Bargteheide. Torve Kahlke prangert Umgang mit Lebensmitteln durch einen Supermarkt an. Der geht auf die Kritik der jungen Frau ein.
„Obwohl Edeka mit Nachhaltigkeit wirbt, habe ich beobachtet, wie in Bargteheide 20 Kisten mit Lebensmitteln entsorgt wurden“, sagt Torve Kahlke. „Die Wegwerfgesellschaft macht mich einfach wütend.“ Die 20 Jahre alte Studentin aus Bargteheide hat ein Foto gemacht von Gemüse im Müll. Darauf zu sehen: Paprika, Pilze, Salat und Tomaten – meist in Plastik verpackt und auf den ersten Blick unversehrt. Das Bild postete sie in einer Bargteheider Facebook-Gruppe, stieß damit eine rege Diskussion an. Etwa 100 Mal wurde der Beitrag bisher kommentiert, 168 Mal geteilt. Auch Edeka hat sich zu Wort gemeldet.
„Ich kann nicht wegschauen, wenn Dinge in unserer Gesellschaft eindeutig falsch laufen“, sagt Torve Kahlke gegenüber dem Abendblatt. „Seit 2015 habe ich mich in der Flüchtlingshilfe engagiert und als Patin geholfen. Jetzt ist Klimaschutz für mich ein wichtiges Thema.“ Sie ist im Vorstand des Autonomen Jugendhauses Bargteheide aktiv.
Recup als Pfandsystem eingeführt
Sie organisierte den Jugend-Kulturentreff in der Stadt und überzeugte die Inhaberin der Coffee Lounge, das Mehrwegpfandsystem Recup für Coffee-to-go-Becher auch in Bargteheide einzuführen. „Natürlich bin ich nicht perfekt, gebe mir aber Mühe, auf Plastik zu verzichten“, sagt Kahlke. „Wir müssen damit aufhören, so bequem zu leben.“
Torve Kahlke kritisiert, dass Edeka die Ware in den Müll geworfen habe, obwohl die Tafel am selben Tag vorbeikomme, um Lebensmittel für Bedürftige abzuholen. Zusätzlich gebe es unterschiedliche Systeme, mit denen unverkäufliche Lebensmittel einem Ziel zugeführt werden könnten. Initiativen wie die App „Too Good To Go“ sollen helfen, Lebensmittelverschwendungen entgegenzuwirken.
Containern? Lebensmittel kurz vor Ladenschluss günstiger
Auch Teilnehmern der Bargteheider Facebook-Gruppe ist dieses Konzept bekannt – allerdings nur aus Ahrensburg und Hamburg. Von einem Start-up aus Dänemark entwickelt, soll die App mit nur wenigen Klicks ermöglichen, Lebensmittel kurz vor Ladenschluss vergünstigt zu erwerben. 4000 Partnerbetriebe in Deutschland machen bereits mit, darunter auch große Ketten wie Nordsee, Kaufland, oder eben auch Edeka.
„Freunde von mir containern regelmäßig in Bargteheide, holen also die unverdorbene Ware direkt aus dem Müll“, sagt Torve Kahlke. „Rein rechtlich ist das allerdings verboten, weshalb wir nach einer Alternative suchen müssen.“ Auch Hendrik Süllau, Eigentümer von fünf Edeka-Filialen, unter anderem der in Bargteheide, meldete sich zu dem Vorwurf der Studentin zu Wort. Es sei gut, dass sich jemand engagiere und auf die Umwelt achte. „Allerdings ist die Brisanz in diesem Fall übertrieben.“
B-Ware: Nur wenige greifen zu
Viele Abläufe seien für Außenstehende schwer zu verstehen, der Durchlauf von Obst und Gemüse im Laden enorm. Insgesamt betrage die Ausschussrate nur zwei bis drei Prozent, sagt Süllau. Es liege auch im eigenen Interesse, möglichst wenig wegzuwerfen und die Ware stattdessen gewinnbringend zu verkaufen. „Aber überreifes Gemüse bekommen wir selbst bei kleinen Makeln nicht mehr an den Kunden. Einen Stand für B-Ware haben wir bereits ausprobiert, aber nur wenig Leute greifen bei so genannten Leopardenbananen zu.“
Und selbst die Tafel nehme längst nicht alles an Obst und Gemüse an. Abgelaufene Ware zu verschenken, sei zudem riskant, da bei einer möglichen Bakterienverseuchung der Laden hafte. Aus diesem Grund sortiere Edeka Süllau die Molkereiprodukte extra zwei Tage vor Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatum aus, um diese noch an die Tafel weitergeben zu können. Zudem soll die Einkaufsmengen durch eine monatliche Inventur möglichst genau an die Kundenwünsche angepasst werden.
Der Kunde erzieht den Verkäufer
„Wir erziehen nicht unsere Kunden, sondern umgekehrt“, sagt Süllau. „Mit ihrem Einkaufsverhalten können sie steuern, wie viel Bio wir anbieten, wo die Ware herkommt und ob sie eingeschweißt sein soll. Letztendlich treffen viele Kunden aber immer noch über den Preis ihre Kaufentscheidung.“
Hendrik Süllau sei für eine Erhöhung der Müllentsorgungskosten, um der Wegwerfmentalität entgegenzusteuern. Denn auch aus privaten Kühlschränken wandere einiges auf dem Müll. Zudem sei es sinnvoll, die CO²-Kosten der Produktion einzupreisen, um darüber die Gefährdung der Umwelt ablesen zu können. „Als Einzelhandel stehen wir in der Diskussion an vorderster Front“, sagt Hendrik Süllau. „Und bei manchen Entscheidungen muss man abwägen, weil das Ergebnis nicht eindeutig ist.“
Wegwerfwahnsinn: Ist die Bürokratie schuld?
Das Urteil fällt auch auf Facebook nicht eindeutig aus. Obwohl einige Nutzer die Initiative der Studentin unterstützen, sehen andere die deutschen Bürokratie als Ursache des Wegwerf-Wahnsinn. Sie lasse den Handelnden kaum Spielraum. Nicht der Lebensmittelhandel gehöre an den Pranger, sondern der Staat, schreibt zum Beispiel Christine Seher. „Oft bleibt nichts anderes übrig, als die Ware zu vernichten. Ich darf an der Fleischtheke nicht einmal eine eigene Dose als Verpackungsmaterial mitbringen.“
Nachhaltigkeit fange bei jedem Einzelnen an – und bei der Anspruchshaltung vieler, jederzeit und überall alles zu bekommen.
Die Studentin Torve Kahlke plant inzwischen, auf das Angebot von Edeka-Süllau einzugehen und einen Tag im Laden zu hospitieren, um den genauen Ablauf kennenzulernen. „Mein Ansatz war, auf das Thema aufmerksam zu machen“, sagt sie. „Wir sind flexibel und haben viele Wege, etwas zu verändern.“