Oststeinbek. Das Abendblatt begleitet den Integrationsprozess eines 23 Jahre alten Irakers, der in Oststeinbek lebt. Zweiter Teil der Serie
214 Flüchtlinge kamen im Januar nach Stormarn, die von der Kreisverwaltung in Bad Oldesloe auf die Kommunen verteilt wurden. Derzeit leben hier 2350 Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen, einige von ihnen schon seit Langem. Dazu zählt auch Zedan Khalaf Kassim. Der Iraker kam im August 2014 nach Oststeinbek, ist seit vergangenem Juli anerkannter Flüchtling und hat drei Jahre Bleiberecht. Er floh vor den Isis-Terroristen, die in seiner Heimatstadt Khanasor im Norden des Landes viele Häuser zerstörten und Menschen ermordeten. Vor allem Jesiden. Dieser religiösen Minderheit gehört auch der 23-Jährige an. Der junge Mann hat sich in seiner neuen Umgebung eingelebt, Freunde gewonnen. Doch wohin führt sein Weg? Und wie sind seine Perspektiven? Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn begleitet den Integrationsprozess von Zedan Khalaf Kassim. Er berichtet in unregelmäßigen Abständen über seine Erlebnisse. Lesen Sie heute den zweiten Teil unserer Serie:
Mein Puls schlägt höher, wenn ich an den 15. Februar denke. Dann steht der Umzug in meine erste eigene Wohnung an. Raus aus der Unterkunft mit den fünf Mitbewohnern nahe der Feuerwehrwache, wo wir uns zu zweit ein acht Quadratmeter großes Zimmer teilen. Ich kann mein Glück kaum fassen. Nicht, dass ich mich dort unwohl fühle. Wir lachen viel zusammen, Streit gibt es trotz verschiedener Ethnien nicht. Aber eine eigene Wohnung bedeutet auch, mehr Verantwortung zu übernehmen. Genau das möchte ich. Und es ist für mich wichtig, in Oststeinbek zu bleiben, wo ich mir ein soziales Umfeld aufgebaut habe. Wobei: Es war nicht einfach, diese Bleibe zu bekommen. Freunde, die dem Flüchtlingshilfeverein nahestehen und den Vermieter kennen, haben sie vermittelt und für mich gebürgt. Ohne deren Fürsprache wäre es nichts geworden.
Die Ein-Zimmerwohnung im zweiten Stock eines Mehrfamilienhauses ist 46 Quadratmeter groß und mit einem Balkon ausgestattet. Eine Küche im neuwertigen Zustand ist vorhanden. Zedan Khalaf Kassim musste zusichern, dort keinem männlichen Flüchtling Unterschlupf zu gewähren. Die Miete zahlt das Jobcenter.
Der Vermieter ist einverstanden, dass meine Freundin Schirin zu mir zieht. Sie ist noch in einem Auffanglager im Irak. In ein oder zwei Monaten, wenn es wärmer wird, soll sie nach Deutschland kommen. Natürlich mit einem Schlepper, wahrscheinlich über Griechenland. Anders geht es nicht. Jedenfalls wird es billiger als bei mir mit den 12.000 US-Dollar. Ich habe mit Flüchtlingen gesprochen, die zwischen 2000 und 3000 Euro bezahlt haben. Das Schlepperwesen ist inzwischen professionalisiert, die Konkurrenz groß, Preise werden gedrückt. Ich habe Schirin versprochen, sie bald zu heiraten, weil ich sie liebe. Wir wollen später auch Kinder haben. Aber erst einmal muss ich viel arbeiten und Geld sparen.
Apropos Arbeiten: Meinen Vollzeit-Helferjob bei einer Kaminbaufirma im Ortsteil Havighorst musste ich schweren Herzens aufgeben, weil ich seit 11. Januar einen Integrationskursus bei der Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein in Glinde besuche. Als ich Anfang Dezember das erste Mal im Abendblatt über meine Situation berichtete, hatte ich noch Zweifel, ob es Sinn ergibt, das Lernen dem Geldverdienen vorzuziehen. Heute sage ich: Es war die richtige Entscheidung. Denn nur das Beherrschen der deutschen Sprache bietet die Möglichkeit des Vorankommens. Der Unterricht von Montag bis Freitag beginnt um 8 und dauert bis 12.30 Uhr. Meine Klassenkameraden kommen unter anderem aus Polen, Spanien, Syrien, Mexiko, Italien und afrikanischen Ländern. Ja, wir sind ein bunter Haufen.
Bei der Wirtschaftsakademie in der Humboldtstraße nimmt der Iraker an einem allgemeinen Integrationskursus teil, der sich in zwei Teile gliedert: 600 Stunden Sprach- und zum Ende 60 Stunden Orientierungskursus mit den Schwerpunkten Wirtschaft, Kultur und Politik. Der Kursus endet Mitte August mit dem Deutsch-Test für Zuwanderer (DTZ). Ziel ist es, das Sprachniveau B1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens zu erreichen.
Dass ich schon seit längerer Zeit von Burckhardt, meinem ehrenamtlichen Sprachlehrer in Oststeinbek, unterrichtet werde, hilft mir dabei sehr. Mit ihm gehe ich auch die Hausaufgaben durch. Wir treffen uns noch immer jeden Tag in der Woche, üben am späten Nachmittag oder abends dann eine Stunde Deutsch und 30 Minuten Mathematik. Ich habe Spaß beim Lernen, aber es fällt mir nicht leicht. Weil ich in meinem Heimatland nie zur Schule gegangen bin, geht es langsamer voran als bei anderen.
Ich konzentriere mich jetzt voll und ganz auf das Lernen, habe deshalb auch darauf verzichtet, am Wochenende für die Kaminbaufirma zu arbeiten. Dort hätte ich 100 Euro im Monat dazuverdienen können. Aber wenn der Kursus beendet ist, möchte ich gerne wieder im Unternehmen anfangen. Telefonischen Kontakt zu einem Ex-Kollegen habe ich noch. Er bekommt auf jeden Fall eine Einladung, wenn die Wohnung bezogen ist.
Zedan Khalaf Kassim hatte in Havighorst erst ein Praktikum gemacht, war danach ab 1. November als Hilfskraft angestellt und verdiente 1089 Euro netto im Monat. Firmenchefin Katrin Keller hat dem Iraker in Aussicht gestellt, im Herbst wieder einsteigen zu können. Allerdings als Hilfskraft. Sie glaube nicht, dass es für eine Ausbildungsstelle zu diesem Zeitpunkt reiche, sagt Keller. Dazu fehlten dem Flüchtling Vorkenntnisse in Chemie und Physik, auch die Sprache sei noch ein Problem. Die Zeugnisse, die sie Zedan ausgestellt hat, sind tadellos. In Sachen Pünktlichkeit war er vorbildlich.
Für mich hat sich in relativ kurzer Zeit viel zum Positiven verändert. Das betrifft auch meinen Aktionsradius. Hatte sich mein Leben über mehrere Monate fast ausschließlich in Oststeinbek abgespielt, so gehe ich jetzt in Glinde zur Schule, habe neben meinem besten Freund Ali in Bad Oldesloe auch einen Kumpel in Hamburg-Harburg und Silvester bei einer befreundeten Familie in Stuttgart verbracht. Zuletzt war ich das erste Mal im Stadion des FC St. Pauli bei der 2:4-Niederlage im Testspiel gegen Aalborg. Das war schon ein besonderes Erlebnis. Fußball macht Spaß, ich möchte im Sommer auch wieder damit anfangen.
In Oststeinbek habe ich mittwochs einen festen Termin, spiele Billard beim internationalen Männertreff im Kirchengemeindehaus. Auch das internationale Café dort besuche ich regelmäßig. Beim letzten Mal haben syrische Flüchtlinge nach den Vorfällen in Köln und Hamburg an Silvester Rosen an die deutschen Teilnehmer verteilt. Eine tolle Geste. Ich kann verstehen, dass manche Menschen Angst vor einer zu hohen Zahl von Zuwanderern haben. Ich bewundere die deutsche Gesellschaft dafür, welche Anstrengungen sie unternimmt, um zu helfen.