Bargteheide. Nicole Grimske ist für Flüchtlingsinitiative Sea-Eye als Bordärztin im Einsatz. Ihr Schiff durfte wochenlang in keinem Hafen anlegen.

„Ich glaube nicht, dass viele Deutsche damit einverstanden sind, was zurzeit im Mittelmeer passiert“, sagt Nicole Grimske. Die Ärztin für Innere Medizin und Arbeitsmedizin mit Praxis in Bargteheide war mit dabei, als das Schiff „Professor Albrecht Penck“ der Organisation Sea-Eye kurz vor dem Jahreswechsel 17 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet hat. Drei Wochen war sie auf dem privaten Seenotrettungsschiff im Einsatz. Jetzt möchte sie das humanitäre Drama mit ihrem Bericht auch in Stormarn wieder in den Fokus der Öffentlichkeit rücken.

Am 29. Dezember entdeckte die Besatzung der „Professor Albrecht Penck“ 25 Seemeilen vor der tunesischen Küste ein kleines Fischerboot. An Bord: 17 Menschen auf dem Weg nach Europa. Die 18 Helfer von Sea-Eye nahmen die Flüchtlinge an Bord – und damit begann ein zähes Ringen darum, wo die Geflüchteten sowie die Besatzung von Bord gehen durften. „Obwohl unser Schiff unter deutscher Flagge unterwegs war, hat sich niemand zuständig erklärt“, sagt Nicole Grimske. „Was dort zurzeit abläuft, passiert am Rande der Legalität. Es ist absolut nicht gerechtfertigt, uns das Einlaufen in einen europäischen Hafen zu verweigern.“

Libyschen Küstenwache sei meist selbst in Schleppergeschäfte verstrickt

Ärztin Nicole Grimske ist regelmäßig ehrenamtlich für humanitäre Organisationen aktiv. Fotos wie dieses erinnern sie an die Einsätze.   
Ärztin Nicole Grimske ist regelmäßig ehrenamtlich für humanitäre Organisationen aktiv. Fotos wie dieses erinnern sie an die Einsätze.    © Melissa Jahn | Melissa Jahn

Anfangs habe die Zusammenarbeit zwischen Behörden und privaten Seenotrettern noch gut funktioniert. Doch nach und nach hätten sich die Staaten immer mehr zurückgezogen. Ende Juni 2018 übergab Italien die Koordination aller Rettungseinsätze komplett an Libyen, das den Küstenstreifen bis weit in die internationalen Gewässer zu seiner Such- und Rettungszone (SAR-Zone) erklärte.

„Die Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache ist geradezu unmöglich“, sagt die 44 Jahre alte Ärztin. „Statt den Schleppern ihr Geschäft zu ruinieren, sind die verschiedenen Milizen der libyschen Küstenwache meist selbst in lukrative Schleppergeschäfte verstrickt. Und kassieren so doppelt ab – bezahlt von Geldern der EU.“

Berichte über Erpressung und Folter in libyschen Lagern

Auch die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen prangert diese Praxis an. Sie führe dazu, dass Tausende Menschen abgefangen und in Internierungslager nach Libyen zurückgebracht werden. Laut UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR betraf dies im Vorjahr mindestens 11.800 Personen. Das Hilfswerk fordert Europa auf, sichere Fluchtwege zu öffnen, um Fluchtversuche über die „tödlichste Passage der Welt“ zu stoppen. Nach einem UNHCR-Bericht ist zwar die Zahl der nach Europa kommenden Menschen drastisch zurückgegangen, die Zahl der Todesfälle auf der zentralen Mittelmeerroute aber gleich geblieben.

„Wir haben Berichte aus Libyen bekommen, wonach die Flüchtlinge gefoltert und ihre Angehörigen erpresst werden“, sagt Nicole Grimske. „In den Einrichtungen herrschen KZ-ähnliche Zustände mit schlechter Hygiene- und mangelhaften Ernährungsbedingungen.“ In Libyen bildeten zudem Meer und Wüste eine natürliche Gefängnismauer. Das Land würde so zu einer Falle ohne Ausweg.

Nach langem Warten konnten alle in Mallorca von Bord

Obwohl viele Flüchtlinge über die Gefahren informiert seien, sähen sie in der Überquerung des Mittelmeeres die einzige Lösung. „Während uns die Türen offenstehen, werden andere oft nur mit dem Notwendigsten versorgt“, so Grimske. „Ich kenne diese Perspektivlosigkeit von anderen Einsätzen in Äthiopien.“ Durch das Abkommen mit Libyen umgehe Europa die Genfer Konventionen. „Zusätzlich werden wir immer mehr an unserer Arbeit gehindert“, sagt Grimske. Entsprechend schwierig sei auch die Situation an Bord gewesen.

Erst blockierte die maltesische Regierung fast zwei Wochen lang jegliche Versuche, die Menschen an Land gehen zu lassen. Dann vergingen zwei weitere Wochen, bis eine Lösung für das Schiff und die restliche Crew gefunden wurde. Erst Anfang der nächsten Woche durften alle auf Mallorca an Land gehen.

Grimske würde jederzeit erneut auf einen Einsatz gehen

„Wir geben nicht auf, aber es ist sehr schwierig“, sagt Nicole Grimske, die jederzeit erneut auf einen Einsatz gehen würde, voll hinter dem Projekt „private Seenotrettung“ steht. „Durch die Verzögerung steigen die Missionskosten enorm, und wir sind in der Zwischenzeit nicht in der Lage zu helfen.“ Wie viele Boote zur gleichen Zeit im Meer unterwegs waren, ist nicht bekannt. Wohl aber, dass am 19. Januar 120 Geflüchtete vor der Küste Libyens in Seenot gerieten, das Schlauchboot sank. Nur drei Überlebende wurden von der italienischen Marine gerettet.

„Es ist schrecklich, die Geschichten der traumatisierten Menschen zu hören. Wissend, dass es Europa lieber gewesen wäre, wenn die Menschen nicht gerettet worden wären“, sagt Grimske. Es müsse eine Diskussion über Flucht und ihre Ursachenbekämpfung geben, nicht aber darüber, Hilfe zu verweigern.

Während ihr persönliches Umfeld zu 100 Prozent hinter ihr stehe, bekomme sie über die sozialen Medien auch Anfeindungen zu spüren. Ihre Entscheidung, sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich zu engagieren, könnten diese Kommentare jedoch nicht beeinflussen. „Es geht um Werte, die uns als Gesellschaft ausmachen“, so Grimske. „Was da passiert ist menschenverachtend.“