Ahrensburg. Wir treffen Stormarner auf ihrer Lieblingsbank und lassen sie erzählen. Heute: Hinrich Tramm vom Verein Theater und Musik.

Kürzlich bekam Hinrich Tramm einen handschriftlichen Brief. Der Schreiber bewarb sich um einen erneuten Auftritt in dem Programm, für das Tramm verantwortlich ist. Und er fügte seiner Bitte eine Erinnerung an den ersten Besuch hinzu: „Ich denke noch immer gerne an den Pflaumenkuchen ihrer Frau.“

Der Autor des Briefs ist international gefragter Geigenvirtuose, das Ziel seines Wunsches Ahrensburg. Kirill Troussov, 34, kammermusikalischer Partner von Sol Gabetta, Mischa Maisky und Heinrich Schiff, trat 2013 im Duo mit seiner Schwester, der Pianistin Alexandra Troussova, im Eduard-Söring-Saal auf. Ein Konzert, das nicht nur beim Publikum, sondern offenbar auch beim Künstler stark nachwirkt.

Tramm ist seit 2012 für die Zusammenstellung des Programms verantwortlich

Die Anekdote bestätigt, dass Ahrensburg ein besonderer Ort für klassische Musiker ist. Was nicht zuletzt mit Tramm zu tun hat, der als 2. Vorsitzender des Vereins Theater und Musik seit 2012 das Konzertprogramm zusammenstellt. In dieser ehrenamtlichen Funktion wirkt er sozusagen als Mister 100 Prozent plus, denn sein Angebot sorgt immer wieder dafür, dass die normale Kapazität im Eduard-Söring-Saal nicht ausreicht und zusätzliche Stühle aufs Podium gestellt werden müssen. Das führt dann nicht selten zu einer Platzauslastung jenseits der 120 Prozent, wie zuletzt bei dem Geiger Daniel Hope oder dem Duo Martin Stadtfeld (Klavier) und Jan Vogler (Cello).

Dass ein Mann, der 25 Jahre lang Schulleiter in Großhansdorf war, spät sein Talent als Konzertveranstalter entdecken konnte, hängt mit dem kulturellen Nährboden in Ahrensburg zusammen. Bereits 1963 wurde der Verein Theater und Musik gegründet, 1968 das Jugend-Sinfonieorchester. Außerdem bietet die Stormarnschule mit dem Eduard-Söring-Saal einen Raum, der höchsten kammermusikalischen Ansprüchen genügt. Nicht zu vergessen, dass der Musiklehrer Karl-Heinz Färber, heute 86 und noch regelmäßig als Korrepetitor im Einsatz, das Ganze initiierte und als Motivator belebte.

Seit seinem 15. Lebensjahr singt er im Chor – bis heute

Hinrich Tramm wurde in dieser anregenden Atmosphäre musikalisch sozialisiert. Seit seinem 15. Lebensjahr singt er im Chor, noch heute ist der 78-Jährige mit seiner Ehefrau in der Kantorei der Schlosskirche aktiv. „Zurzeit haben wir uns in den ,Paulus’ von Mendelssohn gestürzt“, erzählt Tramm. Die Töchter wurden musikalisch erzogen, der Vater engagierte sich 1980 im Förder- und später im Trägerverein des Jugendorchesters der Stormarnschule. Als Vereinsvorsitzender organisierte er seit 1986 ein Internationales Kammermusikfestival, das zum regen Kulturaustausch mit Osteuropa und Skandinavien führte. „Zum Konzept gehörte die private Unterbringung in Gastfamilien. In Ungarn oder Estland wurden uneigennützig die besten Plätze für die Gäste aus Ahrensburg geräumt. So entstanden persönliche Beziehungen, die bis heute nachwirken“, erzählt Tramm, der immer wieder erlebte, wie durch Musik Grenzen überwunden werden.

Es war gewissermaßen das Warmlaufen für die große Aufgabe, in Nachfolge von Karl-Heinz Färber das professionelle Ahrensburger Musikprogramm auf höchstem Niveau fortzuführen. Im Prinzip konnte Tramm dabei an das bewährte Muster anknüpfen: ein Netz von persönlichen Kontakten nutzen und erweitern. „Nehmen Sie das Artemis Quartett. Dessen damaligen zweiten Geiger Heime Müller gewannen wir als Solisten für ein Mozart-Violinkonzert mit unserem Jugendorchester, in dem sein Bruder spielte. Kontakt zu Jana Kuss, der Primaria des Kuss Quartetts, bekamen wir, weil ihre Schwiegereltern in Ahrensburg leben.“ Alles andere ergab sich dann wie von selbst, denn beim Erstbesuch überzeugt der Genius loci.

Und dieser gute Geist des Ortes wirkt zuverlässig, wenn Musiker den Eduard-Söring-Saal kennenlernen. Tramm erzählt, dass eine Concertgebouw-Harfenistin den Saal betrat, hineinrief und hingerissen war von der exzellenten Akustik. Genauso erlebte es Tramm mit Daniel Hope. Der Name des berühmten Geigers ist Stichwort für Tramms nächste Anekdote. Eine Ahrensburger Dame habe ihm etwas von oben herab erzählt, sie freue sich auf den wunderbaren Daniel Hope beim Festival Mecklenburg-Vorpommern und dass die Karte nur 70 Euro koste. „Da dachte ich mir: Dich kriege ich.“ Tramms Anfrage für ein Konzert wurde positiv aufgenommen: „Hopes Agent sagte: ,Ihren Saal kenne ich gut.’“ Der Geiger gab mit einem Rezital einen seiner seltenen Solo-Auftritte und begeisterte das Publikum in Ahrensburg. Tramm: „Die Eintrittskarte kostete bei uns übrigens nur 24 Euro.“

Der gute Ruf eilt Ahrensburg bei den Anfragen Tramms voraus

Für den Programmgestalter war der Abend beispielhaft, weil Hope seine Zuhörer informierte und junge Menschen durch das Intermezzo der Musik zum Disney-Animationsfilm „Ferdinand, der Stier“ einbezog. „Er hat das grandios gemacht. Wenn wir nicht nur noch graue Köpfe im Konzert sehen wollen, brauchen wir solche Formen der Vermittlung“, so Tramm. Als Mensch auf der Höhe der Zeit macht er sich auch bei YouTube oder bei der „Echo Klassik“-Preisvergabe kundig. Dabei vergisst er nicht, dass sein Programm eine Gratwanderung ist, bei der ältere Stammgäste nicht überfordert werden sollten. Tramm hat erkannt, dass zur Auffrischung viele neue Ideen bei der Programmgestaltung nötig sind. Doch mit einem Nachfolger ist das so eine Sache: „Tatkräftige Menschen zwischen 40 und 50 Jahren stehen in ihrem beruflichen Zenit, da bleibt kaum Zeit für ein aufwendiges Ehrenamt.“ Er selbst hat wenig Raum für sein anderes großes Hobby, die Familienforschung. Tramm weiß aber auch, wie bereichernd seine Arbeit am Konzertprogramm ist. Damit wirbt er bei potenziellen Kandidaten.

Der gute Ruf eilt Ahrensburg bei Tramms Agenturanfragen voraus. Insbesondere die Aura des Raums lockt. „Manche wissen, dass Sokolov in unserem Saal gespielt hat’.“ Der Auftritt des russischen Virtuosen in Ahrensburg ist legendär, ein Abschiedsgeschenk für Karl-Heinz Färber, das Tramm als Kraftakt“ bezeichnet. „Nicht nur wegen der Gage. Wir mussten einen besonderen Steinway-Flügel mieten, transportieren und stimmen lassen. Das war teuer. Wir haben uns nach der Decke gestreckt.“ Übrigens: Grigorij Sokolov wurde gerade, am 22. März, von mehr als 2000 Zuhörern beim Konzert in der Laeiszhalle in Hamburg gefeiert.

Tramm träumt davon, weitere Stars für Ahrensburg zu gewinnen

Auch er würde gern wieder nach Ahrensburg kommen, aber derartige Abenteuer kann sich der Verein nur selten leisten. Dennoch träumt Tramm davon, Murray Perahia mit Bach-Programm oder Shooting-Star Kit Armstrong zu gewinnen. Mit 48.000 Euro im Jahr wird Theater und Musik von der Stadt unterstützt. Die Eintrittspreise sind scharf kalkuliert, mehr als 100-prozentige Auslastung ist also hilfreich. Hinrich Tramm ist überdies seiner für die Theatersparte zuständigen 1. Vorsitzenden Sabine Schwarz sehr dankbar, weil sie für das Musikprogramm vieles ermögliche.

Klar ist, dass ein Programm auf diesem Niveau nur funktioniert, weil international gefragte Künstler in Ahrensburg moderate Gagen verlangen. „Die Höhe ist Vertragsgeheimnis“, sagt Tramm und zeigt sein gewinnendes, oft schelmisches Lächeln. Er weiß, dass es die Begleitumstände sind, die überzeugen. „Auch berühmte Künstler schätzen das Persönliche. Sie wollen in einer fremden Stadt nicht den Hausmeister als einzigen Ansprechpartner und beim Konzert im großen Saal nur ins Dunkel schauen. Bei uns sitzen sie mittendrin im Publikum.“

Tramm fügt hinzu, dass in Ahrensburg auch ausgefallene Wünsche erfüllt werden. „Für den Leipziger Pianisten Alexander Schmalcz, der noch längere Beine als Glenn Gould hat, haben wir im Pianohaus Zechlin die einmalige Sonderanfertigung eines extra tiefen Klavierhockers aufgetrieben“, erzählt Tramm. „Und Elisabeth Leonskaja hat auf dem Fußboden im Haus von Frau Schwarz ein Entspannungsschläfchen machen können.“ Außerdem hat Frau Tramm als überzeugende Zugabe immer einen Obstkuchen im Repertoire.