Oststeinbek. Das Abendblatt begleitet den Integrationsprozess eines 24 Jahre alten Irakers, der in Oststeinbek lebt. Dritter Teil der Serie.
Er ist einer von 2918 Flüchtlingen, die derzeit in Stormarn leben. Für Zedan Khalaf Kassim ist Oststeinbek zur neuen Heimat geworden. Dort kam der Iraker – er gehört der religiösen Minderheit der Jesiden an – im August 2014 unter. In Khanasor im Norden des Landes war er seines Lebens nicht mehr sicher, rettete sich vor den Isis-Terroristen, die auch Freunde von ihm ermordeten. Seit vergangenem Juli ist der 24-Jährige anerkannter Flüchtling und hat inzwischen eine eigene Wohnung. Ein Zurück gibt es für den jungen Mann nicht. Er hat sich ein soziales Umfeld aufgebaut und konkrete Pläne für die Zukunft in Deutschland. Ob seine Wünsche jedoch in Erfüllung gehen? Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn begleitet den Integrationsprozess von Zedan Khalaf Kassim. Er berichtet in unregelmäßigen Abständen über seine Erlebnisse. Lesen Sie heute den dritten Teil unserer Serie:
Zedans Verlobte Schirin scheitert an der geschlossenen Balkanroute
Es war alles vorbereitet, um das nächste Mosaiksteinchen zu meinem Glück hinzuzufügen. Das Ersparte aus meinem ersten Job bei einem Kaminbauer hatte ich meiner Verlobten Schirin zukommen lassen, damit sie bald bei mir sein kann. Hier, in meiner eigenen Wohnung, meiner kleinen Wohlfühloase, eineinhalb Zimmer, 46 Quadratmeter, im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses in Oststeinbeks Ortsmitte gelegen. Bis nach Diyarbakır in Südostanatolien in der Türkei hatte sie es geschafft, war mit dem Bus aus dem Auffanglager im Singhal-Gebirge im Irak dort hingekommen. Geplant war der weitere Weg über Griechenland und die Balkanroute nach Deutschland. Doch dann wurde sie dicht gemacht. Das war ein Schock für uns beide. Schirin ist 20 Jahre alt, zwei Wochen hat sie noch in der Türkei abgewartet, wie sich die Sache entwickelt. Ein Durchkommen ist nach wie vor unmöglich. Jetzt ist sie wieder im Irak. Trotzdem bin ich mir sicher, dass wir zueinander finden und heiraten werden. Nur wann?
Der Iraker hat die Möglichkeit, einen Antrag auf Zuweisung seiner Verlobten zwecks Eheschließung zu stellen. Doch die Hürden sind hoch. Zuerst muss Zedan das Aufgebot bestellen, seine Verlobte ein notariell beglaubigtes Einverständnis abgeben und zugleich Deutschkenntnisse des Sprachniveaus A 1 nachweisen, um mit einem entsprechenden Zertifikat ein Visum zu beantragen. Chancen, auf legalem Wege nach Deutschland zu gelangen, hat Schirin aber auch nur dann, wenn Zedan eine Wohnung hat und genug verdient, um sie zu ernähren.
Um nach Deutschland kommen zu können, muss Schirin erst Deutsch lernen
In diesem Jahr und auch im kommenden wird das bestimmt nichts. Schirin muss die deutsche Sprache erst lernen. Und selbst das ist ein Problem. In Erbil bietet das Goethe-Institut Kurse an, das ist jedoch zwei Stunden mit dem Auto vom Auffanglager entfernt. Verwandte, die ihr Unterschlupf gewähren könnten, hat sie in Erbil nicht. Und ein Hotel ist zu teuer. Wir müssen uns also gedulden. Vorerst bleibe ich also allein in meiner Wohnung. Meine Familie, die genauso wie Schirin in einem Camp im Irak Zuflucht gefunden hat, ist sehr stolz auf mich. Meine Eltern und Geschwister wären froh, wenn sie so ein tolles Zuhause hätten. Nach Deutschland werden sie aber nicht kommen.
In seinem neuen Zuhause, das er am 15. Februar bezogen hat, glänzt es. Die weißen Küchenfliesen sind gewischt, auf dem Vinylboden in Holzoptik im Wohnzimmer ist kein Staub zu sehen. Sauberkeit herrscht auch im Sanitärbereich. Das ist Zedan sehr wichtig. Zwei Holzvitrinen hat er geschenkt bekommen, sich eine Couchgarnitur im Sozialkaufhaus in Reinbek für 135 Euro zugelegt. Die meiste Zeit verbringt er am Wohnzimmertisch beim Deutsch Lernen.
Seit Januar besuche ich einen Integrationskursus bei der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein in Glinde. Mitte August stehen die Prüfungen an. Wenn ich richtig gut bin, erreiche ich das Sprachniveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens. Das wird schwer, sagen meine Lehrer. Deshalb wird es wohl auf die niedrigere Stufe A 2 hinauslaufen. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Ohne meinen privaten Lehrer Burckhardt, der mit mir täglich zwei bis drei Stunden ehrenamtlich die Sachen aus der Schule nacharbeitet, hätte ich auch Probleme, die Stufe A 2 zu schaffen.
In seiner Heimat ist Zedan nie zur Schule gegangen. Sein Oststeinbeker Sprachlehrer sagt, der Iraker benötige mehr Zeit als Flüchtlinge mit einer Schulbildung, um gewisse Dinge zu begreifen. Zedan sei jedoch sehr ehrgeizig und habe viel Ausdauer beim Lernen. Sollte er die Stufe A 2 nicht schaffen, muss er drei Monate nachsitzen, um dann einen neuen Anlauf zu nehmen.
Er will wieder bei der Kaminbaufirma arbeiten
Als ich vor rund zwei Monaten im Abendblatt über meine Entwicklung berichtete, habe ich mich voll auf die Schule fokussiert. Daran hat sich auch nichts geändert. Meine Freizeit ist begrenzt, der internationale Männertreff im Ort am Mittwoch jedoch ein fester Termin. Den Job bei der Kaminbaufirma musste ich wegen des Integrationskurses aufgeben. Ich vermisse ihn genauso wie die Kollegen. Mit Dirk, einem Angestellten der Firma, habe ich immer noch Kontakt. Und demnächst werden wir auch zusammenarbeiten. Ich will dort wieder in begrenztem Umfang anfangen, bis zu elf Stunden im Monat helfen. Die Chefin stimmt dem zu. Mehr Stunden darf ich nicht arbeiten. Das ist gesetzlich so vorgeschrieben. Aber wenn ich die Schule beendet habe, dann will ich einem sozialversicherungspflichtigen Job nachgehen und die Wohnung von meinem eigenen Geld bezahlen. Ich erfahre hier sehr viel Unterstützung, will zumindest ein bisschen zurückgeben und dort helfen, wo ich es kann.
Bei der landesweiten Aktion „Unser sauberes Schleswig-Holstein“ im März hat Zedan mit anderen Flüchtlingen Grünflächen in Oststeinbek gesäubert und Müll eingesammelt. Er war einer der ersten, die sich beim Treffpunkt eingefunden hatten. Seine Zuverlässigkeit bestätigen auch die Helfer des Flüchtlingshilfevereins.
„Schirin und ich kommunizieren täglich“
Klasse war auch am vergangenen Wochenende das Maibaumfest in meiner Gemeinde. Speziell der Umzug mit Traktoren und Anhängern am Sonnabend hat es mir angetan, da ist der ganze Ort auf den Beinen gewesen. Ich habe als sogenannter Radengel den Anhänger des Deutschen Roten Kreuzes begleitet und aufgepasst, dass die Kinder Abstand halten. Es macht mich glücklich, in die strahlenden Augen der Kleinen zu schauen, wenn sie die Süßigkeiten fangen, die von den Anhängern geschmissen werden. Abends habe ich meiner Verlobten davon berichtet. Wir kommunizieren täglich über Facebook oder den Kurznachrichtendienst WhatsApp. Bisher lief es für mich hier traumhaft, immer ging es voran. Jetzt bin ich durch die Sache mit Schirin – um es mal überspitzt zu formulieren – in der Realität angekommen. Die ist aber immer noch sehr gut. Rückschläge gehören eben auch zum Leben.