Bargteheide/Lübeck. Sven S. soll seine Ex-Freundin Svea T. kaltblütig getötet haben. Psychiatrische Gutachterin erkennt bei dem Täter keine extreme Störung

Er hat eine Borderline-Persönlichkeit, psychopathische Züge, ist aber schuldfähig: Im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder Sven S. hat eine Gutachterin ein umfassendes Bild über die Psyche des Mannes skizziert, der vor einem Jahr in Bargteheide seine Ex-Freundin Svea T. kaltblütig erschossen haben soll.

Es ist eine Tat, die noch immer fassungslos macht: Laut Anklage beendet Sven S. am 12. August 2016 das Leben seiner Ex-Freundin mit drei Schüssen aus einem Revolver, Colt Python. Zerfressen von Eifersucht und Verlustängsten lockt der 36-Jährige die junge Frau in seine Wohnung, schießt dann mit der großkalibrigen Waffe zwei Mal auf sie. Dann gibt er einen weiteren Schuss ab, als junge Frau bereits am Boden liegt. Anschließend flieht S. aus der Wohnung, entleert erst die Trommel des Colts und wirft die Waffe später in einen Tümpel. So soll sich die Tat laut Staatsanwaltschaft abgespielt haben. Die Anklage: Mord in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz und Führen einer Schusswaffe.

Täter schreibt einen Brief an die Eltern des Opfers

Jetzt muss sich Sven S. vor dem Landgericht in Lübeck verantworten. Es gab bereits 13 Hauptverhandlungstermine. 41 Zeugen wurden gehört, zwei Sachverständige zu Rate gezogen. Auch am 14. Verhandlungstag widerspricht der Angeklagte weiterhin der ihm vorgeworfenen Tötungsabsicht. Seiner Version nach soll es sich um einen Unfall gehandelt haben: Unter massivem Einfluss von Kokain in Zusammenhang mit einer Depression hätten sich die Schüsse unbeabsichtigt gelöst.

Freunde und Nachbarn der getöteten Svea T. haben am Tatort Kerzen aufgestellt und Blumen niedergelegt
Freunde und Nachbarn der getöteten Svea T. haben am Tatort Kerzen aufgestellt und Blumen niedergelegt © picture alliance / rtn - radio t | dpa Picture-Alliance / rtn, peter wuest

In einem Brief an die Eltern von Svea T. schildert S. ausführlich seine Version des Geschehens. Darin behauptet er, auch in den Wochen vor der Tat mit Svea zusammen gewesen zu sein, berichtet von seiner Krankengeschichte und seiner Kokainsucht. Davon, dass er sich verfolgt fühlte, sich deswegen in einem Hotel in Norderstedt einquartierte und sich über einen Bekannten eine Waffe zum Schutz bestellte. Als er an seinem Hotel einen verdächtigen Kombi gesehen haben will, begab er sich zurück zu seiner Wohnung in Bargteheide, trank in der Küche „Jack Daniels“-Whiskey mit Cola, kokste und entdeckte dann auf dem Balkon den gelieferten Revolver samt Munition. Dann, so schreibt er, überkamen ihn Angstzustände und er wollte sich das Leben nehmen. Mit dem Revolver am Kopf habe er dann einige Zeit im Flur gesessen – bis Svea S. die Tür aufschloss und bei seinem Anblick anfing zu schreien. Sie habe ihm dann die Waffe abnehmen wollen, wodurch sich die zwei Schüsse gelöst hätten. In seiner verkrampften Hand sei die Waffe dann ein weiteres Mal losgegangen.

Die Eltern des Opfers sind als Nebenkläger im Prozess dabei

Regungslos lauscht Sven S. dem Vorsitzenden Richter Christian Singelmann, den Blick gesenkt. Wie schon in den Sitzungen zuvor wirkt er teilnahmslos, zeigt keine Regung. Manchmal tuschelt er mit seinem Verteidiger, stützt seinen Kopf auf einer Hand ab.

Die Eltern von Svea T. folgen dem Prozess als Nebenkläger. Die Ausführungen des Angeklagten sind für sie eine Tortur. Die Mutter schüttelt immer wieder den Kopf, der Vater hält sich zeitweise die Hand vors Gesicht. Die Geschichte wirkt konstruiert. Dass Sven S. seine Ex-Freundin im Kokainrausch erschossen hat, hält auch die vom Gericht bestellte Gutachterin Dr. Christine Heisterkamp für unwahrscheinlich: „Ich habe noch nie gehört, dass jemand im unmittelbaren Kokainrausch einen Suizidversuch begangen hätte.“ Kokain wirke eher euphorisierend.

Auch sonst sieht Heisterkamp bei Sven S. keine derart extreme psychische Störung vorliegen, die eine Verminderung der Schulfähigkeit rechtfertigen würde: „Auf eine schwere depressive Phase unmittelbar vor der Tat weist nichts hin.“ Eine Einschränkung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit sei nicht zu erkennen und auch keine schwere seelische Abartigkeit. S. zeige zwar Anzeichen einer Borderline-Störung und auch psychopathische Züge, so Heisterkamp, aber durchaus auch eine hohe Funktionalität im Alltag. „Er war meist beruflich sehr produktiv, hatte Freundinnen und auch einen Freundeskreis“, so die Therapeutin. Bei einer ausgeprägten psychischen Störung hätten Betroffene meist massive Probleme in der Bewältigung des Alltags.

Gutachterin erkennt ein berechnendes Verhalten

Als Indiz dafür, dass Sven S. den Mord durchaus geplant haben könnte, sieht die Therapeutin auch sein Verhalten am Tattag und nach seiner Festnahme: „Er hat bei der Polizei taktiert, wollte den Aufenthaltsort der Tatwaffe nur gegen seine Freilassung preisgeben.“ Auch die Tatsache, dass er vor dem Entsorgen der Waffe die Munition entfernte, sei als berechnendes Verhalten zu werten. Svea T. habe er erzählt, dass er sich in Italien befinde. Für eine Tat aus Berechnung spricht ihrer Ansicht nach auch, dass Sven S. sowohl Svea als auch ihren Vater massiv mit dem Tode bedroht habe. In seiner Aussage sprachen die Eltern Bettina und Michael T. von massiven Drohungen. Daraufhin schalteten die Eltern sogar die Kripo ein und zeigten Sven S. an.

Es ist nicht das erste Mal, dass der Bargteheider durch gewalttätiges Verhalten aufgefallen ist. Sein Vorstrafenregister reicht zurück bis ins Jahr 1996. Seitdem beging der Bargteheider mehrere Körperverletzungen, einen Raub mit Schusswaffe, bedrohte außerdem seine Freundinnen oder Ex-Partnerinnen. Mit zwei von ihnen hat er jeweils ein Kind. Durch Zeugenberichte ergibt sich das Bild eines Mannes mit zwei Persönlichkeiten. Sowohl Ex-Partnerinnen als auch Freunde beschreiben ihn als freundlich, fröhlich und liebevoll – aber auch als jemanden, der schnell aus der Haut fährt und gewalttätig werden kann. Seinen aus dem Rocker-Milieu stammenden Vater, so sagt es Dr. Christiane Heisterkamp, habe er gehasst: „Und trotzdem ist er dem Weg seines Vaters gefolgt, in den Drogenhandel, die Gewalt und Zuhälterei.“

Für den Prozess sind derzeit noch drei Verhandlungstage angesetzt. Am kommenden Dienstag werden Staatsanwaltschaft und Nebenkläger ihre Plädoyers abgeben, anschließend die Verteidigung. Im letzten Verhandlungstag soll das Urteil gesprochen werden.