Bad Oldesloe/Kiel . Für Polizisten ist die Sicherheitsdistanz entscheidend, um sich in Hochrisikosituationen wie bei Messerattacken schützen zu können.
Wenige Tage nach den tödlichen Schüssen eines Polizisten auf einen Obdachlosen in Bad Oldesloe haben Einsatztrainer der Landespolizei in Kiel am Freitag anhand mehrerer Szenarien demonstriert, welche Risiken mit Messerattacken verbunden sind und welche Lösungsmöglichkeiten es gibt. „Bei einem Messerangriff haben Polizisten kaum Chancen“, sagt Maik Roloff.
Der 43-Jährige ist einer von mehr als 200 Einsatztrainern der Landespolizei Schleswig-Holstein. Es dauert nur wenige Sekunden: Maik Roloff erblickt das Messer in der Hand seines Angreifers, will nach dessen Handgelenk greifen. Aber er bekommt die Situation nicht unter Kontrolle. Die spitze Klinge trifft seinen Bauch. Versuch Nummer zwei: Diesmal entscheidet sich der Polizist für Pfefferspray. Doch der Angreifer zeigt sich unbeeindruckt, attackiert sein Opfer weiter. Mit einem Schlagstock läuft es im dritten Testlauf etwas besser. Der 43-Jährige erwischt damit zumindest seinen Gegner, spürt im selben Moment jedoch das Messer an seinem Oberarm.
Nur Schusswaffe sichere Gegenwehr
Anlass sind die tödlichen Schüsse von Bad Oldesloe vor einer Woche. Die Staatsanwaltschaft geht inzwischen von Notwehr aus, weil der Mann den Beamten mit einem Messer bedroht haben soll. Trotzdem fragen sich immer noch viele Trauernde, ob die Einsatzkräfte die Situation nicht anders hätten entschärfen können. Zu dem konkreten Fall will sich Landespolizeisprecher Torge Stelck bei der Simulation mit Verweis auf das noch laufende Verfahren bei der Staatsanwaltschaft nicht äußern. Für Einsatztrainer Maik Roloff steht aber fest: „Eine Schusswaffe ist im Falle eines Messerangriffs für Polizisten das adäquate Mittel, um sich zu verteidigen“, sagt er. Alles andere sei zu unsicher.
374 Beamte verletzt
Warum das so ist, demonstriert er mit seinem Kollegen Stefan Hinze an verschiedenen Beispielen. „Polizisten müssen im Bruchteil einer Sekunde die richtige Entscheidung treffen“, sagt Roloff. „Es gibt nur einen Versuch – eine einzige Chance.“ Eine solche Attacke unbeschadet zu überstehen, sei nahezu unmöglich. „Es ist vielmehr die Frage, mit welchen Verletzungen der Polizist aus der Situation herauskommt.“ 374 Beamte wurden nach Angaben des Landespolizeiamts im vergangenen Jahr im Einsatz verletzt. Wie häufig sie dabei mit einem Messer attackiert wurden, kann Stelck nicht sagen.
Pfefferspray wirkt langsam
Entscheide sich der Polizist im Notfall für Selbstverteidigung ohne Hilfsmittel, könne er zum Beispiel nach den Handgelenken greifen oder gegen die Beine treten. Die Gefahr sei aber groß, den Angreifer nicht entscheidend zu stören und trotzdem getroffen zu werden. Der Polizist könne leicht an der Handinnenfläche geschnitten werden. „Dort befinden sich sehr viele Beugesehnen, die ziemlich schnell durchtrennt sein können", sagt Hinze. „Dann kann ich die Hand überhaupt nicht mehr einsetzen und bin wehrlos.“ Die Nutzung von Pfefferspray erhöhe die Chancen nur geringfügig. „Bei einigen Menschen wirkt der Reizstoff erst nach zehn Sekunden“, sagt Roloff. „Bis dahin hat er mich längst mit dem Messer getroffen.“ Zudem bestehe die Gefahr, den Angreifer gar nicht zu treffen, weil sich dieser wegdrehe. „Eine Chance, die Waffe dann noch zu wechseln, habe ich aus Zeitgründen nicht.“
Auch die Flucht ist keine Lösung
Auch der Einsatz eines Schlagstocks sei mit viel Risiko verbunden. Oft komme es dabei zwar zu einem Treffer, aber auch zu einem Gegentreffer. Die schlechteste Entscheidung sei es, zu fliehen. Roloff: „Dann drehe ich dem Angreifer nicht nur meinen Rücken zu, sondern komme auch nicht meiner Aufgabe nach, die Bürger zu beschützen.“ Selbst wenn der Polizist – wie vom Einsatztrainer empfohlen – sofort zur Schusswaffe greift, steht er vor Schwierigkeiten. Die Beine zu treffen, sei extrem schwierig, wenn der Angreifer mit viel Tempo angelaufen komme, sagt Roloff. Zudem würde er wegen des Adrenalins wohl nicht sofort zusammenbrechen. Auch die Idee, das Messer einfach aus der Hand zu schießen, funktioniere nicht. „Das klappt in Filmen mit Bud Spencer und Terence Hill, aber nicht in der Realität“, sagt er.