Gewerkschaften fordern mehr Personal für Kliniken. Allein in Hamburg fehlen 4200 Stellen. Das gefährde Patienten und Mitarbeiter.

Stellen Sie sich vor, Sie liegen nach einer Operation auf der Intensivstation und bekommen plötzlich unerträgliche Schmerzen. Sie drücken den Klingelknopf, um eine Schwester oder einen Pfleger zu rufen. Und es passiert – nichts. Mehr als eine halbe Stunde müssen sie die Schmerzen ertragen, bis endlich jemand kommt. Oder, noch schlimmer: Die maschinelle Überwachung eines Patienten löst einen Alarm aus – aber minutenlang kommt niemand vom Fachpersonal, um die notwendigen Schritte zur Lebensrettung einzuleiten.

In deutschen Kliniken ist das offenbar Alltag – auch in Hamburg. So jedenfalls haben es am Montag Schwestern der Intensivstation eines Hamburger Krankenhauses dem Abendblatt geschildert. Es gebe so wenig Personal, dass man auf manche Notrufe erst mit großer Verspätung reagieren könne. Ähnlich stellen auch die Gewerkschaft Ver.di und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Situation dar. Deswegen haben sie am Montag eine bundesweite Aktion mit dem Ziel gestartet, einen „Tarifvertrag Entlastung“ in den Krankenhäusern durchzusetzen.

Allein in Hamburg fehlen 4200 Pflegestellen

„In Hamburg fehlen nach unserer Berechnung 4200 Stellen in den Krankenhäusern“, sagte Ver.di-Fachbereichsleiterin Hilke Stein beim Auftakt der Aktion im Bürgerhaus Wilhelmsburg. Die Personalnot wirke sich sowohl auf die Patientenversorgung wie auch auf die Gesundheit der Mitarbeiter aus. Gesundheitspfleger seien überdurchschnittlich häufig von psychischen Erkrankungen und Frühverrentungen betroffen. Das liege auch daran, dass der Versorgungsschlüssel in Deutschland besonders schlecht sei. So müsse hier eine Gesundheitspflegekraft im Durchschnitt 10,3 Patienten versorgen – während es etwa in Norwegen nur 3,8 seien.

Ziel des Entlastungs-Tarifvertrages seien erstens die Einstellung von mehr Personal, zweitens die Einführung verlässlicher Arbeitszeiten und ein Belastungsausgleich für die Mitarbeiter. Auf Intensivstationen müsse endlich der längst empfohlene Schlüssel von einer Pflegekraft für zwei Patienten gelten – und es dürfe nicht mehr sein, dass eine Pflegekraft allein die Nachtschicht übernehmen müsse. Denn das führe u.a. dazu, dass die Mitarbeiterin nicht einmal mehr auf die Toilette gehen könne, da sie immer präsent sein müsse.

Bei der nun gestarteten Aktion bitten Pflegepersonal und Gewerkschaften die Hamburger um ihre Unterstützung. Sie sollen die Forderung nach besserer Krankenhauspflege mit einer Onlinepetition auf der Plattform change.org unterstützen. Auch sollen Unterschriften auf herkömmliche Weise gesammelt werden. „Studien belegen, dass mit jedem zusätzlich zu betreuenden Patienten das Sterberisiko um sieben Prozent steigt“, heißt es im „Hamburger Appell für mehr Krankenhauspersonal“. Leidtragende seien Patienten und Angehörige. „Wir alle können jederzeit in eine Situation kommen, in der wir auf professionelle Hilfe angewiesen sind.“ Die Unterschriftenaktion sei Teil einer bundesweiten Initiative so Ver.di. Der DGB Hamburg unterstützt die Initiative.

„Gute Pflege geht uns alle an“, sagte Hamburgs DGB-Chefin Katja Karger. „Deswegen unterstützen alle Hamburger Gewerkschaften die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern. Die Beschäftigten dort arbeiten mit viel Engagement, oft unter extremer Belastung und bis zur völligen Erschöpfung.“ Es könne nicht sein, „dass diejenigen, die uns pflegen, selber von ihrer Arbeit krank werden“, so Karger. „Deswegen brauchen wir dringend mehr Personal und mehr Entlastung für die Beschäftigten in Hamburgs Krankenhäusern.“

Krankenhausgesellschaft weist Forderungen zurück

Die Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, Claudia Brase, wies die Forderungen zurück. „Die 4200 fehlenden Pflegekräfte sind ohne wissenschaftliche Grundlage, da es keine objektive Berechnungsgrundlage für die Personalausstattung gibt“, sagte Brase dem Abendblatt. Die Zahl basiere auf einer Befragung, „wie viele Kolleginnen und Kollegen hätten Sie denn gerne noch zusätzlich?“. Im „Pflege- und Funktionsdienst“ seien die Stellen in den vergangenen zehn Jahren „um 25,7 Prozent in Vollkräften“ aufgestockt worden, so Brase. „Das Entscheidende ist eine ausreichende Personalkostenfinanzierung für die Krankenhäuser. Die von Ver.di geforderten Personalvorgaben sind nicht die Lösung, sondern behindern krankenhausindividuelle und innovative Lösungen.“ Zudem werde es immer schwieriger Fachpersonal zu bekommen, besonders für die Intensivstationen, so Brase.

Unterstützung bekommt Ver.di dagegen von der SPD-Bürgerschaftsfraktion. „Wie im SPD-Wahlprogramm und im rot-grünen Koalitionsvertrag bereits angekündigt, unterstützt die SPD-Fraktion das Ver.di-Anliegen“, hieß es aus dem Rathaus. SPD-Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks sei Mitglied einer Expertenkommission beim Gesundheitsministerium, die ein Pflegebemessungssystem erarbeite. Dort setze sie sich für die Festlegung von verbindlichen und überprüfbaren Bemessungsstandards für die Personalausstattung bei Kranken- und Altenpflege ein.

„Gute Behandlungsqualität im Krankenhaus braucht gute Pflege“, sagte SPD-Gesundheitspolitikerin Sylvia Wowretzko. „Dafür brauchen wir mehr Krankenpflegerinnen und -pfleger, die sich mit ausreichender Zeit und Sorgfalt um die Patientinnen und Patienten kümmern können.“

Linken-Gesundheitspolitiker Deniz Celik warf der SPD vor, sie verhalte sich "scheinheilig, wenn die Bürgerschaftsfraktion den Verdi-Aufruf unterstützt, aber im Parlament angesichts des Pflegenotstands untätig bleibt". Wäre der politische Wille, etwas zu verändern, bei der SPD "wirklich vorhanden, könnte sie auf der Stelle mit unserer Unterstützung die Mindestbesetzung in den Krankenhäusern als Qualitätskriterium in das Hamburgische Krankenhausgesetz aufnehmen", so Celik.