Ahrensburg. Angestellte und Gewerkschaft erklären bei Demo in Ahrensburg die Gründe für den wochenlangen Streik. Immer mehr Kunden sind genervt.

Der Mann im blau-gelben T-Shirt steckt in einem echten Dilemma: Er ist Post-Zusteller Schäfer, der dieser Tage mit dazu beiträgt, dass Zigtausende von Stormarnern seit Wochen keine Briefe, keine Pakete mehr erhalten. Und er ist Post-Kunde Schäfer, der just zur selben Zeit auf eine ziemlich wichtige Sendung wartet: das Brautkleid seiner Frau Vaida, die er am 25. Juli in Litauen kirchlich heiraten möchte. Es geht um seine Zukunft, so oder so.

Grund für ihren Ausstand sei in der Öffentlichkeit noch nicht angekommen

Streik oder Kleid – was ihm gerade wichtiger sei? „Streik.“ Matthias Schäfer aus Tremsbüttel, 46 Jahre alt, seit 21 Jahren Postler, seit dem 11. Juni nicht mehr zur Arbeit im Briefzentrum Ahrensburg erschienen, ist ein sanfter, ein freundlicher Mann. Momentan aber ist er entschlossen zu kämpfen für die Zukunftsfähigkeit seines Jobs und der Jobs seiner Kollegen. Am Mittwochmorgen haben mehr als 70 Post-Angestellte aus Ahrensburg und dem Hamburger Norden ihrem Unmut bei einer Demonstration auf dem Ahrensburger Rondeel Luft gemacht.

Der Post-Zusteller Matthias Schäfer aus Tremsbüttel streikt, während der Post-Kunde Schäfer vergebens auf ein Brautkleid wartet
Der Post-Zusteller Matthias Schäfer aus Tremsbüttel streikt, während der Post-Kunde Schäfer vergebens auf ein Brautkleid wartet © Alexander Sulanke | Alexander Sulanke

Der Grund für ihren Ausstand, davon sind sie überzeugt, sei in der Öffentlichkeit noch nicht angekommen. „Es ist der Eindruck entstanden, die Postler wollten mehr Geld und weniger arbeiten“, sagt Lars-Uwe Rieck, Fachbereichsleiter bei der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di. „Das ist aber falsch.“ Es gehe vielmehr um die Sorge vor sogenanntem Outsourcing – Arbeitsverhältnisse unter dem Dach der Aktiengesellschaft sollten ausgegliedert werden in neu gegründete Tochtergesellschaften. Rieck: „Die Leute sollen den gleichen Job für viel weniger Geld machen.“

In Ahrensburg liegt die Streikquote laut Betriebsrat bei 90 Prozent

Ein Szenario, das für viele Mitarbeiter offenbar schon ziemlich kurzfristig Realität werden könnte. „Die Zahl der befristeten Arbeitsverträge ist hoch, viele sind nur auf ein halbes Jahr befristet“, sagt die Betriebsrätin Wiebke Dieckvoß, einst selbst als Zustellerin in Ahrensburg unterwegs. Von den 65 Zustellern in Ahrensburg arbeiten ihren Worten zufolge knapp zwei Drittel nicht. „20 sind noch Beamte und dürfen nicht streiken, von den anderen machen 90 Prozent mit.“

Dieckvoß stellt sich auf den Fuß des Muschelläufers, um aus erhöhter Position einen besseren Überblick zu haben. Dann greift sie nach einem Mikrofon und ruft der Menge zu: „Ihr müsst Flagge zeigen und den Leuten erklären, dass ihr veralbert werdet.“

Sylvia Schulz (M.) aus Bad Oldesloe und Ryan Moulic (r.) aus Ahrensburg streiken, Beamter Reiner Hein (l.) ist im Urlaub solidarisch
Sylvia Schulz (M.) aus Bad Oldesloe und Ryan Moulic (r.) aus Ahrensburg streiken, Beamter Reiner Hein (l.) ist im Urlaub solidarisch © Alexander Sulanke | Alexander Sulanke

Für viele Post-Kunden zählt hingegen eher, dass der Streik ihnen persönlich Probleme bringt, so wie etwa dem Ammersbeker Sadok Jebli, der in Tremsbüttel einen Abschleppdienst und einen Autoteilehandel betreibt: „Ich habe von meinen Lieferanten schon Mahnungen bekommen, weil ich Rechnungen nicht bezahlt habe“, berichtet er. Nun überweise er nach telefonischer Durchsage – ohne zunächst Belege für seine Buchhaltung zu haben. „Das alles nachzuarbeiten wird dauern“, sagt er. Und bei der Awo Soziale Dienstleistungen gGmbH in Ahrensburg zum Beispiel sind in den vergangenen Wochen schätzungsweise 300 Schriftstücke nicht angekommen, auch wichtige wie Rechnungen oder Bewilligungsbescheide von Krankenkassen. „Wir schicken unsere Mitarbeiter früher nach Hause, weil sie nichts zu tun haben“, sagt Geschäftsführerin Anette Schmitt. „Das muss später einmal alles nachgearbeitet werden.“ Um wichtige Korrespondenz zu verschicken, bestellt sie inzwischen Boten.

Die Zusteller schaffen alltags oft ihre Touren nicht mehr

Und es bleibt viel liegen bei der Post. Auf dem Rondeel kursieren plötzlich Handyfotos, aufgenommen im Briefzentrum in Ahrensburg. Sie zeigen gelbe Kisten, hoch aufgestapelt auf ungezählten Rollwagen. „Das müssen wir alles zustellen, wenn der Streik vorbei ist“, sagt ein Postler, der aus Angst vor Repressionen namentlich ungenannt bleiben möchte. Er fügt hinzu: „Das ist anders als beim Bahn-Streik. Da sind die Bahnsteige nicht immer voller und voller geworden.“ Er schätzt, dass es nach Streikende noch vier bis sechs Wochen dauern werde, ehe alles nachgearbeitet ist.

Unter die Streikenden hat sich auch Reiner Hein aus Elmenhorst gemischt. Der 59-Jährige stellt sich als Postbeamter vor. Streiken darf er nicht. Urlaub machen schon. „Ich habe frei und zeige mich solidarisch“ sagt er, der seit 45 Jahren dabei ist, kämpferisch. Seinen Ammersbeker Bezirk betreut Hein unverändert. Mehrarbeit, um den Streik aufzufangen, sei gar nicht mehr möglich. „Wir schaffen unsere Arbeit ja so kaum noch.“ Immer öfter komme es vor, dass ein Zusteller seine Tour abbreche, weil der Tag zu Ende ist.

Post-Zusteller Schäfer ist unterdessen zufrieden, dass es der Post offenbar nicht gelungen ist, seinen Zustellbezirk – ebenfalls in Ammersbek – an eine andere Person zu delegieren. „Seit drei Wochen wird auf meiner Tour nichts mehr ausgeliefert. Und es wird dauern, bis dort wieder Post ankommt.“ Post-Kunde Schäfer weiß unteressen: Es wird wahrscheinlich dauern, bis das Brautkleid ankommt.

Hier gelangen Sie zum Kommentar von Abendblatt-Redakteur Alexander Sulanke.