Bad Oldesloe. Ersthelfer in der Nähe werden per Smartphone zum Einsatzort gerufen. Stiftung will Erste-Hilfe-Kurse für Stormarner fördern.

Es ist 11.11 Uhr am Montag dieser Woche. Ein Glinder erleidet vor einer örtlichen Sparkassen-Filiale einen Herz-Kreislauf-Stillstand, bricht zusammen. Der Notruf geht bei der Integrierten Regionalleitstelle Süd (IRLS) in Bad Oldesloe ein, sie alarmiert um 11.12 Uhr neben Rettungsdienst und Notarzt auch drei freiwillige Ersthelfer in der Umgebung per Smartphone. Als der Rettungswagen um 11.17 Uhr vor Ort eintrifft, führen sie bereits eine Herzdruckmassage durch. Auch ein Defibrillator ist im Einsatz. Der Patient überlebt, ist inzwischen auf einer Normalstation im Krankenhaus.

Viele Menschen haben nicht so viel Glück wie der Glinder. Jedes Jahr sterben in Deutschland nach Angaben der IRLS 80.000 bis 100.000 Menschen an einem plötzlichen Herztod. Er ist damit eine der häufigsten Todesursachen. „Wenn nach einem Herz-Kreislauf-Stillstand nicht innerhalb von fünf Minuten mit der Reanimation begonnen wird, ist ein Überleben des Patienten sehr unwahrscheinlich“, sagt Sebastian Wenk, Einsatzsachbearbeiter bei der Regionalleitstelle. „Pro Minute sinken die Chancen um zehn Prozent.“

Ersthelfer können häufig früher als der Rettungsdienst am Einsatzort sein

Der Notfalleinsatzverlauf mit integrierter App
Der Notfalleinsatzverlauf mit integrierter App "Meine Stadt rettet". Bei einem eingehenden Notruf alarmiert die zuständige Leitstelle  - parallel zu den Notfalleinsatzkräften - via App auch den nächsten lokalen Ersthelfer, der bis zu 6 Minuten schneller am Einsatzort ist. © © Meine Stadt rettet | Quellenangabe: © Meine Stadt rettet

Das Problem: Der Rettungsdienst ist in der Regel erst später am Einsatzort. Die gesetzlich vorgeschriebene Hilfsfrist liegt bei zwölf Minuten. Die App „Meine Stadt rettet“ soll dafür sorgen, dass Stormarner im Falle eines Herz-Kreislauf-Stillstands schneller Hilfe bekommen. Sie setzt auf die Annahme, dass Ersthelfer häufig viel früher am Einsatzort sein könnten.

Seit Anfang Oktober testet die Leitstelle das System – mit positivem Ergebnis. 20 Mal sind in dieser Zeit in ihrem Zuständigkeitsbereich, zu dem neben Stormarn die Kreise Ostholstein und Herzogtum Lauenburg zählen, Ersthelfer ausgerückt. Sie waren im Schnitt drei bis vier Minuten eher beim Patienten als der Rettungsdienst.

Bereits 550 Ersthelfer haben sich registrieren lassen

Am Donnerstag nahm Stormarns Landrat Henning Görtz die Retter-App nun mit seinen Amtskollegen aus Ostholstein und dem Herzogtum Lauenburg offiziell in Betrieb. Die Hilfsbereitschaft ist groß. Schon in der Testphase haben sich landesweit 550 Menschen registriert, um im Notfall zum Lebensretter werden zu können. Wie viele aus Stormarn sind, weiß Wenk nicht.

So funktioniert das System: Wenn bei der Leitstelle in Bad Oldesloe ein Notruf eingeht, wird automatisch überprüft, ob sich in der Umgebung des Patienten registrierte Ersthelfer befinden. Diese erhalten per Smartphone eine Pushnachricht und haben dann 160 Sekunden Zeit, um den Einsatz zu bestätigen. Tun sie dies, bekommen sie die Adresse und werden per App dorthin navigiert. Zudem können sie sich Defibrillatoren in der Umgebung anzeigen lassen und direkt mit der Leitstelle kommunizieren. In Städten werden Ersthelfer in einem Radius von 500 bis 800 Meter gesucht, in ländlichen Gebieten innerhalb von 2,5 Kilometern. Das System arbeitet GPS-basiert. So kann es passieren, dass ein Tourist aus Bayern beim Urlaub in Lütjensee alarmiert wird oder ein Ahrensburger beim Ausflug an die Ostsee. Für die Ehrenamtler besteht aber keine Pflicht, jederzeit erreichbar zu sein und jeden Einsatz anzunehmen.

Uniklinikum überprüft die Eignung der Ersthelfer

Die Integrierte Regionalleitstelle Süd in Bad Oldesloe führt die Ersthelfer-App
Die Integrierte Regionalleitstelle Süd in Bad Oldesloe führt die Ersthelfer-App "Meine Stadt rettet" ein.  © HA | Janina Dietrich

Wer zum Ersthelfer werden möchte, muss sich zunächst die kostenlose App „Meine Stadt rettet“ bei Google Play oder im App-Store von Apple herunterladen. Zur Freischaltung muss der Retter einen Qualifikationsnachweis vorlegen. Erforderlich ist eine gültige Erste-Hilfe-Bescheinigung, die nicht älter als zwei Jahre sein darf. Auch Notfall- und Rettungssanitäter, Rettungsassistenten und Krankenpfleger können sich registrieren. Für die Überprüfung ist das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) zuständig. Es hat die App mit Partnern entwickelt. Im Durchschnitt gehen bei der Leitstelle pro Tag 1,2 Notrufe ein, bei denen Ersthelfer benötigt werden. Sie werden nur für Reanimationen alarmiert, wenn die Umgebung sicher ist. „Wir schicken zum Beispiel keinen Ersthelfer auf die Autobahn“, so Wenk.

„Die App schließt eine Lücke, die der Rettungsdienst nicht abdecken kann: die ganz schnelle Hilfe“, sagt Görtz. Auf den hauptamtlichen Rettungsdienst habe sie keinen Einfluss, betont sein Ratzeburger Amtskollege Christoph Mager. „Dort sparen wir nichts ein.“ Die App sei kein Ersatz für den Rettungsdienst, sondern ein Plus oben drauf, sagt Ostholsteins Landrat Reinhard Sager.

Zu wenig ausgebildete Ersthelfer in Deutschland

Allerdings funktioniert das System nur dann zuverlässig, wenn es flächendeckend genügend Ersthelfer gibt. Doch daran mangelt es in Deutschland. Laut UKSH steht Deutschland bei dem Thema europaweit an vorletzter Stelle. Wenn jemand in der Öffentlichkeit einen Herz-Kreislauf-Stillstand erleidet, wird er demnach nur in 22 Prozent der Fälle von Passanten wiederbelebt. Zum Vergleich: Spitzenreiter Niederlande kommt auf eine Quote von 70 Prozent. „Dort lernen Kinder Erste-Hilfe-Maßnahmen schon in der Schule“, so Wenk.

Jörg Schumacher, Geschäftsführer der Sparkassen-Stiftungen, will die Situation verbessern. „Ideal wäre es, wenn sich jeder Stormarner in Erster Hilfe ausbilden ließe“, sagt er. Die Sparkassen-Sozialstiftung Stormarn habe aus diesem Grund jetzt „die Förderung der Rettung aus Lebensgefahr“ in ihre Satzung aufgenommen. Künftig sollen zum Beispiel Erste-Hilfe-Kurse gefördert werden. Bereits in der kommenden Woche werden zudem alle Filialen der Sparkasse Holstein mit Defibrillatoren ausgestattet. „Die Menschen haben oft Angst vor einer Reanimation. Diese müssen sie verlieren“, sagt Schumacher. „Ein Defibrillator ist ein Laiengerät.“