Hamberge/Wesenberg . Surren der Oberleitungen an der A1 nervt Anwohner in Hamberge und Groß Wesenberg. Dabei hat Testbetrieb noch nicht begonnen.
Ernst August Levermann steht auf seinem Balkon. Ein seltener Anblick, denn der Rentner meidet den Platz zurzeit. „Seit der E-Highway gebaut wird, ist immer wieder ein lautes, orgelähnliches Pfeifen zu hören“, sagt der 84-Jährige. „Es verstärkt den Autobahnlärm und belastet mich.“ Er blickt auf die Oberleitungen, die von seinem Balkon aus, versteckt hinter einigen Bäumen, erkennbar sind.
Hamberge hat ein neues Lärm-Problem
Ernst August Levermann wohnt in Hamberge. Dies ist einer der Orte, die nur wenige hundert Meter entfernt von der neuen Stromautobahn für Lastwagen liegen, die im Mai in Betrieb genommen werden soll. „Besonders bei Nordwest-Wind wird der Autobahnlärm verstärkt, und man kann eine Art Surren vernehmen“, sagt Levermann. Er hatte schon vor dem Projekt Bedenken. Das Abendblatt hat mit einigen der 1400 Einwohner in Hamberge und mit Bürgern des Nachbarorts Groß Wesenberg gesprochen. Ergebnis: Levermann ist nicht der Einzige, der sich erheblich an dem neuen E-Highway stört. Offizielle Beschwerden an den Bürgermeister gerichtet hat es bisher nicht gegeben.
Paul Friedrich Beeck ist Bürgermeister von Hamberge. Das Abendblatt sprach auch mit ihm über die Situation vor Ort. Beeck hatte dem Forschungsprojekt einst auf Anfrage der Landesregierung zugestimmt. Seine Bedingung:
Eine Lärmschutzwand muss endlich gebaut werden. „Seit 30 Jahren setze ich mich dafür ein. Der Bau des E-Highways war auch eine Chance für das Dorf“, sagt Beeck. Ohne die Zustimmung der Gemeinde hätte die Landesregierung den E-Highway nicht bauen können. Der Lärmschutz ist der Gemeinde nun vertraglich zugesichert worden.
Doch nicht jeder sieht die Entwicklung so positiv wie der Bürgermeister. „Ich hätte mir gewünscht, dass der Lärmschutz vor dem E-Highway gebaut wird“, sagt Levermann. An eine baldige Verbesserung der Situation glaubt der Rentner nicht. „Wenn ich ehrlich bin, denke ich nicht, dass ich den Bau des Lärmschutzes noch miterleben werde.“
Der genaue Zeitpunkt steht laut Beeck noch nicht fest. Der Grund: Das Vorhaben befinde sich noch im Planfeststellungsverfahren, das ein zeitintensives Umweltgutachten und eine Stellungnahme, bei der Widerspruch eingelegt werden kann, einschließt.
Geräusch ist weithin hörbar
Während Beeck weiterhin auf seinen Lärmschutz wartet, können die Anwohner am Ortseingang im benachbarten Groß Wesenberg die Pfeiler der Oberleitungen deutlich über die dort bereits vorhandene Lärmschutzwand herausragen sehen. Der Ort liegt etwa fünf Kilometer entfernt von Hamberge und hat knapp 200 Einwohner. Auch in Groß Wesenberg hört man das Orgelpfeifen. Susanne Vollbrecht wohnt am Ortseingang von Groß Wesenberg und nimmt die neuen Geräusche trotz des dort vorhandenen Lärmschutzes wahr. „Mir fällt das Pfeifen häufig während der Arbeit im Garten auf.“ Aber auch nachts seien Auswirkungen spürbar, denn es wird noch gebaut auf der Stromautobahn.
„Manchmal frage ich mich, ob so etwas denn unbedingt sein muss“, sagt sie. Ihre Kritik bezieht sich nicht nur auf die neue Geräuschkulisse, sondern auch auf den finanziellen Aufwand und die Risiken. „Am Ende ist das Projekt nun mal ein Test, und wenn anschließend alles wieder abgebaut werden sollte, wäre viel verloren und wenig gewonnen.“ Vollbrecht macht sich auch Sorgen um ihr Zuhause. Sie wohnt in einem Bauernhaus, das 1784 erbaut wurde. „Die Erschütterungen, die der Verkehr mit sich bringt, werden durch den E-Highway ja nicht weniger.“
Die Bürgermeisterin von Wesenberg, Karin Dettke, hat Verständnis für die Sorgen der Anwohner. „Zwischen meinem Haus und den Masten ist zwar etwas Abstand, aber selbst ich bekomme die Windgeräusche – insbesondere das Pfeifen – mit, wenn Westwind ist.“
Belastung könnte mit Inbetriebnahme steigen
Die Landesregierung hatte sich damals bezüglich des E-Highway-Baus auch an Karin Dettke gewandt. „Wir hatten dann einige Zeit, um Einspruch einzulegen. Aber was soll man bei einem Forschungsprojekt schon im Voraus kritisieren können“, so die Bürgermeisterin. Sie bemängelt, dass das Projekt für Anwohner von Anfang an viel Ungewissheit mit sich gebracht habe und alle jetzt erst mal mit den Konsequenzen leben müssten. „Bis die Lastwagen auf der Stromautobahn fahren, können wir kaum wirkungsvolle Beschwerden äußern, denn dann kann sich die Situation ja noch einmal ändern.“
Die Bürgermeisterin macht sich Gedanken darüber, ob der Lärm dann noch zunehmen könnte. „Ich hoffe nur, dass wir in diesem Fall überhaupt Anrecht auf einen neuen Lärmschutz haben. Schließlich gelten für Forschungsprojekte andere Bedingungen“, sagt Dettke. Die Ungewissheit sei am schlimmsten.
Anwohnerin Dagmar Krawetzke versucht, gelassen zu bleiben. „Ich mache mir schon Gedanken, was da noch auf uns zukommt. Aber ich denke, wir müssen das erst einmal auf uns wirken lassen“, so die 65-Jährige, die ebenfalls in der Nähe der Oberleitungen wohnt. Ähnlich sieht das Marianne Hoffmann: „Das Pfeifen ist lediglich bei einer gewissen Windrichtung zu hören, aber ich nehme das gar nicht wahr“, sagt die 70-Jährige, die seit 42 Jahren im Ort wohnt. Bei täglichen Spaziergängen störe sie lediglich die Optik des E-Highways. Hoffmann sagt: „Es ist einfach schade, dass sich die Landschaft so stark industrialisiert hat.“