Barsbüttel. Trotz Tarifgehalts ist kaum Personal zu bekommen. Viele offene Stellen. Sozialstation Barsbüttel musste sogar Patienten ablehnen.

Die Stellenangebote stehen seit Monaten auf der Homepage der Sozialstation der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Barsbüttel. Gesucht werden Pflegekräfte. Auch Quereinsteiger sind aufgerufen, sich zu bewerben. Zudem hat die Einrichtung Anzeigen in Zeitungen geschaltet. Gebracht hat das alles nichts. Das ist kein Einzelfall, sondern eher die Regel und kein regionales Problem. Es herrscht Pflegenotstand in Deutschland. Der Bedarf an Fachpersonal kann schon länger nicht mehr gedeckt werden. „Inzwischen können wir im Unterschied zu früher nicht mehr unbegrenzt Patienten aufnehmen. Zuletzt musste ich sogar zwei Anfragen ablehnen, weil Mitarbeiter im Urlaub und krank waren“, sagt die Barsbütteler Stationsleiterin Kirstin Beenders.

Die Probleme sind auch der Arbeitsagentur Bad Oldesloe bekannt. „Ausgebildete Pflegekräfte werden überall händeringend gesucht“, sagt deren Chefin Heike Grote-Seifert zum Abendblatt. Im Dezember vergangenen Jahres waren bei der Arbeitsagentur 93 unbesetzte Stellen in Stormarn gemeldet. „Die Dunkelziffer wird höher sein“, sagt Pressesprecher Stefan Schröder. Denn Unternehmen seien nicht verpflichtet, offene Stellen zu nennen. Immerhin stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Bereich der Altenpflege kreisweit von 1544 in 2014 auf 1646 in 2016.

In der Altenpflege tätige Menschen erkranken häufiger als in anderen Branchen

Kirsten Beenders betreut mit ihrem 33 Mitarbeiter starken Team inklusive Aushilfen 120 Menschen in den vier Barsbütteler Ortsteilen im häuslichen Bereich. Zum Leistungsspektrum bei der Altenpflege gehören unter anderem die Vor- und Nachsorge bei Operationen sowie Medikamentengabe. Gezahlt wird nach Tarif. Examinierte Krankenschwestern verdienen im ersten Berufsjahr pro Monat 2689 Euro brutto, nach 14 Jahren sind es 3207 – plus Weihnachts- und Urlaubsgeld. Das sind rund 13 Gehälter. Hinzu kommen Spätdienst- und Wochenendzuschläge. Es wird im Schichtbetrieb gearbeitet. Das ist nicht neu. Allerdings sagt Beenders: „Im allgemeinen werden die Arbeitsbedingungen in der Pflege immer schlechter.“

Die Fachkräfte sind durch den Gesetzgeber angewiesen, einen Pflegeplan zu schreiben. „Die Dokumentationspflicht ist immer umfangreicher geworden. Das raubt viel Arbeitszeit“, so Beenders. Zudem macht ihr die immer kürzere Verweildauer von Patienten in Krankenhäusern zu schaffen: „Früher wurden die Menschen dort nicht mit offenen Wunden nach Hause geschickt.“ Dadurch müssten ihre Mitarbeiter nun vermehrt Wundverbände anlegen. „Das dauert zwischen 20 und 40 Minuten plus Fahrtweg, und von der Krankenkasse bekommen wir für diese Leistung nur 10,43 Euro.“

Der Job in der Altenpflege ist eine Herausforderung. Laut einer Studie der Krankenkasse AOK erkranken dort tätige Menschen deutlich häufiger körperlich und geistig als in anderen Branchen. Pro Woche erhält Beenders im Schnitt eine Krankmeldung. Das bedeutet zugleich: Kollegen müssen einspringen und Extra-Dienste schieben, weil auf dem Markt kein Personal zu bekommen ist. Beenders: „Und einen Pflegedienst zu finden, der mal Patienten übernimmt, den gibt es nicht, weil alle am Limit sind.“ In Barsbüttel hätten es die Mitarbeiter noch relativ gut aufgrund des Tarifvertrags und Betriebsklimas, woanders seien die Bedingungen oftmals schlechter.

Glinder SPD-Kommunalpolitikerin kritisiert Gesundheitsministerin Alheit

Die Sozialstation sucht zwei examinierte Kräfte und mehrere Aushilfen. Eine Auszubildende hat die Einrichtung immerhin schon gefunden. Dass es davon im Pflegebereich künftig mehr gibt, dafür und bessere Arbeitsbedingungen kämpft die Glinder Kommunalpolitikerin Marlies Kröpke (SPD). Sie sagt: „Die Attraktivität des Berufes muss gesteigert werden. In diesem Fall geht das nur mit Geld. Das ist Grundlage für mehr Wertschätzung.“ Die Politik müsse sich der Sache intensiv annehmen. Ihre Formel lautet: mehr Pflegekräfte durch bessere Bezahlung gleich Entlastung für alle in der Branche tätigen Menschen.

Die 65-Jährige war früher selbst Krankenschwester, kennt sich in dem Bereich bestens aus. Sie steht auch in Kontakt mit dem Glinder Pflegeheim Togohof. Kröpke: „Dort sind die Probleme identisch.“ Sie berichtet von Burn-Out-Fällen in Stormarner Einrichtungen und Kolleginnen, die ihre Verträge aufgelöst hätten, weil sie am Ende gewesen seien. Für die Politikerin steht fest: „Durch den Personalmangel nimmt die Qualität der Pflege ab.“

Kröpke brennt das Thema auf den Nägeln. In den vergangenen fünf Monaten habe sie bei zwei SPD-Veranstaltungen in Glinde Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) darauf angesprochen. Deren Reaktion sei ablehnend gewesen, sagt Kröpke. „Auf mein Anliegen ist die Ministerin nicht wirklich eingegangen. Von Fachkompetenz habe ich da wenig gespürt.“ Alheits Verhalten werte sie als Wegdrücken von Verantwortung. Kröpke will nicht locker lassen und demnächst beim Ministerium in Kiel vorsprechen. „Vorher werde ich versuchen, viele Pflegedienstleitungen an den Tisch zu kriegen, die einen gemeinsamen Hilferuf formulieren.“ Außerdem möchte Kröpke den Landtagsabgeordneten Martin Habersaat sowie die Bundestagsabgeordnete Nina Scheer (beide SPD) mit ins Boot holen.

Im Kreis Stormarn leben immer mehr über 80-Jährige

Die Beschäftigung von ausländischen Pflegekräften, die noch die deutsche Sprache lernen müssen, ist für Barsbüttels Stationsleiterin kein Thema. Beenders: „Wir sind allein bei den Patienten, da muss die Kommunikation klappen.“ Das sei der Unterschied zu Altenheimen, wo sich das Personal bei der Arbeit austauschen könne.

Durch den demografischen Wandel wird der Pflegebedarf zunehmen. Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung steigt die Zahl der über 80-Jährigen in Schleswig Holstein von 145.610 in 2012 um 68,8 Prozent auf 245.800 bis 2030. Für den Kreis Stormarn prognostizieren die Experten sogar eine 90,2-Prozent-Erhöhung.