sich einklinken, damit niemand über Bord gehen kann.“

Das Lernen bei hohem Wellengang ist eine echte Herausforderung

Eine Schräglage wie auf diesem Bild kommt bei hohem Wellengang durchaus auch vor bei der Reise der Schülergruppe.
Eine Schräglage wie auf diesem Bild kommt bei hohem Wellengang durchaus auch vor bei der Reise der Schülergruppe. © HA/Lena Horstmann

Bei ruhiger See segelte die „Thor Heyerdahl“ von Safi aus nach Santa Cruz, ging in der Hauptstadt der Kanaren-Insel Teneriffa vor Anker, um die Atlantik-Überquerung vorzubereiten – die längste und anspruchsvollste Seeetappe der Reise. Mit dieser sei auch der Schulunterricht an Bord gestartet. „Das Lernen war aufgrund des Wellengangs eine Herausforderung“, sagt Lena und lacht. Kein bisschen sei es gewesen wie an der Anne-Frank-Schule in Bargteheide, wo die Ammersbekerin die zehnte Klasse besucht. „Wir sitzen an Deck auf Bierzeltbänken im Reitersitz. Damit wir nicht umfallen. Wir müssen dafür sorgen, dass nichts wegfliegt. Die Füße waren ständig nass.“

Am liebsten verbringt Lena ihre Zeit auf dem Ausguck des Schiffes

Dreieinhalb Wochen sah Lena Horstmann kein Land. „Man muss lernen, auf engem Raum zu leben und mit dem auszukommen, was man hat.“ Es sei eine Zeit, in der sie gelernt habe, vieles mit anderen Augen zu sehen. „Für mich gibt es nichts Schöneres, als den Ausguck während der Wache zu übernehmen“, sagt die Ammersbekerin. Für sie sei der Ausguck ein Ort, an dem sie sich entspannen könne. „Ich kann meine Gedanken schweifen lassen.“ In der Nacht könne man auf dem Meer die Sterne viel deutlicher sehen als überall auf dem Land. „Und man erlebt, was Stille ist, wenn die Wellen, die gegen den Rumpf schlagen, das einzige Geräusch sind“, sagt Lena zum Abendblatt.

Nach Wochen auf See freuen sich alle auf festen Borden unter den Füßen

Lena Horstmann aus Ammersbek vor der Abreise beim Fototermin mit dem Abendblatt.
Lena Horstmann aus Ammersbek vor der Abreise beim Fototermin mit dem Abendblatt. © Filip Schwen | HA/

Und dann sagt sie: „Am Anfang habe ich die Ruhe nachts schon unheimlich gefunden.“ Ab und an hätten Wellen Planktonteilchen auf das Deck gespült. „Sie leuchten im Dunkeln, das ist ein ganz besonderer Anblick. Kurz darauf werden sie wieder davon gespült und neue schwappen aufs Schiff.“ Alles scheine unwirklich und fern. „Einem wird bewusst, wie mächtig die Natur eigentlich ist und wie klein man selbst ist“, sagt die Schülerin. Froh sei sie dennoch, nach dreieinhalb Wochen auf See wieder festen Boden unter ihren Füßen zu spüren.

Die 34 Jugendliche wohnen in Panama bei Indianern

Am 17. Dezember erreichte die „Thor Heyerdahl“ den karibischen Inselstaat St. Vincent und die Grenadinen. „Vor Palm Island sprangen alle von Bord und schwammen durch das klare Wasser“, berichtet Lena euphorisch. Nach einem kurzen Landgang auf der Nachbarinsel Grenada und der Weihnachtsfeier am 25. Dezember sticht die „Thor Heyerdahl“ am Zweiten Weihnachtstag in Richtung Panama in See. „Da haben wir mit drei Wochen unseren längsten Landaufenthalt“, so Lena. Unter anderem werde die Gruppe den Regenwald erkunden und einige Tage bei Indianern in deren Siedlung verbringen. Danach soll es über Kuba, die Bermudas und die Azoren zurück nach Kiel gehen. Am 25. April wird das segelnde Klassenzimmer wieder in der Fördestadt einlaufen. „Hoffentlich habe ich dann noch ganz viel mehr Neues erlebt“, sagt Lena. „Kurz vor der Ankunft in Panama werden wir Silvester feiern und zweimal anstoßen. Zuerst, wenn in Deutschland Jahreswechsel ist und dann sieben Stunden später, wenn wir selbst ins neue Jahr rutschen.“

Auf einem Online-Blog können Interessierte die Reise verfolgen: Unter www.kus-projekt.de berichten die Jugendlichen von Bord.