Glinde. Nur noch eine Gemeinschaftsschule in Glinde. Womöglich gibt es ein Bürgerbegehren. Befürworter und Gegner der Fusion argumentieren.

Von wegen Friede, Freude, Eierkuchen: Auch nach der im vergangenen November beschlossenen Fusion der beiden Glinder Gemeinschaftsschulen zum Sommer 2018 ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Thema weiter emotional debattiert wird. Denn die Bildungseinrichtung in Wiesenfeld ist von der Zwangsehe mit der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule, die sich wiederum für die Hochzeit ausgesprochen hat, nicht begeistert. Die Elternschaft startet womöglich ein Bürgerbegehren. Ihre Argumente und jene der Fusionsbefürworter lesen Sie unten im Pro und Contra.

Die Wiesenfelder stört auch, dass sie zum neuen Partner an den Oher Weg ziehen müssen und das dort ansässige Gymnasium ihre Räume am Holstenkamp erhält. In diesen Standort investiert Glinde elf Millionen Euro. Nach sechs Jahren werden die Arbeiten spätestens im August beendet sein. Ihren maßgeschneiderten Neubau dürfen die Schüler nur kurz genießen.

Überraschend ist die Zusammenlegung nicht, sondern von langer Hand geplant. Schon im Frühjahr 2014 gab es Gespräche zwischen Fraktionen und Schulleitungen. Im November 2015 beschlossen die Stadtvertreter die Fusion, ohne jedoch ein Datum zu nennen. Danach wurde eine von Moderatoren begleitete Lenkungsgruppe aus Vertretern der Schulen und der Verwaltung mit der Erarbeitung eines Zeitplans und der inhaltlichen Gestaltung der Fusion beauftragt.

In den politischen Sitzungen kam es jedoch immer wieder zu hitzigen Debatten mit dem Ziel der Wiesenfelder, die Entscheidungsträger umzustimmen. Vergebens. Selbst am 24. November – an jenem Abend beschlossen die Stadtvertreter einstimmig den Fusionstermin, nachdem sie schon fünf Wochen zuvor einen gemeinsamen Antrag formuliert hatten – gingen am Vormittag rund 600 Schüler und Eltern der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld auf die Straße, um dagegen zu protestieren.

Johannes Haarbeck, Leiter der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld, sagte dem Hamburger Abendblatt, er sei kein Freund der Zusammenlegung. „Man hätte erst die nötigen Umbauarbeiten für eine Fusion planen müssen, um dann einen Termin festzulegen.“ Doch damit nicht genug der Kritik: „Ich habe den Eindruck, dass unsere Bedenken nicht berücksichtigt werden.“

Sascha Plaumann, Leiter der Sönke-Nissen-Schule, sagt, man habe sich in der Lenkungsgruppe ein Stück weit angenähert. Vorteil einer Fusion sei auch, dass kein Schüler mehr eine Ablehnung seiner Wunschschule fürchten müsse. Die beiden Schulleiter hatten jüngst einen gemeinsamen Weihnachtsgruß verfasst. Das macht Philipp Maschmann, Elternbeiratsvorsitzender der Sönke-Nissen-Schule, Hoffnung. Er sagt: „Alle sollten ihre Stärken einbringen und positiv in die Zukunft blicken. Es geht um das Wohl der Kinder.“

Laut Bürgermeister Rainhard Zug sind keine finanziellen Ressourcen vorhanden, um in Sachen Fusion „am Oher Weg bis Sommer 2018 bautechnisch etwas hinzubekommen“. Viele Wiesenfelder Eltern sind verärgert und wollen den Beschluss nicht akzeptieren. Sie könnten ein Bürgerbegehren starten. „Das prüfen wir“, sagt der Schulelternbeiratsvorsitzende Jürgen Reumann.

Pro Schulfusion

Petra Grüner ist Stadtvertreterin und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen. Die 55 Jahre alte Sonderschullehrerin fasst die Argumente der Fusionsbefürworter zusammen.

1. Sönke-Nissen-Schule hat große Nachteile

Petra Grüner ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und Sonderschullehrerin
Petra Grüner ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen und Sonderschullehrerin © HA | René Soukup

Die Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule hat keine Oberstufe und ist für alle, die das Abitur anstreben, wenig attraktiv. Deshalb stimmt dort auch das angestrebte Mischverhältnis zwischen Haupt-, Real-, und Gymnasialschülern überhaupt nicht. Gemeinschaftsschulen sind Einrichtungen, in denen alle möglichst lange gemeinsam lernen sollen. Dies findet in der Sönke-Nissen-Schule nicht statt. Mit einer Gemeinschaftsschule für alle erhöht Glinde seine Attraktivität als Schulstandort.

2. Derzeitige Schullandschaft in der Stadt ist ungerecht

Es gibt in Glinde ein Zwei-Klassen-System, das zu Ungleichgewicht und Ungerechtigkeit bei der Schulwahl führt. Wiesenfeld nimmt pro Schuljahr 100 Kinder auf, lehnt den Rest ab – sucht sich also die Schülerschaft aus. Die Sönke-Nissen-Schule hat pro Jahr rund 30 Anmeldungen, startet dann aber mit 60 – die Hälfte wollte ursprünglich gar nicht an die Schule. Bis Klasse 9 verdoppelt sich die Zahl pro Jahrgang, ständig werden Klassenzusammensetzungen verändert, was das Sozialgefüge immer wieder durcheinander würfelt.

3. Chancengleichheit für Glinder Schüler

Die Gemeinschaftsschule Wiesenfeld sollte sich als Schule für Glinder verstehen. In Wahrheit hat sie aber einen knapp 60-Prozent-Anteil von Schülern aus den umliegenden Gemeinden. Diese Zusammensetzung liegt alleine in der Verantwortung der Schule. Das kann nicht im Interesse des Schulträgers sein.

4. Mehrzahl der Schulen sind für Fusion und Umzug

Die Stadt Glinde hat beschlossen, dass die beiden Gemeinschaftsschulen fusionieren sollen. Während die Schulkonferenz der Sönke-Nissen-Schule das Vorhaben begrüßt, lehnt jene der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld dieses ab. Das Gymnasium befürwortet einen Umzug. Das heißt, die Mehrzahl der Schulen sind mit den Plänen einverstanden.

5. Integration der Flüchtlinge ist Aufgabe aller Schulen

Die Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule ist das DAZ-Zentrum (Deutsch als Zweitsprache) ab Klasse 5 und hat bei mehr als 500 Schülern im DAZ-Unterricht zurzeit 92 von ihnen. Das sind vor allem Flüchtlingskinder, die neben den sprachlichen Problemen oft massive psychische Probleme und Traumata zu bewältigen haben. Die Integration muss Aufgabe aller Glinder Schulen sein.

6. Auch eine große Schule kann eine gute sein

Es wird immer wieder behauptet, dass eine fusionierte Schule mit dann rund 1350 Schülern zu groß sei, weil es zu anonym und unübersichtlich wäre. Es gibt in nächster Umgebung große Gemeinschaftsschulen wie die Stadtteilschule in Bergedorf mit 1500 und die Stadtteilschule Lohbrügge mit rund 1200 Schülern, die als sehr attraktiv gelten, weil sie ein vielfältiges Profilangebot haben.

7. Keine neue Großbaustelle

Die Schule Wiesenfeld führt ins Feld, dass ihre Schüler in den vergangenen Jahren auf einer Baustelle lernen mussten und nach Abschluss der Arbeiten in absehbarer Zeit erneut umziehen müssten. Das stimmt und ist auch nicht schön. Aber zu behaupten, dass es dann am Oher Weg gerade so weitergeht, ist nicht fair. Der Umbau einzelner Fachräume ist nicht annähernd mit der Großbaustelle in der Wiesenfeld-Schule zu vergleichen.

8. Es passt finanziell

Die Schulfusion in Glinde kostet die Stadt nach Schätzung von Sachverständigen drei bis vier Millionen Euro. Dazu kommen Investitionen, die immer wieder aufgeschoben worden sind wie die Sanierung der Turnhallen am Schulzentrum Oher Weg. Die 16 Millionen Euro, die durch die Diskussionen geistern und als Verzögerungstaktik herhalten müssen, beinhalten Neubauten, die man in vielleicht zehn bis 15 Jahren realisieren kann wie etwa den Bau einer Turnhalle im Wiesenfeld.

9. Die Argumente sind ausgetauscht

Im Frühjahr 2014 gab es die ersten Gespräche über die Schulentwicklungsplanung in Glinde mit allen irgendwie Beteiligten. „Fast einhellig“ (Zitat aus dem Protokoll) war man damals für die Fusion der beiden Gemeinschaftsschulen. Zweieinhalb Jahre gab es etliche Diskussionen in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Die Fusion war Tagesordnungspunkt auf jeder Sitzung des Kulturausschusses. Der Vorwurf, die Zeit war zu knapp, ist damit wohl widerlegt.

Contra Schulfusion

Jürgen Reumann (46) ist Schulelternbeiratsvorsitzender in Wiesenfeld. Er nennt die Argumente der Fusionsgegner.

1. Angst vor einer anonymen Lernfabrik

Jürgen Reumann ist Schulelternbeiratsvorsitzender der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld
Jürgen Reumann ist Schulelternbeiratsvorsitzender der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld © HA | René Soukup

Schüler, Eltern und Lehrer der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld treten zur Lösung des Problems der gesicherten Existenz der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule für den Erhalt zweier Schulen ein, weil sonst eine anonyme Lernfabrik mit rund 1300 Schülern entsteht. Es ist seit Langem wissenschaftlich erwiesen, dass Schulen dieser Größe ihre pädagogischen Herausforderungen wesentlich schlechter bewältigen können. Dies wurde mehrfach durch die Schulsozialarbeiter der Stadt Glinde angemahnt. Zudem wäre diese Schule völlig unzureichend ausgestattet.

2. Schüler wandern nach Hamburg ab

Bei einer Fusionierung werden höchstwahrscheinlich viele Schüler an Schulen der umliegenden Gemeinden oder aufgrund des Gastschulabkommens nach Hamburg abwandern. Hierdurch entstehen Glinde Mindereinnahmen durch ausbleibende Schülerkosten anderer Gemeinden. Das belastet den ohnehin verschuldeten Haushalt zusätzlich.

3. Fusion zerstört Bildungsvielfalt

Die vorhandene Bildungsvielfalt in Glinde mit zwei Gemeinschaftsschulen wird durch eine Fusion zerstört. Bei entsprechender Stärkung der Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule wäre sogar eine noch höhere Attraktivität zu erwarten.

4. Zu hohe Kosten

Die Kosten für eine Fusion belaufen sich laut der Machbarkeitsstudie von Trapez Architektur auch ohne eine neue Sporthalle auf mindestens zehn Millionen Euro. Die Politik in Glinde ist jedoch seit Jahren nicht bereit, die erforderlichen Haushaltsmittel für die längst beschlossenen Sanierungen und Umbauten am Schulzentrum rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Dass jetzt für ein zumindest fragwürdiges pädagogisches Konzept weitere vier Millionen zur Verfügung stehen sollen, klingt in höchstem Maße unseriös.

5. Kooperation ist besser

Es gibt eine kostengünstigere Lösung in Form einer Kooperation zwischen den Schulen in der Sekundarstufe I mit dem Ziel einer garantierten Übernahme der qualifizierten Schüler in die Oberstufe der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld. Die Kooperation könnte auch auf das DAZ-Zentrum und zum Beispiel auf das Konzept der Profilklassen ausgedehnt werden. Dafür ist kein Umzug nötig.

6. Schulentwicklungsplan besser abwarten

Die Sönke-Nissen-Gemeinschaftsschule hat keine rückläufigen Schülerzahlen, deshalb gibt es auch keine Eilbedürftigkeit für eine Fusion. Vielmehr sollte ein aktueller Schulentwicklungsplan, der für 2017 avisiert ist, abgewartet werden, der auch das Gastschulabkommen mit Hamburg berücksichtigt. Die Fusionsentscheidung erfolgte nämlich auf Basis eines mittlerweile überholten Schulentwicklungsplanes aus dem Jahr 2013.

7. Schule Wiesenfeld verliert ihre Identität

Von der Politik wurde wiederholt eine „Lösung im Einvernehmen“ versprochen. Eine Fusion macht die Gemeinschaftsschule Wiesenfeld eindeutig zum Verlierer. Sie verliert neben dem lang ersehnten neuen Gebäude auch ihre Identität als überschaubare und erfolgreiche Schule, die sie sich in einem Zeitraum von mehr als 25 Jahren durch jahrelange intensive Arbeit am Schulprogramm erarbeitet hat.

8. Dauerbaustelle schränkt Schüler ein

Die neuen Gebäude am Holstenkamp sind auf die Bedürfnisse und das Konzept der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld ausgerichtet und nicht auf die eines Gymnasiums. Gleiches gilt für die Räume am Oher Weg in Bezug auf unsere Einrichtung. Die Folge einer Fusion sind umfangreiche Umbauarbeiten mit den damit verbundenen Einschränkungen für Schüler. Jungen und Mädchen aus Wiesenfeld müssten von einer Dauerbaustelle auf die nächste umziehen. Aufgrund der Haushaltslage der Stadt ist zu befürchten, dass die neue Dauerbaustelle eine Schülergeneration überdauern könnte.

9. Schüler finden sich schwerer zurecht

Die an der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld gern aufgenommenen Schüler werden in einer größeren Bildungseinrichtung mehr Schwierigkeiten haben, sich zurechtzufinden. Vielleicht möchte aber auch die Glinder Politik ein Zeichen gegen die Inklusion und für den stärkeren Verbleib der behinderten Schüler an den Förderzentren setzen.