Ammersbek. 15 Jahre alte Lena Horstmann verbringt 189 Tage auf See. Dort lernt sie mit anderen Schülern die Welt und das Leben an Bord kennen.

24.076 Kilometer, 189 Tage, neun Länder: Für sechseinhalb Monate wird Lena Horstmann ihr Zimmer im Ammersbeker Ortsteil Rehagen gegen eine Koje an Bord des Segelschiffs „Thor Heyerdahl“ eintauschen. Unter 150 Bewerbern wurde die 15 Jahre alte Schülerin als eine von 34 Zehntklässlern aus ganz Deutschland für das „Klassenzimmer unter Segeln“ ausgewählt.

Zum zwölften Mal bietet die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg das Projekt an. Die Schüler erlernen nicht nur die Kunst des Segelns, sie absolvieren auch den Schulunterricht an Bord des Dreimasttoppsegelschoners aus dem Baujahr 1930, der den Namen des norwegischen Abenteurers Thor Heyerdahl (1914–2002) trägt. Wissenschaftler der Hochschule erforschen während der Fahrt das Sozial-, Leistungs- und Lernverhalten der Schüler.

Schüler lernen parallel zum Unterricht die Segelmanöver

Lena Horstmann (15) aus Ammersbek geht mit dem Projekt
Lena Horstmann (15) aus Ammersbek geht mit dem Projekt "Klassenzimmer unter Segeln" der Universität Erlangen auf große Fahrt. © Filip Schwen | Filip Schwen

„Ich zähle schon die Tage bis zum 19. Oktober“, sagt Lena Horstmann, die derzeit die zehnte Klasse der Anne-Frank-Schule in Bargteheide besucht. Dann wird sich die „Thor Heyerdahl“ von ihrem Heimathafen Kiel aus auf große Fahrt begeben. „Bevor wir auslaufen, sind wir vier Tage damit beschäftigt, das Schiff gemeinsam mit der Crew seeklar zu machen“, sagt die Ammersbekerin.

Über den Nordostseekanal, die Nordsee und den Ärmelkanal wird das rund 50 Meter lange Schiff mit 29 Meter Masthöhe zunächst Kurs auf Marokko nehmen und in der Küstenstadt Safi vor Anker gehen. „Von dort aus ist Thor Heyerdahl vor genau 50 Jahren mit einem Papyrusboot nach Amerika aufgebrochen“, erzählt Lena Horstmann.

25 Tage werden die Teilnehmer kein Land sehen

Anschließend wird die Gruppe Kurs auf St. Cruz, Hauptstadt der Kanaren-Insel Teneriffa, nehmen. Eine zweitägige Trekkingtour wird die Jugendlichen auf den Pico del Teide, den mit 3718 Metern höchsten Berg Spaniens, führen. Von St. Cruz aus soll dann die Atlantiküberquerung, die längste und anspruchsvollste Seeetappe starten. „25 Tage werden wir kein Land sehen“, sagt Horstmann. „Man muss lernen, auf engem Raum zu leben und mit dem auszukommen, was man hat.“ Das sei die Herausforderung, aber auch das Reizvolle an der Reise. „Für mich stand lange fest, dass ich keinen normalen Austausch machen werde“, fügt die 15-Jährige lachend hinzu.

Zusätzlich zur neun Mann starken Stammbesatzung der „Thor“ begleiten sechs Lehrkräfte die Jugendlichen, unterrichten sie nicht nur in Mathematik, Deutsch und Englisch, sondern auch in speziellen Fächern wie astronomischer Navigation. „Der Unterricht findet an Deck auf Bierzeltbänken statt, während der Boden schwankt und uns der Wind um die Ohren pfeift. Es gibt kein warmes Klassenzimmer“, sagt Lena Horstmann. Nur bei Regen werde er in den Speisesaal unter Deck verlegt.

Viermal übernehmen die Schüler das Kommando über das Schiff

Parallel zum Schulunterricht an Bord sind die Jugendlichen während der gesamten Reise in den Schiffsbetrieb eingebunden. „Reinschiff, wie der Putzdienst an Deck in Seemannssprache heißt, und die Backschaft, der Dienst in der Küche, müssen reihum von uns erledigt werden.“ Drei Stunden müsse jeder täglich an Deck Wache halten. „Das kann auch nachts sein“, sagt Horstmann.

Dazu erlernen die Jugendlichen die Segelmanöver. „Bei vier Schiffsübergaben lehnt sich der Kapitän zurück und wir Jugendliche übernehmen Steuer und Verantwortung“, erzählt die Ammersbekerin. Auch die Navigation ist dann Aufgabe der Schüler: „Die technischen Geräte werden abgeklebt, wir sollen nur mit Sextant und nach den Sternen den Kurs bestimmen.“ Vor Seekrankheit fürchte sie sich nicht, sagt Lena Horstmann. „Bevor die Teilnehmer ausgewählt wurden, haben wir einen mehrwöchigen Probetörn auf der Schlei absolviert“, erzählt sie. Herausfordernder sei da schon das Auskommen ohne Smartphone. „Nur während der Landaufenthalte gibt es die Möglichkeit, Anrufe zu tätigen“, erzählt Horstmann.

Gruppe erkundet Regenwald und lebt bei Indianerstamm

Mitte Dezember wird die Thor Heyerdahl die Karibik erreichen. Hier werden sich die Schüler mit sozialen und ökologischen Problemen befassen. „In Panama gehen wir für eine dreiwöchige Landexkursion von Bord“, erzählt Horstmann. „Wir werden eine Woche in Gastfamilien verbringen und deren Lebenswelt kennenlernen.“ Begleitet von ortskundigen Biologen erkunden die Schüler den Regenwald. Ein Highlight, auf das sich die Ammersbekerin besonders freut, ist der Besuch bei den einheimischen Naso-Indianern, in deren Camp die Gruppe einige Tage lebt. „Teilnehmer aus den vergangenen Jahren haben erzählt, dass die Indianer als Begrüßung mit ihren Einbäumen zum Schiff paddeln und Handarbeit verkaufen.“ In Kuba wird die Gruppe rund 300 Kilometer mit dem Fahrrad zurücklegen. „Die Räder lassen wir als Spende dort“, sagt die Ammersbekerin. Fahrräder seien auf der Karibikinsel ein wertvolles Gut, weil sie als Fortbewegungsmittel ohne laufende Kosten dienten.

„Am 25. April werden wir wieder in Kiel einlaufen“, sagt Lena. Dann möchte die 15-Jährige viele neue Erfahrungen mitbringen. „Ich denke, man entwickelt nicht nur ein starkes Gemeinschaftsgefühl mit den anderen an Bord, man wird auch mehr zu schätzen lernen, was man hier zu Hause hat“, ist sie sicher.

Auf einem Online-Blog können Interessierte die Reise verfolgen: Unter www.kus-projekt.de werden die Schüler von Bord berichten.