Grenada ist Harry Belafontes "Island in the Sun": die Karibik wie im Bilderbuch mit tiefblauem Meer, makellos weißen Traumstränden, Korallenriffen und dichtem Tropenwald. Touristen sind auf den ersten Blick ebenso schwer zu entdecken wie die winzige Antilleninsel im Atlas. Nur einmal, nämlich im Oktober 1983, geriet Grenada in die Schlagzeilen der Weltpresse, als amerikanische Truppen die sozialistischen Machthaber verjagten. Danach versank das am südlichen Ende der "Inseln über dem Winde" gelegene Eiland wieder in einen Dämmerschlaf - und präsentiert deshalb die Karibik weniger verfälscht als anderswo.

Landwirtschaft und Fischerei sind noch immer die wichtigsten Lebensgrundlagen für die rund 90 000 Einwohner. Grenada ist nach den Molukken zweitgrößter Produzent von Muskatnüssen und deckt rund ein Drittel des Weltmarktbedarfs.

"Eigentlich ist die auf Bäumen wachsende Muskatnuss gar keine Nuss", erklärt die aus Deutschland stammende Johanna Kostka. Sie betreibt seit vielen Jahren ein kleines Reisebüro auf der Insel, das Ausflüge für Touristen organisiert. In den Laura Herb and Spice Gardens zeigt sie uns, was es mit der Nuss wirklich auf sich hat: "Der immergrüne Baum, der bis zu 100 Jahre alt werden kann, trägt etwa ab dem achten Jahr pfirsichartige Früchte. Der Kern dieser goldgelben Frucht ist die Muskatnuss."

Auf einem Rundgang erfahren wir, dass auch das Fruchtfleisch Verwendung findet und zu wohlschmeckendem Sirup, Gelee oder Marmelade verarbeitet wird. Selbst die rote Samenhülle hat Geschmack: Die milde und zarte "Muskatblüte" (Macis) wird als Wurstgewürz oder für weihnachtliches Gebäck verwendet. Aus dem Muskatöl werden Kosmetika gemacht, ebenso Liköre sowie ein - bei vielen Heilpraktikern beliebtes - Arthritis-Spray. In Grenada ist dieses Gewürz wahrhaft allgegenwärtig, es gibt sogar Speiseeis mit Muskatgeschmack. Und auch auf der Nationalflagge ist natürlich eine Muskatnuss zu sehen.

Johanna empfiehlt uns noch den Besuch des bunten und lebendigen Marktes in St. George's, Hauptstadt dieser Insel der Gewürze. Dort duftet es nicht nur nach Muskatnüssen, sondern auch nach Vanille, Nelken, Lorbeer, Zimt, Safran und Ingwer. Auf anderen Tischen türmen sich Brotfrüchte, Avocados, Papayas, Wassermelonen und Bananen. Dahinter stehen dralle Frauen in bunten Kitteln und Kopftüchern, die laut mit den Kunden um den richtigen Preis feilschen.

St. George's selbst zählt zu den schönsten Städten der Karibik. Kreolische und georgianische Lagerhäuser mit roten Ziegeldächern, in die längst Restaurants und Geschäfte eingezogen sind, säumen die steilen Straßen rund um die Carenage genannte Ankerbucht. Gemeinsam mit der Young Street gilt sie als Haupteinkaufsgegend. Dahinter ragen sattgrüne Hügel auf, auf denen zinnenbewehrte Forts thronen. Sie zeugen von einer bewegten Vergangenheit, in der die Franzosen beim Kampf um die Inseln letztendlich den Engländern unterlegen waren. Zentrale Festung war immer das Fort George, 1705 von den Franzosen erbaut und heute Sitz des Polizeihauptquartiers. Trotzdem kann die eindrucksvolle Festung mit ihren Tunnels, Treppen und engen Durchgängen besucht werden. Der Aufstieg lohnt sich vor allem wegen des faszinierenden Ausblicks auf die Ziegelsteinarchitektur der Stadt und die Bucht, in der nicht selten schneeweiße Kreuzfahrtschiffe ankern.

Am nächsten Morgen geht es im Kleinbus über holprige Dschungelpisten durch das dicht bewaldete Inselinnere Richtung Norden. Erste Station sind die Annandale-Wasserfälle, die an den Ausläufern des Mount Sinai zu Tal stürzen. Das Wasser sammelt sich unten in einem Felsbecken und lädt zu einem erfrischenden Bad ein. Später folgt ein kurzer Stopp am Kratersee Grand Etang, Mittelpunkt eines intakten Regenwaldes. Wer mehr Zeit hat, kann auf dem Qua-Qua-Trail den kobaltblauen See umwandern und dabei seltene Vogelarten, aber auch wilde Orchideen, Riesenbambus und Baumfarne bewundern.

Auf der Rückfahrt erzählt Johanna vom Leben auf Grenada: "Hier bringt die Menschen so schnell nichts aus der Ruhe. So erscheinen auf der Insel zwar drei Zeitungen, allerdings nur wöchentlich. Und die kleinen Bretterbuden, die immer wieder am Straßenrand auftauchen, sind unsere Postämter. Sie öffnen und schließen nach einem geheimen Zeitplan." Was es mit den so genannten "lime spots" auf sich hat, wollen wir wissen. "Das sind Plätze zum Herumhängen, wenn die Sonne hoch steht und jeder einen Platz im Schatten sucht. Meist wird dabei Rum getrunken, manchmal aber auch Cola und Bier.

Er brennt die Seele aus dem Leib und würde jedem Feuerspeier Freude bereiten: 80-prozentiger weißer Royal Grenadian Rum. In der River Antoine Rum Destillery im Norden der Insel wird der beliebte Zuckerrohrschnaps noch heute auf althergebrachte Weise produziert. Ein Wasserrad treibt eine Presse an, die von Frauen beständig mit Zuckerrohr gefüttert wird. Der Saft tropft in kupferne Kessel, unter denen ein Holzfeuer kokelt, in der Luft hängt der schwere Geruch des gärenden Saftes. Für zwei Dollar kann die Rum-Produktionsstätte - es soll die älteste der ganzen Karibik sein - besichtigt werden, probieren inklusive.

Gute Küche ist in der Karibik selten, doch auf Grenada ist sie erstaunlich und vielseitig wie zum Beispiel in "Patrick's Restaurant" in St. George's. Seit mehr als sechs Jahren steht Patrick selbst in einem winzigen Raum am Herd und zelebriert typisch grenadinische Kochkunst. Hier bestellt man keine einzelnen Gerichte: für 20 Dollar werden 20 verschiedene Köstlichkeiten serviert, darunter Callalou, eine Art Spinat, Brotfrucht, süß-scharfer Fisch, gebackenes Huhn, diverse Gemüse und ein Pfeffertopf. Dadurch lernt man die ganze Vielfalt der einheimischen Küche kennen. Krönender Abschluss ist ein Rum- oder ein Planters Punch.

Grenada hat natürlich auch schöne Strände: 45 mit hellem Sand und neun mit dunklem Lavasand weist die Statistik aus. Zu den schönsten der ganzen Karibik zählt die kilometerlange Grand Anse, die wir aus der Werbung zu kennen scheinen. Obwohl hier viele Hotels stehen, ist der Strand nicht überfüllt - denn kein Gebäude darf höher sein als ausgewachsene Palmen.