Bargteheide/Lübeck. Im Mordprozess vor dem Landgericht in Lübeck hat der Angeklagte Angaben zur Tat gemacht. Mithäftling belastet ihn schwer.

Es ist ein absurdes Bild: Während der erste Zeuge am sechsten Verhandlungstag gegen Sven S., vernommen wird, dreht der wegen Mordes angeklagte Bargteheider dem Gericht den Rücken zu und beugt sich nach vorn. In seine Ohren hat der 35-Jährige weißes Papier gestopft. Er will nichts sehen, nichts hören. Es ist seine Art, gegen das Verfahren zu protestieren. Erst als der Richter ihn auffordert, die selbstgebauten Ohrstöpsel zu entfernen, bricht es aus Sven S. heraus: „Ich sitze wie ein kleiner Junge hier. Ich habe keine Verteidigung.“

Es ist ein Protest gegen seinen Pflichtverteidiger. „Der hat keine Ahnung“, sagt der Angeklagte. Er beklagt sich zudem, dass er nie wisse, welche Zeugen geladen sind, und sich nicht vorzubereiten könne. Der Vorsitzende Richter erwidert: „Es liegt nicht an uns“, so Christian Singelmann. „Wir haben ihnen mehrfach das Angebot zur Aussage gemacht.“ Und er gibt Sven S. nun erneut die Möglichkeit seine Sicht der Dinge darzustellen.

Sven S. nimmt das Angebot an und fordert seinen Anwalt auf, seine selbst geschriebene Einlassung vorzulesen. Der Angeklagte möchte nicht mehr das Monster sein, als das er seit der Tötung seiner Ex-Freundin Svea T. in Bargteheide dargestellt werde. Zudem sei der Tod von Svea T ein Unfall gewesen. „Ich möchte endlich Klarheit über die Tat, unsere Beziehung und über das, was alles zuvor passiert ist“, heißt es zu Beginn der schriftlichen Aussage.

Wegen der Angstzustände nahm er Kokain

Was folgt sind Worte, mit denen sich der Angeklagte selbst als Opfer von Ängsten, Depressionen und seiner Drogensucht beschreibt. Angefangen habe alles mit einem Bandscheibenriss 2015. Seitdem leide er an Angstzuständen und Depressionen. „Dabei hat Svea gesagt, dass sie mich nie verlassen würde, auch wenn ich im Rollstuhl sitze.“

Sein Leid versucht er mit immer mehr Kokain zu bekämpfen. Im Januar werden die Schmerzen immer unerträglicher, er ist gelähmt, muss operiert werden. „Svea hat mir zu diesem Zeitpunkt das Gefühl gegeben, dass alles wieder gut wird.“ In der Reha habe S. dann gemerkt, dass er endlich sein Leben ändern muss. Doch es plagen ihnen finanzielle Sorgen. Seit 2010 läuft eine Privatinsolvenz. Er hat zwei Kinder aus früheren Beziehungen, für die er aufkommen möchte. Die Zukunftsängste führen dazu, dass er nicht von den Drogen wegkommt. „Svea hat mir Kokain in die Reha gebracht, ich habe gesagt, es ist für andere Patienten.“

Dabei erklärt S. auch, dass er seinen eigenen Konsum mit dem Verkauf der Droge finanziert habe. Doch wegen des Geldes kommt es immer wieder mit Svea T. zum Streit. „Ich bin dann immer in Panik geraten.“ Dies sei auch der Grund für die massiven Drohungen gegen Svea T. und ihre Familie gewesen. Jedes mal habe er sich entschuldigt.

Wegen psychischer Probleme suchte er sich Hilfe

Freunde brachten ihn wegen seiner Depressionen ins Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus nach Bargfeld-Stegen. Ein Freund sagt vor Gericht: „Er sagte, er brauche Hilfe, sonst baue er Scheiße.“ Doch in der Psychiatrie wird S. an eine Tagesklinik in Bargteheide verwiesen. Seine Ängste werden größer, er hat das Gefühl, die Polizei observiere ihn, weil ihm eine Beteiligung an einem Raub angelastet werden könnte. „Ich war psychisch am Ende.“

Offiziell war zu diesem Zeitpunkt die Beziehung mit Svea T. beendet, doch eigentlich waren beide noch ein Paar, trafen sich heimlich, denn die Eltern der 28-Jährigen waren gegen die Beziehung.

Als S. am Ende seiner Kräfte ist, erzählt er allen, dass er in den Urlaub fährt. Doch er mietet nur ein Hotelzimmer in Norderstedt. Dort hat er das Gefühl, nicht observiert zu werden und fühlt sich nach einem Einbruch in seine Bargteheider Wohnung sicher. Doch die Sucht nach Kokain treibt ihn am Tattag zurück nach Bargteheide. Im Keller hatte er Drogen versteckt. Er betritt auch seine Wohnung und findet auf dem Balkon eine schwarze Tasche mit einer Pistole und Munition. Diese Worte sorgen bei der Eltern von Svea T. im Gerichtssaal sichtlich für Fassungslosigkeit.

Mithäftling spricht von neuer Frau im leben von Sven S.

Mit dieser Pistole wollte er sich selbst töten, heißt es weiter in der Erklärung. Er hielt sich den Lauf in den Mund, konnte aber nicht abdrücken. In diesem Moment habe Svea T. die Wohnung betreten und sofort angefangen zu schreien. Als die 28-Jährige ihm die Waffe wegnehmen will, löst sich ein Schuss, trifft sie in den Arm. Als sie auf dem Boden liegt, lösen sich weitere zwei Schüsse. Danach habe er den Notruf gewählt und sei geflüchtet. Alles sei von diesem Zeitpunkt an verschwommen.

Einen Tag später wird S. auf einem Campingplatz in Ammersbek festgenommen und kommt in Untersuchungshaft. Dort vertraut er sich einem Mithäftling an, der S. jetzt schwer belastet. Zwar habe er ihm ebenfalls von einem Unfall erzählt. Aber das glaube er nicht. Auch habe Sven S. keine Reue gezeigt. „Er sagte, er werde auf krank machen und sei dann nach vier bis fünf Jahren wieder draußen“, sagt der inzwischen wegen Betrugs verurteilte Zeuge (47): „Er plant nach der Haft ein neues Leben mit einer anderen Frau.“

Ferner sagt der Zeuge, dass Svea T. Drogen für Sven S. verkauft habe. Von psychischen Probleme und Geldsorgen habe er nie gesprochen. Im Gegenteil: Von Sveas Vater habe S. einen BMW M3 bekommen, aber lieber einen Porsche Panamera haben wollen. Deswegen habe er den BMW von Bekannten stehlen lassen. Diese begingen mit dem Auto einen Raubüberfall. Auch diese Männer sitzen in U-Haft, weil sie auf der Flucht geblitzt wurden.