Ahrensburg. Dutzende Eltern befürchten, dass ihre Kinder ab August nachmittags nicht betreut werden können. Das bringt einige in Schwierigkeiten.

Sie sind verzweifelt, fühlen sich hilflos und allein gelassen. Mit einem dreiseitigen Brandbrief haben sich Ahrensburger Eltern an Schleswig-Holsteins Sozialminister Heiner Garg (FDP) gewandt. Darin fordern sie, dass die Landesregierung eine Lösung für die problematische Situation bei der Kinderbetreuung in Ahrensburg findet.

Wie mehrfach berichtet, haben Dutzende angehende Erstklässler zum Schulbeginn im August noch keinen Hortplatz. Wie viele Plätze zurzeit genau fehlen, konnte die Arbeiterwohlfahrt Stormarn als Träger der vier Ahrensburger Horte auf Abendblatt-Anfrage nicht beziffern. „Die Vergabe ist noch im Fluss“, sagt Geschäftsführerin Anette Schmitt. „Wenn wir neues Personal gewinnen, verschicken wir weitere Zusagen an Eltern.“ Denn räumlich haben Politik und Verwaltung in den vergangenen Monaten ausreichend Kapazitäten geschaffen, um alle Hort-Wünsche der Eltern zu bedienen. Das Problem: Es fehlen Erzieher.

Für Experten sind Quereinsteiger keine Lösung

„Die Stadt Ahrensburg braucht dringend eine pragmatische und vor allem kurzfristige Lösung, welche es ermöglicht, die offenen Stellen zu besetzen“, heißt es in dem Brandbrief, den der Elternbeirat der Grundschule Am Aalfang und die Elternvertretung der benachbarten Kita unterschrieben haben. Sie fordern von der Regierung, das für Horte geltende Fachkräftegebot temporär außer Kraft zu setzen, um die Betreuung ihrer Kinder mit Quereinsteigern zu ermöglichen.

Eine Lösung, die von Experten kritisch gesehen wird. „Kindererziehung kann nicht jeder“, sagt Jonathan Rubarth, Leiter der Kita Am Aalfang. Insbesondere Schüler mit erhöhtem Förderbedarf, von denen es einige gebe, bräuchten eine qualifizierte Betreuung. Der richtige Ansatz wäre seiner Ansicht nach, den Beruf des Erziehers attraktiver zu machen. „Den Job will kaum noch jemand machen“, sagt er. Gründe seien die niedrige Bezahlung, die geringe Wertschätzung in der Bevölkerung und die Arbeitszeiten. Rubarth: „Erzieher in Horten kommen meist nur auf eine 21-Stunden-Woche.“

Vor allem die Mütter leiden unter den Folgen

Für die Eltern sind die Gründe zweitrangig, sie wollen eine gesicherte Nachmittagsbetreuung für ihre Kinder. Zum Beispiel Nicole Banasch. Sie arbeitet als Lehrerin an einer Ganztagsschule in Hamburg, gibt dort täglich bis 16 Uhr Unterricht. Bisher kein Problem: Sohn Julius (8), zurzeit in der zweiten Klasse, hat einen Hortplatz. Und Moritz (6) wird in der Kita betreut. Doch nach den Sommerferien kommt der Jüngere auch in die Schule – eine Nachmittagsbetreuung gibt es für ihn aber nicht. „Für mich ist kein Platz?“, fragt der Sechsjährige und blickt seine Mutter mit großen Augen an. „Wieso?“ Frauke Storm geht es ähnlich. Auch sie arbeitet in Hamburg und fährt eine Stunde bis zu ihrem Arbeitsplatz, einer Media-Agentur in Altona. Geschockt sei sie gewesen, als sie vor rund zwei Wochen eine Absage für den Hortplatz für Sohn Jonah (6) erhalten habe. „Ich bin aufgeschmissen“, sagt sie. „Um 11.45 Uhr hat er Schulschluss. Da lohnt es sich doch künftig nicht mehr, zur Arbeit zu fahren.“

Es sind vor allem die Mütter, die unter der Situation leiden. „Ich komme mir vor wie eine Frau in den 1950er-Jahren“, empört sich Silke Carstens. „Ich bin an unser Haus in Ahrensburg gebunden. Dafür hätte ich mir Studium und Ausbildung sparen können.“ Eigentlich habe sie geplant, mit dem Schulbeginn ihrer Tochter Smilla (6) den Wiedereinstieg ins Berufsleben zu schaffen. „Aber jetzt kann ich Arbeitgebern zweieinhalb bis drei Stunden Zeit pro Tag anbieten“, sagt sie. Das mache den Plan unmöglich.

Eine der Konsequenzen: finanzielle Probleme

Folge sind oft finanzielle Probleme der Auch Bianca Preißler ist sauer. „Es ist unfassbar, dass gut qualifizierte Frauen im Jahr 2018 nicht arbeiten dürfen“, sagt sie. „Es herrscht null Gleichberechtigung. Dabei wird uns Frauen immer gesagt, wir müssten auch daran denken, für die Rente einzuzahlen.“ Preißler hat sich als Vertragsmanagerin selbstständig gemacht. Ohne Kinderbetreuung könne sie die Arbeit nicht bewältigen. Sie habe sich schon nach Tagesmüttern umgesehen – aber ohne Erfolg. „Es sind einfach keine verfügbar.“

Meike Tonn hat ihre Chefin bereits informiert, dass sie wegen der Hortplatz-Absage für Tochter Malina (7) wohl zum Herbst ihren Job als Physiotherapeutin kündigen muss. „Ich sehe keine andere Möglichkeit“, sagt sie. Auch Martina Odendahl sieht sich in ihrer beruflichen Entwicklung gebremst. Sie ist dabei, ihre Facharztausbildung für Gynäkologie und Geburtshilfe zu machen. „Wegen meiner drei Kinder zieht sich das schon Jahre hin“, sagt sie. „Nun wollte ich es endlich abschließen.“ Doch für ihre mittlere Tochter Kathleen (6) fehlt ein Betreuungsplatz. „Das ist eine Katastrophe“, sagt sie. Ihr Mann ist voll berufstätig und könne nicht kürzer treten, „denn wir müssen an die Finanzen denken“.

Awo: Nachfrage nach Hortplätzen exorbitant gestiegen

Andreas und Lena Pfaffs Tochter Line (3) geht in die Kita, aber für Sohn Mika (7) fehlt eine Nachmittagsbetreuung
Andreas und Lena Pfaffs Tochter Line (3) geht in die Kita, aber für Sohn Mika (7) fehlt eine Nachmittagsbetreuung © HA | Janina Dietrich

Die finanzielle Situation bereitet auch Andreas und Lena Pfaff Sorgen. „Wir haben in Ahrensburg ein Haus gebaut, müssen einen Kredit abbezahlen“, sagt Andreas Pfaff. Er sucht nun nach einer Tagesmutter, rechnet dadurch mit deutlich höheren Betreuungskosten als bisher. „Wir werden damit an den Rand des Existenzminimums gedrückt, ohne etwas dafür zu können – außer, dass wir Kinder haben“, sagt Andreas Pfaff.

Nancy und Dennys Tiews arbeiten in Hamburg als Justizwachtmeister. Für Sohn Bryan (6) fehlt ein Hortplatz
Nancy und Dennys Tiews arbeiten in Hamburg als Justizwachtmeister. Für Sohn Bryan (6) fehlt ein Hortplatz © HA | Janina Dietrich

Nancy und Dennys Tiews haben bereits darüber nachgedacht, ihren Sohn Bryan (6) in der Mittagspause von der Schule abzuholen und dann nach Hamburg ins Gericht mitzunehmen. Die beiden arbeiten als Justizwachtmeister. „Aber das geht natürlich nicht“, sagt Nancy Tiews. „Ich weiß nicht, wie wir das Problem bewerkstelligen sollen. Ich habe Angst vor dem Schulbeginn.“

Laut Awo besteht dazu kein Grund. „Wir sind ständig in Gesprächen mit Bewerbern und werden noch weitere Verträge mit Erziehern schließen“, sagt Schmitt. Allerdings sei die exorbitant gestiegene Nachfrage nach Hortplätzen eine Herausforderung. „An allen Horten sollen die Gruppen erweitert werden“, sagt Schmitt. „Dafür brauchen wir 14 bis 20 Erzieher – zusätzlich zu den aus den Vorjahren vakanten Stellen.“

Wie sieht es in Ihrer Kommune aus? Klappt es mit der Kinderbetreuung? Gibt es genügend Hort- und Kitaplätze? Schreiben Sie an die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn, Große Straße 11–13, 22926 Ahrensburg, oder per E-Mail an stormarn@abendblatt.de