Oststeinbek. Wir begleiten Zedan Khalaf Kassim in einer Serie ein Jahr lang. Er stammt aus dem Irak, lebt jetzt in Oststeinbek und schildert im Abendblatt seinen Weg
Etwa 2000 Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten haben mittlerweile eine Zuflucht in Stormarn gefunden. Der Kreisverwaltung zugewiesen, von Bad Oldesloe verteilt auf die Städte und Gemeinden. Besonders viel wird berichtet über die Sorgen und Nöte der Kommunen, die durch die große Zahl der Flüchtlinge vor eine große Herausforderung gestellt werden, organisatorisch und finanziell. Und über Hunderte Ehrenamtliche, die den Asylsuchenden helfend zur Seite stehen. Doch wie denken die Flüchtlinge aus Syrien, aus Afghanistan oder dem Irak über die Menschen in Stormarn? Wie bewerten Sie unsere Empfangskultur, wie empfinden Sie das Leben in Stormarn? Um einen besseren Einblick in die Situation der Flüchtlinge zu bekommen, begleitet die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn in den kommenden zwölf Monaten Zedan Khalaf Kassim und lässt den jungen Mann, der vor der Mörderbande des IS aus dem Nordirak nach Deutschland geflohen ist und in Oststeinbek eine neue Heimat gefunden hat, in unregelmäßigen Abständen seine Erlebnisse schildern. Lesen Sie heute den ersten Teil unserer neuen Serie:
Endlich Frieden. Keine Schüsse mehr, die mich in der Nacht aus dem Schlaf reißen. Und endlich keine Angst mehr vor dem Tod, den schwarzmaskierten Männern, die bewaffnet durch Ortschaften ziehen und eine Spur der Verwüstung hinterlassen, für die ein Menschenleben nicht viel wert ist. Das waren meine ersten Gedanken, als ich im August 2014 nach Oststeinbek kam. Hier lebe ich noch immer. Mein Name ist Zedan Khalaf Kassim und ich bin 23 Jahre alt. Oststeinbek ist inzwischen mein Zuhause. Die vergangenen 16 Monate, sie haben mir so vieles gebracht: Unterstützung von mehreren Seiten und vor allem Freunde, auf die ich zählen kann. Auch mein größter Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Seit 1. November habe ich einen Job, verdiene mein eigenes Geld und fühle mich gebraucht. Endlich.
Zedan ist Jeside und im Shingal-Gebirge im Nordirak aufgewachsen. Dort wüten die Terroristen des Islamischen Staates (IS), plünderten das Haus seiner Familie in Khanasor. Viele Gebäude im Ort sind zerstört, viele seiner Freunde wurden umgebracht. Deswegen flüchtete der junge Mann über den Balkan nach Deutschland, zahlte einem Schlepper sein Erspartes, 12.000 US-Dollar.
Es war wie ein Geschenk, als mir meine Chefin während des Praktikums mitteilte, dass ich als Helfer weiterarbeiten kann. Vollzeit, bei einer Firma im Ortsteil Havighorst, die Kamine einbaut. Mit der Bezahlung bin ich sehr zufrieden, bekomme den Mindestlohn. 1089 Euro netto sind es im Monat. Eine Schule habe ich nie besucht, im Irak als Steineverleger gearbeitet.
Einige meiner Vorkenntnisse kann ich jetzt einbringen. Der Job macht unheimlich Spaß: Materialeinkauf im Baumarkt, flexen und sägen, dazu immer im Team unterwegs. Und ich komme viel herum, war in Lüneburg, Wentorf, am Dammtor und im Mittelweg in Hamburg. Auf dem Weg dorthin schaue ich viel aus dem Fenster unseres Kleinbusses, erfreue mich an der Landschaft. Hier ist alles so gepflegt. Ja, ich habe es schon gut getroffen.
Seit Juli ist der Iraker anerkannter Flüchtling und hat drei Jahre Bleiberecht. Nach einem vierwöchigen Praktikum wurde er als Helfer eingestellt. Von seinem ersten Gehalt hat er sich Jeans, Pullover und T-Shirts gekauft. Seine HVV-Monatskarte zahlt er selbst, 102 Euro pro Monat. Die Firma würde Zedan auch ausbilden, dafür müssen seine Deutschkenntnisse aber besser sein.
Natürlich ist das auch ein Verdienst der Kollegen, die mich mit offenen Armen aufgenommen haben. Der Geselle Dirk hat mich zuletzt auf den Kiez nach St. Pauli eingeladen. Wir waren in einer Disco, haben getanzt. Ich bin das erste Mal dort gewesen, eine tolle Atmosphäre. Ich verstehe mich mit allen Kollegen sehr gut, spreche aber nicht von Freundschaften. Zumindest noch nicht.
Meine Freunde heißen zum Beispiel Jakob, Burckhardt und Rüdiger vom Flüchtlingshilfeverein im Ort. Mit ihnen treffe ich mich immer mittwochs beim internationalen Männertreff in der Kirche, dort spielen wir zum Beispiel Billard und Tischtennis. Jakob ist mein Mentor, mit Rüdiger erledige ich Behördengänge, und Burckhardt, ein Rentner, ist mein Deutschlehrer. Er besucht mich fünfmal pro Woche für eineinhalb Stunden, meistens nach der Arbeit. Wir kommen voran, ich verstehe schon sehr viel, habe aber Probleme, mich auszudrücken. Gerade die Satzstellung bereitet mir Schwierigkeiten.
Anfang kommenden Jahres soll Zedan bei der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA) mit einem Integrationskursus, der über mehrere Monate andauert, beginnen. Ziel ist es, das Sprachniveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens zu erreichen. Zudem werden ihm dort Kenntnisse über die Rechtsordnung, Kultur und Geschichte Deutschlands vermittelt. Mit einem Vollzeitjob fiele der Iraker jedoch aus dem Förderprogramm und müsste den Kursus selbst zahlen.
Burckhardt und Jakob betonen immer, wie wichtig der Integrationskursus für mich ist. Dafür muss ich den Job aufgeben, möchte das aber nicht. Mein Wunsch wäre, fünf Stunden am Tag zu arbeiten und fünf Stunden zu lernen. Das ist jedoch nicht möglich. Deshalb zweifle ich gerade und hoffe, zumindest einige Stunden in der Woche arbeiten zu können. Meine Freunde sagen, der Kursus erhöhe meine Chancen auf einen Ausbildungsplatz und biete langfristig die Möglichkeit, mehr Geld zu verdienen. Womöglich denke ich nicht vorausschauend genug. Mein Freund Ali, mit dem ich geflüchtet bin und der in Bad Oldesloe lebt, macht gerade diesen Kursus. Vielleicht kann er mich vollends davon überzeugen.
An meinem Anspruchsdenken wird es aber nichts ändern. Ich benötige nicht viel Materielles, um glücklich zu sein. Die Freiheit, die ich hier genieße, ist ein hohes Gut, wichtiger als alles andere. Und ich wünschte, meine Familie und meine Freundin wären in der selben Situation wie ich.
Zedans Eltern und die sechs Geschwister im Alter von 15 bis 24 Jahren leben in einem Auffanglager im Irak. Ebenso seine 24 Jahre alte Freundin Schirin, allerdings an einem anderen Standort rund 100 Kilometer entfernt.
Mein Ziel ist es, Schirin nach Deutschland zu holen. Dafür spare ich und werde meinen Eltern irgendwann Geld überweisen, damit sie einen Schlepper organisieren. Wie viel das kostet, weiß ich nicht. Nur, dass die Preise nicht mehr so hoch sind wie vor einem Jahr. Ein Zurück in die Heimat gibt es für mich nicht, Deutschland ist mein Zuhause. Noch lebe ich in einer gemeindlichen Unterkunft mit fünf Männern aus unterschiedlichen Nationen, darunter Christen und Moslems, würde jedoch gern eine Ein-Zimmer-Wohnung in Oststeinbek beziehen und bin auf der Suche. Konflikte haben wir nicht. Hier im Kleinen klappt das Zusammenleben auf engstem Raum. Warum nicht auch in meiner Heimat oder in Syrien? Eine Antwort darauf werde ich wohl nie bekommen.
Was jetzt in Syrien passiert, finde ich richtig: dass viele Staaten zusammen den IS bekämpfen. Jene Menschen, die Andersdenkende nicht akzeptieren, rücksichtslos sind und morden. Die Anschläge in Paris haben mich schockiert, ich war wie gelähmt. Auch wenn es heißt, die Gefahr eines Anschlags in Deutschland sei vorhanden: Ich fühle mich hier sicher.