Chefs des Klinikkonzerns exklusiv über ihre Strategie, Ver.di-Kritik, das Gesundheitssystem und den künftigen Kurs des Unternehmens.
Vor etwas mehr als einem halben Jahr wurden Dr. Thomas Wolfram und Kai Hankeln an die Spitze des Asklepios-Konzerns berufen, einem der größten Träger von Kliniken in Deutschland. In ihrem ersten gemeinsamen Interview nehmen sie Stellung zur Gesundheitspolitik der Bundesregierung, den Mangel an Pflegekräften und erläutern ihre Pläne für das Unternehmen.
Herr Hankeln, Herr Dr. Wolfram, Ver.di hat eine Offensive für mehr Stellen im Krankenhaus gestartet. Nach den Berechnungen der Gewerkschaft fehlen allein in Hamburg 4200 Stellen für Pfleger. Wie dramatisch ist die Situation in den Asklepios-Häusern?
Dr. Thomas Wolfram: Unsere Patienten müssen sich keine Sorgen machen, bei Asklepios nicht die Betreuung zu bekommen, die sie brauchen. Aber es stimmt leider: Die Situation ist angespannt, die Belastungen nehmen stetig zu. In deutschen Kliniken müssen die Pflegekräfte im Vergleich mit anderen Ländern Europas deutlich mehr Patienten versorgen. Das gilt für staatliche, kirchliche und private Häuser gleichermaßen - wir kritisieren das auch immer wieder. Die hohe Arbeitsverdichtung ist eine Folge der chronischen Unterfinanzierung der Kliniken seitens der Länder und der Kostenträger, nicht die Schuld der Klinikträger.
Kai Hankeln: Hinzu kommt ein weiterer Faktor: Es sind gar nicht genug Pflegekräfte auf dem Markt. In Hamburg haben wir noch eine relativ gute Situation. Aber je weiter wir in die Fläche gehen, zum Beispiel nach Ostdeutschland, desto mehr Pflegepersonal fehlt in den Kliniken, insbesondere in den Bereichen OP und Anästhesie.
Gesundheitsminister Gröhe plädiert für die generalistische Ausbildung im Pflegebereich. Krankenschwester, Kinderkrankenschwestern und Altenpfleger sollen gemeinsam lernen. Die Chance zum Wechsel mache den Beruf attraktiver.
Wolfram: Der Gedanke an eine generalistische Ausbildung beißt sich mit der politisch gewünschten Spezialisierung der Häuser. Das ist aus unserer Sicht nur ein weiteres Beispiel für das widersprüchliche Agieren der Politik.
Hankeln: Die Idee geht auch an den individuellen Wünschen der jungen Menschen vorbei. Wer Kinderkrankenschwester werden will, wird dann nicht plötzlich Altenpflegerin sein wollen. Durch eine solche Ausbildung den Pflegenotstand in der Altenpflege zu lösen, das wird nicht funktionieren.
Wolfram: Auch die Hoffnung, dass ältere Pflegekräfte, die vielleicht nicht mehr im Krankenhaus arbeiten wollen, mit ihrer ausgezeichneten Qualifikation in eine Alten- oder Pflegeeinrichtung wechseln könnten, geht komplett an der Realität vorbei. In der Altenpflege wird deutlich schlechter bezahlt. Warum sollte eine Krankenschwester aus einem Krankenhaus ausgerechnet für die letzten zehn – und damit für die besonders rentenrelevanten – Jahre ihres Berufslebens für eine deutlich geringere Vergütung in eine Altenpflegeeinrichtung geht?
Wie viele Pfleger könnten Sie bei Asklepios deutschlandweit einstellen, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben wären?
Wolfram: Wie gesagt: Der Markt gibt es in vielen Regionen gar nicht her. Aber wenn sie verfügbar wären, dann könnten wir von heute auf morgen ohne weiteres bis zu 1000 Pflegekräfte zusätzlich einstellen.
Hankeln: Es fehlen überall examinierte Pflegekräfte, insbesondere aber diejenigen mit einer speziellen Ausbildung, zum Beispiel Anästhesie- und OP-Personal. Das liegt auch an dem extrem schlechten Image der Pflege. Wir hören und lesen doch nur, wie schlecht gepflegt wird und wie schlimm die Arbeitsbedingungen in der Pflege angeblich sind. Niemand schreibt oder spricht darüber, wie attraktiv dieser Beruf auch sein kann, wie viel Freude es macht, Menschen zu helfen, wie groß die Chancen zur beruflichen Weiterentwicklung sind und welch hohes Maß an beruflicher Sicherheit die Pflegeberufe bieten.
Vielleicht müssten Sie die Krankenpfleger einfach besser bezahlen. Das Leben in einer so teuren Stadt wie Hamburg mit einem Brutto-Gehalt von 2500 Euro inklusive Schichtzulagen ist schwierig.
Hankeln: Wir können nicht einfach 20 Prozent auf die Tarife aufschlagen, das kriegen wir nicht refinanziert.
Wolfram: Aber Ihr regionaler Punkt mit Hamburg ist richtig. Es war ein Fehler, dem Druck der Krankenkassen nachzugeben und überall in Deutschland die gleichen Preise für gleiche Behandlung festzulegen. Wir kriegen für eine Blinddarm-OP in Hamburg genau das Gleiche wie in Mecklenburg-Vorpommern. Aber in Hamburg hat man ganz andere Kosten.
Wie zufrieden sind Sie überhaupt mit der Gesundheitspolitik in Deutschland?
Hankeln: Wir stehen als Klinikbetreiber und über unseren Verband in einem kontinuierlichen Dialog mit den politischen Entscheidern. Aber bedauerlicherweise werden unsere Argumente zu selten gehört. Zurzeit beobachten wir eine gewisse Tendenz zum Gesetzgebungsaktionismus ohne langfristig angelegte, schlüssige Strategie und einen aus unserer Sicht besorgniserregenden Trend in Richtung weiterer Verstaatlichung. Nehmen Sie zum Beispiel das neue Gesetz in Sachen Psychiatrie. Verkauft wird es als Maßnahme zur Qualitätsverbesserung, indem man sagt: Wir verpflichten jetzt die Krankenhäuser zu einer Mindestbesetzung beim Personal. Und wenn die Kliniken gegen die Personalvorgaben verstoßen, müssen sie den Krankenkassen Geld zurückgeben. Die geforderte Personalbesetzung wird aber nicht ausreichend gegenfinanziert. Dazu kommt: Sie kriegen das Personal dafür gar nicht auf dem Markt. Auf diese Weise kann die Verordnung nicht so wirken wie versprochen.
Wolfram: Es wird immer wieder betont, dass wir mehr Spezialisierung, mehr Schwerpunkte, mehr Zentralisierung brauchen. Das ist vom Grundgedanken her sehr gut. Aber dazu passt nicht, dass man die Kliniken, die mehr auf Qualität achten, sich spezialisieren und dadurch mehr Patienten gewinnen, dafür bei der Vergütung abstraft. Hamburg ist dafür ein gutes Beispiel. Wir haben hier eine außerordentlich hohe Ballung von Kompetenzen in unseren Häusern. Ein knappes Drittel der Patienten, die wir in Hamburg behandeln, kommt aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Doch je mehr wir uns konzentrieren und spezialisieren und je größer die Anziehungskraft für Patienten aus dem Umland wird, umso schlimmer wird es für die Krankenhäuser, weil der Gesetzgeber über den Fixkostendegressionsabschlag die Vergütung gekappt hat.
Ein schönes Wort …
Hankeln: Ein Wortungetüm. Und in der Realität genauso schlimm, wie es sich anhört. Für die Fälle, die wir über eine festgelegte Obergrenze hinaus behandeln, werden wir in drei aufeinanderfolgenden Jahren mit einem Abschlag auf die Vergütung zwischen 50 und 75 Prozent belegt. Das ist das bestorganisierte Rabattmodell für die Krankenkassen. Wenn ich aber nur noch 50 Prozent des regulären Vergütungssatzes bekomme, kann ich davon kein Personal bezahlen – das ich aber eigentlich brauche, um höchste Qualität und die benötigte Spezialisierung zu gewährleisten. Der Gesetzgeber will mehr Leistung für weniger Geld. Das kann nicht funktionieren.
Aber wir können doch nicht noch mehr Geld in den Gesundheitssektor pumpen.
Hankeln: Das wäre auch nicht notwendig. Wir müssen aber an die Verteilungsprobleme im System ran. Deutschland hat zu viele kleine Kliniken in ländlichen Regionen, die aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht dauerhaft überlebensfähig sind. Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass da ein Konzentrationsprozess erforderlich ist.
Wolfram: Wir haben ein Grundproblem in Deutschland: Wir wollen Hochleistungsmedizin, wir wollen niemanden von der Inanspruchnahme der Leistungen ausgrenzen, und wir wollen unbedingt an der wohnortnahen Versorgung festhalten. Und das alles mit möglichst stabilen Krankenversicherungsbeiträgen. Das ist die Quadratur des Kreises. Natürlich ist theoretisch genug Geld im System, aber das Geld wird niemals ausreichen, um all diese Wünsche gleichzeitig und vollständig zu erfüllen.
Ver.di will in allen stationären Bereichen eine gesetzliche Vorgabe für die personelle Besetzung.
Hankeln: Eine gesetzlich festgelegte Personalbemessung muss gegenfinanziert sein. Sonst wird der wirtschaftliche Druck noch größer, als er es heute schon ist. Ich habe ohnehin ein Problem damit, die Qualität der Krankenhausversorgung einzig und allein an den Personalquoten festzumachen, wie es bei uns heute viel zu oft geschieht. Das greift viel zu kurz. Andere Länder definieren Qualitätsindikatoren wie zum Beispiel Komplikations- und Revisionsraten. Hierzulande wird in der öffentlichen Wahrnehmung die Qualität der Behandlung nur an der Zahl der Pflegekräfte festgemacht, nicht aber an der Qualität der medizinischen Ergebnisse.
Wie schwer wiegt der Ärztemangel?
Hankeln: In Hamburg geht es noch, weil die Stadt so attraktiv ist. Aber auf dem Land ist die Lage in der Tat dramatisch. Es gibt Regionen, da finden Sie keinen Pädiater mehr. Wir würden an vielen Standorten sofort zwei oder drei Kinderärzte einstellen, wenn es sie denn gäbe. Und das ist erst der Anfang. In ein paar Jahren werden wir die gleichen Probleme in der Gynäkologie, im Hals-Nasen-Ohrenbereich und in der Augenmedizin haben, weil in diesen Bereichen immer mehr Patienten ambulant behandelt werden und es deshalb zu wenig Krankenhausabteilungen gibt, in denen die Ärzte ihre Facharztausbildung machen können.
Ist der Ärzteberuf nicht mehr gefragt?
Wolfram: Im Gegenteil. Der Run auf die Studiengänge ist ungebrochen. Aber in Berlin warten Sie selbst mit einer Abiturnote von 1,0 bis zu drei Jahre auf einen Studienplatz. Deutschland gönnt sich den Luxus, die Kapazitäten an den Universitäten immer weiter zu begrenzen. Deshalb kooperieren wir zum Beispiel mit der Pommerschen Medizinischen Universität in Stettin oder der Semmelweis Universität in Budapest. Wir bilden unsere Leute selbst aus.
Hankeln: Ich kann Ihnen noch einen Berufstipp geben: Werden Sie Pathologe! Die können ihre Preise inzwischen fast selbst bestimmen, da es kaum noch Nachwuchs gibt. Auf der anderen Seite soll aber die Zahl der Sektionen – also den Leichenschauen zur genauen Ermittlung der Todesursachen – in den Kliniken erhöht werden, um die Qualität zu prüfen. Das passt so nicht mehr zusammen.
Als der Senat 2004 die Krankenhäuser schrittweise an Sie verkauft hat, war die Skepsis in der Bevölkerung groß. Gut 77 Prozent der Bürger stimmten gegen den Verkauf. Gesundheit darf keine Ware werden, hieß der Slogan damals. Resultieren auch daraus Ihre Imageprobleme in Hamburg?
Wolfram: Nach allem was wir wissen, ist es um unser Image in Hamburg gar nicht so schlecht bestellt, wie es viele glauben machen wollen. Die Patienten jedenfalls stimmen mit den Füßen ab. Unsere Patientenzahlen steigen von Jahr zu Jahr. Das ist für uns der wichtigste Indikator dafür, dass unser Ruf absolut intakt ist. Und auch auf dem Personalmarkt können wir so unbeliebt nicht sein. Allein in diesem Jahr haben wir diverse Chef- und Oberarzt aus den Reihen des UKE nachbesetzt – also, wenn Sie so wollen, von der Konkurrenz.
Hankeln: Aber es stimmt, die Frage, darf man mit Gesundheit Geld verdienen, bleibt hochemotional.
Ihre Antwort?
Hankeln: Ein klares Ja. Man darf – wenn es, wie bei Asklepios, eine gesunde Balance zwischen Rendite und Verantwortung gibt. Nehmen Sie als Beispiel den Endoprothetik- und Implantatbereich. Unsere Ärzte entscheiden sich für die höchste Qualität, die man bestellen kann. Das ist gut für die Patienten. Wir holen dann über die standardisierten Bestellungen für die gesamte Gruppe die entsprechenden Rabatte im Einkauf raus. Das ist gut für alle. Wo ist das Problem?
Wolfram: Und bitte schauen Sie einmal in die Bilanz der ehemaligen Kliniken des Landesbetriebes Krankenhäuser. Hamburg machte jedes Jahr einen Verlust von 80 bis 90 Millionen Euro, dazu gab es einen riesigen Investitionsstau. Wir haben rund 1,1 Milliarden Euro in die Hamburger Häuser investiert, seit sie in unserer Obhut sind, davon 620 Millionen Euro aus Eigenmitteln.
Hankeln: Das ist im Übrigen ein wesentliches Merkmal, das uns von anderen privaten Klinikbetreibern unterscheidet: Unser Gesellschafter hat noch nicht einen Cent aus dem Unternehmen entnommen, wir reinvestieren jeden Gewinn zu 100 Prozent.
Ein Börsengang wird also für Sie nie ein Thema sein?
Hankeln: Wir haben uns das für Investitionen notwendige Kapital bisher z. B. über Anleihen auf dem Kapitalmarkt besorgt, dank der aktuellen Zinssituation zu sehr günstigen Konditionen. Ausschließen würden wir es trotzdem nie, dass wir auch einmal andere Wege gehen. Aber selbst wenn wir eines Tages an der Börse wären: Asklepios würde sich auch dann sicher den Charakter eines Familienunternehmens bewahren – so wie es anderen Unternehmen auch gelungen ist.
Werden Sie in den kommenden Jahren weitere Kliniken zukaufen?
Hankeln: Uns werden immer wieder Objekte angeboten. Aber sie sind zumeist nicht in einer Größenordnung, dass es für uns Sinn machen würde, sie weiterzubetreiben. Wir wollen vor allem organisch wachsen, das heißt über die Attraktivität unserer Häuser und damit über steigende Patientenzahlen. Wir stehen dank unseres Gesellschafters auch nicht unter dem Druck, jedes Jahr unter allen Umständen um einen gewissen Prozentsatz wachsen zu müssen. Aber strategisch sinnvolle Zukäufe machen wir gern. Wir haben uns jetzt etwa an dem IT-Dienstleister Meierhofer beteiligt, der auf Kliniken spezialisiert ist. Zukäufe dieser Art, die sich entlang unserer Wertschöpfungskette bewegen, werden wir in Zukunft sicher häufiger tätigen.
Wie passt der Kauf des Atlantic-Hotels in diese Strategie?
Wolfram: Sämtliche Hotel-Engagements werden wirtschaftlich völlig separat von unseren sonstigen Aktivitäten geführt. Uns ist auch sehr wichtig, dass in den Kauf etwa des Atlantic nicht ein einziger Euro aus Asklepios-Erträgen geflossen ist. Der Kauf wurde komplett fremdfinanziert, das war möglich, da das Hotel sehr gut läuft. Für die Gruppe sind solche Hotels wichtig, da wir damit Angehörigen von wohlhabenden ausländischen Patienten adäquate Unterkünfte anbieten können Das UKE hat aus demselben Grund auch ein Hotel auf dem Krankenhausgelände. Zum Kerngeschäft von Asklepios gehört das Atlantik aber natürlich nicht.
Lassen Sie uns abschließend noch über die Situation in den deutschen Notaufnahmen reden. Rund 20 Millionen Patienten suchen diese pro Jahr auf, viele sind hoffnungslos überfüllt. Was ist zu tun?
Wolfram: Im Klinikum Heidberg haben wir eine sehr gute Lösung gefunden. Wir haben dort mit der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig Holstein in unserem Krankenhaus eine ambulante Notfallpraxis geschaffen. Es gibt eine gemeinsame Aufnahme, wo die Patienten bei einer sogenannten Triage nach einem ersten Eindruck aufgeteilt werden. Die leichteren Fälle kommen in die Praxis, die anderen in die Notaufnahme. Das wäre auch für andere Standorte sinnvoll. Das Beispiel zeigt: Es gibt im Krankenhauswesen noch erhebliche Potenziale, im Interesse aller Beteiligten effizient zu wirtschaften.