Reinfeld. 19 Millionen Euro teure Stromautobahn im Juni komplett frei. Testbetrieb ab September. Nach und nach kommen fünf Fahrzeuge.
Nach gut acht Monaten Bauzeit neigen sich die Arbeiten an der Stormarner Elektro-Autobahn dem Ende entgegen. Ende Juni soll der fünf Kilometer lange E-Highway zwischen der Anschlussstelle Reinfeld und dem Kreuz Lübeck wieder auf allen drei Spuren je Richtung befahrbar sein, so die Kreisverwaltung. Das Pilotprojekt – bundesweit gibt es drei Teststrecken – startet mit Verzögerung: Zunächst pendelt nur ein einziger Hybrid-Lkw zwischen dem Logistikzentrum der Reinfelder Spedition Bode und dem Lübecker Hafen. Nach und nach sollen es fünf werden.
Bis Ende 2022 prüfen Forscher die Praxistauglichkeit
Ursprünglich sollte der Testbetrieb schon Ende Mai beginnen. Allerdings sind noch Restarbeiten zu erledigen. „Wir sind optimistisch, dass die Anlage im Juli abgenommen werden kann“, sagt Elisabeth Niehaus, Sprecherin der Forschungs- und Entwicklungszentrum (FuE) Fachhochschule Kiel GmbH, die die Projektleitung innehat. „Die ersten Testfahrten werden noch vor der Abnahme in der Baustelle erfolgen.“
Nach dem jetzigen Stand dauert es allerdings noch bis September, ehe der erste Speziallastwagen an die Spedition Bode ausgeliefert wird. „Andere Versuchsfahrzeuge werden die Strecke schon vorher sporadisch nutzen“, sagt Elisabeth Niehaus. Die Lastwagen werden vom Bundesumweltministerium den Speditionen direkt bereitgestellt. Es handelt sich um Sonderfahrzeuge der Firma Scania, die mit von Siemens entwickelten Stromabnehmern ausgerüstet werden. Diese verbinden sich während der Fahrt automatisch mit den Oberleitungen, wenn sie auf der Spur darunter sind.
Das Bundesumweltministerium zahlt 19 Millionen Euro für den Ausbau des fünf Kilometer langen Stormarner Autobahnabschnitts mit Stromleitungen. Eigentlich hatte der Bund nur 14 Millionen vorgesehen, doch die Ergebnisse der Auftragsausschreibung waren deutlich teurer als gedacht. Bis Ende 2022 soll sich zeigen, ob das System in der Praxis anwendbar ist. „In der Betriebsphase werden verschiedene Hochschulen und Forschungseinrichtungen unterschiedlichste Fragestellungen bearbeiten“, sagt Elisabeth Niehaus.
Hamberger Bürger beschwerten sich über Lärm
Die FH Kiel befasst sich mit der Qualität des öffentlichen Stromnetzes und der sogenannten Unterwerkstechnik. Die TU Dresden untersucht das Verhalten der Oberleitungen, verkehrstechnische Einflüsse sowie die Kohlendioxidbilanz und andere Umweltauswirkungen. Die Hochschule Heilbronn prüft unter anderem die Auswirkungen auf Logistikkonzepte und die Vogelwelt sowie die Akzeptanz des Systems in verschiedenen Interessengruppen. Weitere Forschungsvorhaben sind vorgesehen.
Eine Folge ist in Stormarn schon vor der ersten Fahrt eines Hybrid-Lastwagens erkennbar: In Hamberge und Groß Wesenberg haben sich Bürger über von den Oberleitungen erzeugtes Surren und Pfeifen beschwert. Je nach Windrichtung und -stärke seien die Geräusche unterschiedlich laut.
Die Reinfelder Spedition zahlt für die Nutzung der Hybrid-Lkw – sie haben sowohl einen Elektro- als auch einen Dieselmotor – Leasinggebühren. „Wir sind startbereit“, sagt Geschäftsführer Kai Bode. „Schließlich sind auch wir gespannt, wie sich das System im Alltagsbetrieb präsentiert.“ Wenn alle fünf Fahrzeuge ausgeliefert sind, will das Unternehmen zwischen Logistikzentrum und Hafen täglich bis zu 40 Fahrten absolvieren. Ziel ist es, dass die Lastwagen so viel Strom aus der Oberleitung ziehen, dass die Batterie für den Rest der 25 Kilometer langen Strecke geladen ist.
Rettungshubschrauber können nicht auf der Fahrbahn landen
Die erste deutsche Elektro-Autobahn ist diese Woche in Hessen in Betrieb genommen worden. Auf der A 5 bei Frankfurt/Darmstadt ist ebenfalls eine fünf Kilometer lange Strecke mit Oberleitungen über der jeweils rechten Spur versehen worden. Dort beteiligen sich fünf Speditionen mit je einem Lastwagen an dem Feldversuch. Die Fahrzeuge sollen bis Mitte 2020 ausgeliefert sein. Der Einsatz an einer Bundesstraße wird auf der B 462 im Murgtal (Baden-Württemberg) erforscht.
Laut Scania haben die Lastwagen im Elektromodus aktuell eine Reichweite von zehn Kilometern. Das Ziel sind 60 Kilometer. Wenn die Fahrzeuge die Teststrecke bei Reinfeld mit Stromantrieb zurücklegen, laden sie parallel ihre Batterien auf.
Die Oberleitungen verhindern, dass Rettungshubschrauber im Abschnitt landen können. Im Notfall müssen sich die Piloten künftig einen Platz auf den Feldern rechts und links der A 1 suchen.