Bad Oldesloe. „In Notwehr“ gehandelt: Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen gegen Beamten nach tödlichen Schüssen in Bad Oldesloe ein.

Die Staatsanwaltschaft in Lübeck hat nach den tödlichen Schüssen auf einen Obdachlosen in Bad Oldesloe im Oktober 2018 nun das Verfahren gegen die sechs Polizisten eingestellt. „Mangels hinreichenden Tatverdachts“, begründet Ulla Hingst, Sprecherin der Anklagebehörde die Entscheidung. Wie berichtet, kam es am Sonntag, 7. Oktober 2018, zu dem folgenschweren Polizeieinsatz. Passanten hatten am Travebad einen Mann beobachtet, der mit einem Messer in der Hand umherlief. Sofort eilten Beamte zum Einsatzort. An der Schützenstraße trafen sie auf den gesuchten jungen Mann.

Aufforderungen das Messer auf den Boden zu legen, blieben ohne Wirkung. Auch ein Warnschuss und der Einsatz von Pfefferspray konnte ihn nicht stoppen. Ermittler, die den Fall später rekonstruiert haben, gehen davon aus, dass der Angreifer zunächst zwei bis drei Meter vor einem Beamten stand und dann auf ihn zulief. In seiner rechten Hand hielt er ein Messer mit einer 20 Zentimetern langen Klinge. „Dabei führte er eine Stichbewegung in Richtung des Polizeibeamten aus“, sagt Hingst. Lediglich zwei bis drei Sekunden habe der 32 Jahre alte Polizist für eine Reaktion gehabt. Zweimal schoss er auf den Oberkörper des Angreifers, der kurz darauf regungslos auf der Straße liegenblieb.

Das Opfer war der Polizei bekannt

Ein Mitarbeiter der Spurensicherung sucht vor einer Absperrung. Bei einem Einsatz der Polizei war hier der junge Obdachlose Robin L. erschossen worden.
Ein Mitarbeiter der Spurensicherung sucht vor einer Absperrung. Bei einem Einsatz der Polizei war hier der junge Obdachlose Robin L. erschossen worden. © dpa

„Der Einsatz der Schusswaffe war in dieser Situation nicht zu beanstanden“, sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft und fügt hinzu: „Auch eine Schussabgabe in Richtung Oberkörper war trotz der damit verbundenen Gefahr todbringender Verletzungen zulässig. Hätte der Beamte auf die Beine oder Arme gezielt, wäre das Risiko zu groß gewesen, dass er das Ziel verfehlt.“

Für die Polizei war der Angreifer kein Unbekannter. Der erst 21 Jahre alte und Robin L. lebte seit gut drei Jahren auf der Straße und fiel wegen seines Drogenkonsums auf. Zudem war er wegen Diebstahls und unerlaubten Besitzes von Waffen vorbestraft. Auch war bekannt, dass Robin L. als psychisch krank galt.

Polizist erst seit sechs Tagen an Oldesloer Wache

Doch all dies konnte der 32 Jahre alte Polizist nicht wissen. Nur sechs Tage vor dem tragischen Ereignis, am 1. Oktober, begann er seinen Dienst bei der Oldesloer Polizei. Doch auch das Wissen über die Krankheit hätte nichts an der Gefahr geändert, in der sich der Beamte befand und auf die er reagiert habe.

Neben dem Schützen, gegen den ein Verfahren wegen Totschlags geführt wurde, richteten sich die Ermittlungen auch gegen fünf weitere Polizisten. Gegen sie sowie den 32-Jährigen wurde ein Verfahren wegen unterlassenen Hilfeleistung eingeleitet. Ein Zeuge hatte von seinem Balkon aus die dramatischen Szenen auf der Schützenstraße gefilmt. Auf dem Video sei zu erkennen, dass keiner der Beamten versuchte, Robin L. wiederzubeleben. Laut Hingst hatte sich daraus der Anfangsverdacht der unterlassenen Hilfeleistung ergeben. Dieser habe sich im Laufe der Ermittlungen aber nicht bestätigt.

120 Menschen beteiligten sich an Trauermarsch für Robin L.

Dabei bezieht sich die Oberstaatsanwältin auf das rechtsmedizinische Gutachten. Lungenarterien und Luftröhre wurden durch die Schüsse stark beschädigt. Dies habe zu massivem Blutverlust geführt. Hingst: „Die Polizeibeamten hatten aufgrund der Art und der Schwere der inneren Verletzungen keine Möglichkeit, erfolgversprechende Erste-Hilfe-Maßnahmen zu leisten.“ Diese hätten sie zwar erwogen, aber schnell als nicht durchführbar und aussichtslos erkannt.

In Bad Oldesloe und bei der Polizei blieb der tragische Einsatz nicht ohne Folgen. Wenige Tage nach dem Tod des 21-Jährigen kamen 120 Oldesloer zu einem Trauermarsch, den die Stadtverordneten Hendrik Holtz (Linke) und Hartmut Jokisch (Grüne) sowie Pastor Volker Hagge organisiert hatten. „Mit dem Trauermarsch geht es nicht darum, jemandem die Schuld zu geben“, sagte Holtz damals, der sich sicher war, dass es auch für den Polizisten ein schreckliches Ereignis war. „Aber letztendlich ist ein Mensch gestorben. Und wir müssen uns die Frage stellen, wie sich so etwas in Zukunft verhindern lässt.“

Polizei zeigte Gefährlichkeit von Messerangriffen

Die Polizei-Einsatztrainer Maik Roloff (43, l.) und Stefan Hinze (37) demonstrieren im Landespolizeiamt in Kiel, welche Chancen Polizisten haben, um sich gegen einen Messerangreifer zu behaupten.
Die Polizei-Einsatztrainer Maik Roloff (43, l.) und Stefan Hinze (37) demonstrieren im Landespolizeiamt in Kiel, welche Chancen Polizisten haben, um sich gegen einen Messerangreifer zu behaupten. © HA | Janina Dietrich

Eine Möglichkeit könnte der Einsatz von Elektroschockpistolen sein, den die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert. Ob diese jedoch den Tod von Robin L. verhindert hätten, ist unklar. Bei einem Einsatztraining nach dem Vorfall demonstrierte die Polizei der Öffentlichkeit, wie gefährlich Angriffe mit Messern sind. Einsatztrainer Maik Roloff sagte damals: „Eine Schusswaffe ist im Falle eines Messerangriffs für Polizisten das adäquate Mittel, um sich zu verteidigen.“ Alles andere sei zu unsicher.