Ahrensburg. Archäologen entdecken Werkzeug eines Jägers aus der Steinzeit. Finden sie bei Ahrensburg auch menschliche Überreste?
Es wäre eine weltweite Sensation – und der Traum von Archäologin Mirjam Briel: Die Entdeckung von menschlichen Überresten eines Rentierjägers im Ahrensburger Tunneltal. Bislang gibt es kaum dokumentierte Bestattungen aus der Zeit. „Wo sollte man fündig werden, wenn nicht hier?“, sagt die Steinzeit-Expertin. Die Voraussetzungen sind gut. Der torfige Boden des Gebiets im Süden der Stadt hat Tausende Überbleibsel steinzeitlicher Rentierjäger konserviert. Jetzt entdeckte das Archäologenteam bei Bohrungen bearbeitete Rentierknochen und Werkzeug. Eine geschärfte Klinge aus einem Feuerstein – ein steinzeitliches „Cutter-Messer“. Schon das ist eine Sensation.
Bislang haben die Archäologen stichprobenartig entlang der Bahnlinie gegraben – in Handarbeit. Jetzt wurde schweres Gerät aufgefahren. Mit einem Bohrer beförderten die Experten an verschiedenen Orten tonnenweise Bodenmaterial aus bis zu sieben Meter Tiefe an die Oberfläche, um es dann per Hand auszuwaschen und durchzusieben („schlämmen“). Dabei entdeckten die Arbeiter Knochen und Werkzeuge.
„Das war ein Gänsehaut-Moment, als ich das Artefakt in den Händen hielt. Schon jetzt hat die Arbeit alle Erwartungen übertroffen“, berichtet eine hellauf begeisterte Mirjam Briel, 32. Etwas weiter entfernt entdeckten die Archäologen Reste von Feuerstellen, die auf ein Lager oder eine Siedlung schließen lassen. Seit Wochen durchforstet die Archäologin mit ihrem Team den Boden des Tunneltals entlang der Bahntrasse nach Artefakten. Dass es hier viel zu entdecken gibt, ist lange bekannt. Die Masse an Pfeilen, Klingen, Speerspitzen aus Flintsteinen und Knochen überraschte jedoch auch Briels Team. Sowohl die Menge als auch der gute Zustand der Objekte macht es immer wahrscheinlicher, dass im Boden auch menschliche Überreste aus der Zeit gefunden werden könnten.
Archäologische Voruntersuchungen zum Bau der S 4
Die Grabungen sind Teil der Planungen für die neue S-Bahn-Linie S 4 von Hamburg nach Bad Oldesloe. Die Bahntrasse, die durch das steinzeitliche Rentier-Jagdgebiet führt, muss verbreitert, die Bahnübergänge mittelfristig gegen Brücken oder Tunnel ausgetauscht werden. Ein schwerer Eingriff in die Natur. Die archäologische Voruntersuchung ist Teil der Umweltverträglichkeitsstudie. Durch sie soll der Schaden abgeschätzt werden, der durch Arbeiten in dem geschichtlich wertvollen Gebiet entstehen könnte und wie umfangreich im folgenden Verfahren die Hauptuntersuchung des Gebiets ausfällt. Kurz: Wird bei den Grabungen Bahnbrechendes entdeckt, wird Briels Team das Tunneltal genauer unter die Lupe nehmen.
Bisher wurden bei Grabungen dort Artefakte von zwei Kulturen aus der Ära nach der großen Eiszeit vor 15.000 Jahren gefunden. Die Hamburger Kultur jagte in dem Gebiet vor etwa 14.000 Jahren mit Speeren. 2.000 Jahre später folgte die Ahrensburger Kultur, die weltweit wohl als erste Zivilisation mit Pfeil und Bogen ihrer Beute nachstellte. Die Menschen waren noch nicht sesshaft, siedelten also nicht in dem Gebiet. Dennoch dürfte es Lagerstellen gegeben haben. So einen siedlungsähnlichen Platz vermuten die Archäologen auf einem Feld nahe der Trasse, der von den Bahnarbeiten nicht betroffen sein dürfte. Da die Menschen in Nomadenstämmen lebten, lassen sich aus dieser Zeit nur schwer menschliche Überreste nachweisen. Dennoch besteht die Hoffnung, im Tunneltal fündig zu werden.
Die Entdeckung des Ahrensburger Ötzis?
„Es gibt kaum nachgewiesene Bestattungen aus der Zeit. Wenn wir hier menschliche Überreste aus der Ära finden, wäre das ein wahnsinniger Glückstreffer. Wir gehen davon aus, dass die Rentierjäger hier drei bis vier Wochen im Jahr gejagt haben – über lange Zeit hinweg“, sagt Mirjam Briel. „Ein komplettes Skelett werden wir bei der Voruntersuchung nicht finden können. Bei der Hauptuntersuchung könnten wir den Boden weitläufiger begutachten.“ Wie groß ist die Chance auf die Entdeckung eines „Ahrensburger Ötzis“? Mirjam Briel: „Das lässt sich schwer sagen. Es wäre möglich. Wo, wenn nicht im Tunneltal?“
Die derzeitigen Funde aber dürften eine Hauptuntersuchung nach sich ziehen. Mit der Voruntersuchung ist das Archäologische Landesamt Schleswig-Holstein beauftragt, das von Hamburger Kollegen unterstützt wird. „Die Funde sind brisant, reichen zurück bis in die Eiszeit. Wie es nach der Voruntersuchung weitergeht, lässt sich noch nicht sagen“, erklärt Ingo Clausen, Gebietsdezernent vom Landesamt.
Vermutlich werden die aktuellen Funde umfangreicher Grabungen nach sich ziehen. Im Tunneltal, der Ahrensburger Schatzkammer, dürften noch einige Kostbarkeiten verborgen sein.