Hoisdorf. Ton in der Flüchtlingsdebatte wird rauer. Kommunen fürchten um Akzeptanz in der Bevölkerung. Auch eine Frage des Geldes.

„Wir kommen nicht darum herum, unfreundliche Entscheidungen zu treffen.“ Stormarns Landrat Klaus Plöger, da er diese Worte spricht, wirkt grimmiger als sonst. Mit „wir“, das scheint seinen Zuhörern klar zu sein, meint er nicht wie sonst „wir in Stormarn“. Sondern „wir in Deutschland“. Dann fährt er fort: „Sonst werden sie andere bei den nächsten Wahlen treffen.“

Die Akzeptanz in der Bevölkerung könnte schwinden

Seine Zuhörer an diesem düsteren Novembernachmittag in Hoisdorf, sie sind Bürgermeister, Amtsvorsteher, Kreistagsabgeordnete. Der Kreisverband des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetags hat zur Mitgliederversammlung eingeladen. Es geht um Flüchtlinge. Die kommunale Familie ist in Sorge: Wie viele werden noch kommen? Und wer soll das alles bezahlen? Plöger: „Der Bund muss mehr Geld geben für das, was er anrichtet.“ Noch vor Kurzem wäre er wahrscheinlich aufs Heftigste kritisiert worden für seine Aussage, für die Wortwahl. Nun sagt er: „Sie müssen mal hören, was die Menschen so sagen, wenn man mit ihnen allein ist.“

Die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Aufnahme von Flüchtlingen könnte schwinden – diese Sorge treibt die kommunale Familie um. Und: Akzeptanz oder nicht, das ist ganz offensichtlich auch eine Frage des Geldes. Jörg Bülow, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Schleswig-Holsteinischen Gemeindetags (SHGT), lobt die im Land bisher gut funktionierende Unterbringung der Schutzsuchenden. Integration werde aber auch künftig nur mit der Unterstützung der Bevölkerung gelingen. „Und diese Unterstützung gibt’s nur, wenn die Bevölkerung erkennt: Meine Kommune bleibt handlungsfähig, um auch die Fürsorge für andere Bedürftige und Aufgaben wie Kinderbetreuung, Schule, Straßenbau, Breitbandausbau, Energiewende, Kultur und Sport zu leisten.“

Bürgermeister nennen ungern Zahlen, um die Stimmung nicht zu verderben

„Unterstützung gibt’s nur, wenn die Bevölkerung erkennt: Meine Kommune bleibt handlungsfähig“, sagt Jörg Bülow, Gemeindetags-Geschäftsführer dinsen

Verbandschef Jörg Bülow fordert die Bürgermeister auf zu artikulieren, dass ihren Gemeinden durch die Aufnahme von Flüchtlingen Mehrkosten entstünden. Aus Erfahrung weiß er, dass sie genau das zurzeit vermieden: „Zum einen meckern sie nicht, sondern packen an, unsere kommunalen Praktiker. Zum anderen äußern sie Zahlen nur ungern, weil sie die Menschen nicht verschrecken, sondern mitnehmen wollen.“

Nun warten die kommunalen Lenker ab, wie viel von den 670 Euro pro Kopf und Monat, die der Bund ab 1. Januar an die Länder überweist, bei ihnen ankommt. Verhandlungen von Gemeindetag, Landkreistag und Städteverband mit dem Finanzministerium in Kiel sind in der vergangenen Woche zunächst gescheitert. Jörg Bülow fordert: „Das Land muss die Städte und Gemeinden fair an den Bundesmitteln beteiligen.“

Barsbüttel könnte rechnerisch in zehn Jahren einen neuen Ortsteil haben

„1500 Neubürger innerhalb von zehn Jahren für Barsbüttel - wie ein neuer Ortsteil“, sagt Thomas Schreitmüller, Barsbütteler Bürgermeister Janina Heinemann

Nach dem letzten Stand der Dinge will Kiel die 670 Euro zwar weiterreichen, aber den 70-prozentigen Landesanteil an den Kosten der Unterbringung (siehe Kasten unten) gegenrechnen. Der SHGT-Kreisvorsitzende und Barsbütteler Bürgermeister Thomas Schreitmüller sagt dazu: „Man hat das Gefühl, das Land wolle sich besserstellen und ein Geschäft machen.“

Das darf nach Aussage des CDU-Landtagsabgeordneten Tobias Koch aus Ahrensburg auf keinen Fall geschehen. „Ich fürchte um die Zustimmung in der Bevölkerung“, sagt auch er und fordert: „Es muss eine hundertprozentige Kostenerstattung geben.“

Dabei ist Geld nicht das einzige Problem. Was es nach dem Verteilungsschlüssel für seine Gemeinde bedeutete, wenn Deutschland in den kommenden zehn Jahren jährlich eine Million Menschen aufnähme, hat Thomas Schreitmüller schon ausgerechnet: „1500 Neubürger innerhalb von zehn Jahren für Barsbüttel. Wie ein neuer Ortsteil.“ Dörfern, die nicht auf einer Entwicklungsachse liegen, sei solch ein Wachstum gar nicht möglich.

Im Oktober kamen rund 9000 Flüchtlinge nach Schleswig-Holstein

„Wir müssen den Druck nach oben erhöhen. Sonst erfahren die da oben nicht, wie die Situation hier ist“, sagt Joachim Wagner,CDU-Fraktionschef im Kreistag Jürgen Lamp

Stormarns kommunale Lenker sind sich einig, dass sich die Situation erst im August zu einem Problem zugespitzt habe, da der Zustrom an Dynamik gewann. Bis einschließlich Juni kamen monatlich rund 1000 Flüchtlinge nach Schleswig-Holstein. Im Juli waren es 2000. „Und dann ging’s so richtig los“, sagt SHGT-Geschäftsführer Bülow: „5600 im August, 10.400 im September, 9000 im Oktober, bis jetzt 4200 im November.“

Joachim Wagner, CDU-Fraktionschef im Kreistag, fordert angesichts der Gesamtsituation: „Wir müssen den Druck nach oben erhöhen. Sonst erfahren die da oben nicht, wie die Situation hier ist.“ Mit oben meint er die Bundeshauptstadt und Angela Merkel: „Alle Bürgermeister sollten täglich einen Brief an die Bundeskanzlerin schreiben, damit die in Berlin auch mal merken, was die Stunde geschlagen hat.“

Wer zahlt wie viel für die Integration von Flüchtlingen?

900 Euro einmalig pro Kopf zahlt das Land seit 1. Juli den aufnehmenden Kommunen als sogenannte Integrationspauschale. Die Kommunalverbände fordern, den Betrag aufzustocken.

670 Euro monatlich pro Kopf überweist der Bund ab 1. Januar 2016 an die Länder. Als Angela Merkel das Programm vorstellte, sprach sie von „einem guten Tag für die Kommunen“. Die leiten daraus Ansprüche ab.

359 Euro monatlich für Alleinstehende (646 Euro für Paare plus bis 283 Euro pro Kind) bekommen Flüchtlinge, die nicht in Massenunterkünften leben. 30 Prozent zahlt der Kreis, 70 das Land.

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