Ahrensburg. Gemeindeversammlung könnte unerwartete Wende bringen. Finanzbericht des Beauftragtengremiums sorgt überraschend für Gesprächsbereitschaft.

Gegen Ende der Gemeindeversammlung kam es zu einer Wendung, die nach den vorangegangenen fast drei Stunden und der langen, zuweilen quälenden mehrjährigen Vorgeschichte auf manchen Beteiligten wie ein kleines Wunder gewirkt haben mag. Umso mehr, als es nüchterne Zahlen waren, die plötzlich etwas bewirkten, woran schon niemand mehr geglaubt hatte, nämlich einen Ansatz von Verständnis und Gesprächsbereitschaft, was Hoffnung darauf macht, dass verhärtete Fronten vielleicht doch noch aufgebrochen werden könnten.

Der Reihe nach. Die Gemeindeversammlung am Montagabend war die erste, zu der das sogenannte Beauftragtengremium (BAG) der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Ahrensburg eingeladen hatte. Das BAG war berufen worden, nachdem der Kirchenkreis Hamburg-Ost den alten Kirchengemeinderat im Dezember letzten Jahres aufgelöst hatte, weil er wegen des Rücktritts von mehr als der Hälfte seiner Mitglieder nicht mehr beschlussfähig war.

Die Auflösung des Kirchengemeinderats war ein weiterer Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen der Kirchenleitung und Teilen der Ahrensburger Gemeinde, die von gegenseitigem Misstrauen geprägt sind. Das Verhältnis ist ebenso belastet durch die Aufarbeitung des 2010 bekannt gewordenen Ahrensburger Missbrauchsskandals wie durch den Streit um die St. Johanneskirche, die 2014 aus Kostengründen entwidmet werden sollte. Der rasch gebildete Förderverein hatte dagegen vehement protestiert, unter anderem mit Andachten vor der geschlossenen Kirche, und diese schließlich durch eine Nutzungs- und Finanzierungsvereinbarung vorläufig gerettet. Doch schon bald gab es Streit um Vertragsinhalte, und es wurde ein Mediator eingeschaltet, der bis heute zu vermitteln versucht.

Mehr als 100 Gemeindegleider gekommen

Es war also viel Zündstoff in der ersten öffentlichen Versammlung mit dem Gremium, das Kritiker als vom Kirchenkreis aufgezwungene Zwischenlösung bis zur Wahl eines neuen Kirchengemeinderats – vermutlich erst 2016 – betrachten. Mehr als 100 Mitglieder der gesamten Kirchengemeinde waren in den Kirchsaal Hagen gekommen, das Gros aus dem Kreis der Freunde von St. Johannes. Die Zeichen der Anspannung waren unübersehbar, auf beiden Seiten.

Pastorin Ursula Wegmann hatte mit einer Andacht zu Beginn und einem Abendsegen als Abschluss einen liturgischen Rahmen gewählt: „Damit wir nicht vergessen, warum wir hier eigentlich versammelt sind.“ Das Kreuz hinter de Altar sollte an diesem Abend die gemeinsame Perspektive sein: „Alle schauen in die gleiche Richtung, das macht Gemeinde aus.“ Kleiner Haken an dem sinnstiftenden Bild: Die Mitglieder des Beauftragtengremiums blickten in die Gegenrichtung.

Es folgte die 100-Tage-Bilanz des Gremiums, das Ursula Wegmann als „Aufsichtsinstrument“ bezeichnete. Das war die erste von einigen unbequemen Wahrheiten der Pastorin, deren Gesprächsführung zeitweilig rustikal war. „Wir sollen die Handlungsfähigkeit des Ganzen sicherstellen.. Nach der Auflösung des Kirchengemeinderats war die Gemeinde nicht mehr geschäftstüchtig. Das Beauftragtengremium ist das mildeste Mittel, um sie am Leben zu erhalten.“

Der Vortrag der BAG-Vorsitzenden war vor allem juristische, betriebswirtschaftliche und verwaltungstechnische Expertise und machte einmal mehr klar, dass Kirche auch ein Apparat ist, der am Laufen gehalten werden muss. Gerade hier deutete sich an, wie sich der Graben zwischen Kirchenleitung und Förderverein mit seinen intensiven Laienandachten und Bibelexegesen vertieft hat. Wegmann kritisierte, dass einzelne Gemeindemitglieder den Förderverein als eigentliche Vertretung der Kirche betrachteten. Sie warnte vor einem „Paralleluniversum“.

Mitglieder des Vereins versuchten vor allem über Anträge, das Gremium unter Druck zu setzen: Sie baten zum Beispiel um Prüfung, ob das zum Verkauf stehende marode Gemeindehaus von St. Johannes nicht besser für Flüchtlinge wiederherzurichten sei. Oder ob das BAG nicht auch ein Gemeindemitglied aufnehmen müsste.

Ernüchternde Zahlen bringen die Wende

Eine überraschende Wende brachten schließlich die ernüchternden Zahlen, die Jürgen Preine, Finanzexperte des Gremiums, vortrug. Weniger alarmierend als ein Fehlbetrag von 77.800 Euro im Haushaltsplan 2015 sei, so sagte er, die Gesamtentwicklung. Und er ließ Zahlen sprechen: Die Kirchensteuerzuwendungen als Haupteinnahmequelle der Gemeinde lagen im Jahr 2000 bei 683.000 Euro, 2015 bei 502.000 Euro. Seit 2002 gebe es regelmäßig Haushaltsdefizite, die längerfristig nicht mehr durch abschmelzende Rücklagen zu decken seien. Zumal eine umfangreiche Sanierung am Mauerwerk des Turms der Schlosskirche anstehe, für die ein sechsstelliger Betrag aufgewendet werden müsse. Man komme also nicht umhin zu schrumpfen – auch weil die rapide sinkende Zahl der Gemeindemitglieder in Ahrensburg (1976: 20.492, 2014: 12.272) den Raumbedarf reduziert habe.

Das Publikum war sichtlich beeindruckt, applaudierte und dankte für die bislang vermisste Transparenz. „Das Wasser steht uns tatsächlich bis zum Hals“, sagte Jan Hansen vom Förderverein. Sein Vater Hans-Peter Hansen schlug spontan eine Zukunftswerkstatt vor und bot Hilfe an: „Wir haben Kompetenzen genug in der Gemeinde.“

Da war sie endlich, die Gesprächsbereitschaft und der moderate Ton, auf beiden Seiten. Es ist noch kein Fels, auf den man bauen kann. Eher eine kleine, wacklige Plattform als unsichere Basis, auf der sich jeder so bewegen muss, dass sie das Ganze trägt.