Glinde/Trittau. Integrierte Regionalleitstelle Süd in Bad Oldesloe nutzt das neue System seit drei Monaten. Zahl der Mitstreiter wächst permanent.
Mit dem Thema „Leben retten“ kennen sie sich aus: Nina Rohde (25) hat mehrere Jahre in der Notaufnahme des Reinbeker Krankenhauses St. Adolf-Stift gearbeitet. Ihr Mann Marco (27) und dessen Bruder Andre Rohde (23) sind bei der Berufsfeuerwehr Hamburg angestellt, müssen in ihrem Job auch regelmäßig auf dem Rettungswagen zu Einsätzen ausrücken. Zudem engagieren sich alle Drei ehrenamtlich bei der Freiwilligen Feuerwehr Glinde.
Kein Wunder also, dass sich die Rohdes bereits im Oktober 2018 bei der App „Meine Stadt rettet“ angemeldet haben – ganz zu Beginn der Testphase. „Wir hatten im Internet in sozialen Netzwerken davon gelesen“, sagt Marco Rohde. Die Anwendung soll dafür sorgen, dass Stormarner im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstands schneller Hilfe bekommen, indem sie zusätzlich zum Rettungsdienst registrierte Ersthelfer in der Umgebung alarmiert.
Ersthelfer sind meist schneller da als der Rettungsdienst
Die Integrierte Regionalleitstelle Süd (IRLS) in Bad Oldesloe nutzt das System inzwischen seit mehr als drei Monaten, davon fünf Wochen im „offiziellen Betrieb“. Einsatzsachbearbeiter Sebastian Wenk ist mit dem Start äußerst zufrieden. „Einige Menschenleben konnten durch die App bereits gerettet werden“, sagt der Leitstellen-Mitarbeiter. „Wir können im Notfall immer häufiger Ersthelfer zum Einsatzort schicken, denn wir haben in Stormarn inzwischen eine gute Abdeckung, was die Fläche angeht.“ Die Leitstelle ist auch für Ostholstein und das Herzogtum Lauenburg zuständig. Über alle drei Kreise verteilt gebe es durchschnittlich 1,2 Einsätze pro Tag, bei denen Ersthelfer benötigt und oft „das Zünglein an der Waage“ seien, so Wenk. Denn bei der Reanimation zählt jede Sekunde.
Die vorgeschriebene Hilfsfrist beträgt zwölf Minuten
„Wenn nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand nicht innerhalb von fünf Minuten mit der Reanimation begonnen wird, ist ein Überleben des Patienten sehr unwahrscheinlich“, sagt Wenk. Pro Minute sinken die Chancen demnach um zehn Prozent. Das Problem: Der Rettungsdienst ist in der Regel nicht so schnell am Einsatzort. Die vorgeschriebene Hilfsfrist beträgt zwölf Minuten. Erste Auswertungen der Leitstelle ergaben, dass die Helfer bisher im Schnitt drei bis vier Minuten vor dem Rettungsdienst beim Patienten eintrafen.
So war es auch bei Andre Rohde, obwohl ihn die auf seinem Smartphone eingegangene Push-Nachricht aus dem Schlaf gerissen hatte. Der 23-Jährige war gerade von einer 24-Stunden-Schicht bei der Berufsfeuerwehr nach Hause gekommen und hatte sich ins Bett gelegt, als ihn die Leitstelle zu seinem ersten Einsatz als App-Retter holte. Am 10. Dezember war das. Rohde rettete mit anderen Ersthelfern einem Mann in Glinde das Leben.
Expertin: Jeder Mensch kann Reanimation vornehmen
Obwohl er ähnliche Situationen aus seinem Beruf als Feuerwehrmann gewohnt ist, war die Rettungsaktion vor der Sparkassen-Filiale für ihn etwas ganz Besonderes. „Im Job habe ich meine Arbeitskleidung an und schlüpfe damit in eine andere Rolle“, sagt der 23-Jährige. „Als Privatperson bin ich in einer anderen Situation, habe keine Geräte, Sauerstoff oder Infusion dabei. Ich muss alles nur mit meinen eigenen Händen schaffen.“ Im Nachhinein sei es aber „ein ziemlich tolles Gefühl“, einem Menschen das Leben gerettet zu haben, so der Glinder.
Bürger müssen sich Hilfe zutrauen
„Es ist eine schöne Sache, seine Fähigkeiten nutzen und helfen zu können“, sagt auch Nina Rohde. „Dafür lasse ich in meiner Freizeit gern mal alles stehen und liegen.“ Als ausgebildete Gesundheits- und Krankenpflegerin hat sie Erste-Hilfe-Maßnahmen professionell gelernt. Die 25-Jährige betont aber: „Jeder Bürger kann eine Reanimation vornehmen. Das Wichtigste ist, sich zu trauen. Man kann nichts falsch machen.“ Das sei mit das Erste gewesen, was sie bei ihrer Ausbildung gelernt habe. „Wenn ein Patient keine Reanimation benötigt, wird er sich bemerkbar machen und aufspringen“, sagt die Trittauerin.
Leitstelle hofft auf noch mehr Ersthelfer
Generell sei es immer besser, etwas zu unternehmen als untätig zu bleiben. „Auch wer die Retter-App nicht hat und vermeintlich nicht qualifiziert genug ist, kann handeln, wenn es in der Öffentlichkeit zu einem Notfall kommt“, sagt die junge Frau. So sieht das auch Schwager Andre Rohde. „Es ist doch nicht zu viel verlangt, zu helfen“, sagt er zum Abendblatt. „Jeder kann mal in die Lage kommen, dass er medizinische Hilfe braucht.“
Leitstellen-Mitarbeiter Sebastian Wenk hofft, dass sich noch mehr Stormarner bei der App anmelden. Er sagt: „Wir freuen uns über jeden, der den Pool an Ersthelfern vergrößert.“
So können Sie zum Lebensretter werden:
Rund 100.000 Menschen sterben jedes Jahr in Deutschland an einem plötzlichen Herztod. Experten gehen davon aus, dass viele Leben bei einem schnelleren Reanimationsbeginn gerettet werden könnten. Dafür will die App „Meine Stadt rettet“ sorgen. Sie kann kostenlos bei Google Play oder im App-Store von Apple heruntergeladen werden. Zur Freischaltung ist ein Nachweis erforderlich, etwa eine gültige Erste-Hilfe-Bescheinigung. Auch Sanitäter, Krankenpfleger und Ärzte können sich registrieren.
Per GPS werden dann im Notfall automatisch registrierte Ersthelfer in der Umgebung gesucht, in Städten in einem Radius von 500 bis 800 Metern, in ländlichen Regionen innerhalb von 2,5 Kilometern. Die Alarmierung erfolgt mit einer Push-Nachricht.