Lütjensee. 130 Jahre altes Restaurant erfindet sich neu. Service am Tisch nur noch zu besonderen Anlässen. „Aufbruch zu neuen Ufern“.
Die Fischerklause am Lütjensee hat sich über die Jahrzehnte einen Namen weit über Stormarns Kreisgrenze hinaus gemacht. Sie ist Ziel nicht nur für Tagesgäste und Wochenendbesucher, sondern auch für die kleinen Fluchten gestresster Großstädter aus den Hansestädten Hamburg und Lübeck. Frischer Fisch und erlesene Weine, dazu ein malerischer Blick über den See – das hat seit mehr als 100 Jahren viele Menschen angelockt. Doch nun steht das traditionsreiche Haus vor einer Zäsur. Denn die klassische Gastronomie mit Service am Tisch wird es künftig nur noch zu besonderen Anlässen geben.
Zeitenwende erfordert neue Konzepte
„Es ist ein Aufbruch zu neuen Ufern“, sagt Claudia Albrecht und schaut einen Moment über den See mit einer Mischung aus Wehmut und Trotz. Von den Lockdowns während der Corona-Pandemie hat sich die Fischerklause bis heute nicht erholt. Albrecht spricht von einer Zeitenwende, die ohne neue Konzepte nicht zu meistern sei.
„Der anhaltende Fachkräftemangel, gestiegene Energie- und Lebensmittelkosten und ein deutlich verändertes Gästeverhalten fordern ihren Tribut“, schildert die 51-Jährige die aktuellen Herausforderungen. Denen sie sich nun stellen müsse, um das Familienerbe zu bewahren.
130 Jahre alte Location in vierter Generation
Claudia Albrecht führt den von ihrem Urgroßvater Johannes vor 130 Jahren gegründeten Betrieb in vierter Generation. Aus einer kleinen Klause hatte er nach dem Zweiten Weltkrieg einen florierenden Gastronomiestandort entwickelt, der zuletzt 90 Plätze drinnen und 80 im Außenbereich bot.
Als ihre Eltern das Restaurant mit zwölf Hotel- und zwei Ferienzimmern 2009 altersbedingt übergeben wollten, zog sie aus ihrer Wahlheimat Berlin zurück an den Lütjensee. „Das war für mich schon wie eine Heimkehr. Schließlich bin ich hier aufgewachsen und zur Schule gegangen und verbinde viele glückliche Erinnerungen mit diesem Ort“, so die Mutter zweier Töchter.
Corona hat viele Restaurantgänger verunsichert
In der Bundeshauptstadt arbeitete sie in mehreren Sterne-Restaurants und ließ sich zur Sommelière ausbilden. Eine Leidenschaft, die sie auf einem Weingut in der Pfalz vertiefte und dank 600 verschiedener Weine im Keller zu einem wichtigen Element ihres neuen gastronomischen Konzepts werden soll.
„Die Corona-Pandemie hat viele ehemals regelmäßige Restaurantbesucher nachhaltig verunsichert“, sagt Albrecht. Die „unbekümmerte Unbeschwertheit“ der Vor-Corona-Jahre sei dahin und werde sich so schnell auch nicht wieder einstellen: „Dem müssen wir ebenso Rechnung tragen wie den inflationär gestiegenen Kosten.“
Preiskalkulationen für Speisen werden immer schwieriger
So werde die Preiskalkulation immer schwieriger. „Da schwingt auch viel Psychologie mit, weil die Leute heute viel sensibler auf Preiserhöhungen reagieren und viel genauer hinschauen, was wie viel kostet“, erklärt Albrecht. Erschwerend komme hinzu, dass die coronabedingte Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent zum Jahresende auslaufe. „Und dann macht es schon einen gewaltigen Unterschied, ob die 19 Prozent auf eine Zehn-Euro-Speise aufgeschlagen wird, oder auf ein Gericht im 20- oder 30-Euro-Bereich“, so die erfahrene Gastronomin.
Mit ihrem neuen Konzept will sie hier bewusst gegensteuern und verlagert ihre Angebote im Alltag ins preisgünstigere Selbstbedienungssegment. Im direkt am See gelegenen und Anfang 2021 neu errichteten Bootshaus mit 60 Plätzen auf der Terrasse, 15 im Unter- und 40 Plätzen im Obergeschoss wird ihr Team künftig von Mittwoch bis Sonntag ein wöchentlich wechselndes Lunchangebot offerieren.
Kleine, feine Spezialitäten aus der Region
„Dazu gehören neben Flammkuchen und Fischbrötchen kleine, feine Spezialitäten wie Räucherfisch und Flusskrebse aus dem familieneigenen Lütjensee, verschiedene Salate und Suppen sowie gegrillte Sandwiches mit Räucherkäse und Kochschinken aus der Region, die es aber auch in einer veganen Variante gibt“, sagt Albrecht.
Natürlich werde es auch weiter hausgemachtes Eis geben. Zu den zwölf Sorten ohne Zusatzstoffe und Pflanzenfette zählen so ausgefallene Kreationen wie etwa Milchkaffeeeis mit Kardamom und Zimt, Joghurteis mit Aprikose und Lavendel sowie ein Orangen-Aperol-Sorbee. Am Sonnabend und Sonntag lockt von 9 bis 11 Uhr zudem ein üppiges Frühstück á la carte mit Overnight Oats, Nordseekrabben auf Rührei oder frisch gebackenen Waffeln.
Zeitgemäße Gastro-Events für neue Zielgruppen
„Neben dem traditionell-konservativen Publikum wollen wir vor allem ein jüngeres Publikum und Familien mit Kindern sowie verstärkt Kurzurlauber und Geschäftsreisende anziehen“, sagt Claudia Albrecht. Deshalb plane sie „zeitgemäße Gastro-Events“, um so verschiedene Zielgruppen ansprechen zu können.
Ständig steigende Besucherzahlen verzeichnen etwa die bereits seit April angebotenen After-Work-Partys. Festhalten will die Unternehmerin indes am bereits etablierten Weinfest am See, bei dem hochdekorierte Weingüter, darunter auch Winzer aus Frankreich, Italien und Österreich, ihre aktuellen Weiß- und Rotweine präsentieren. Neu hinzukommen sollen Kochevents, Winterbarbecues und ein zünftiges Grünkohlessen zu Weihnachten.
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Wie gehabt, können auch weiterhin zwei Ruderboote, drei Kanus und mehrere SUP-Boards ausgeliehen werden, um sich auf dem See aktiv zu entspannen. „Doch auch am Ufer macht der Lütjensee viel Spaß“, weiß die Hausherrin aus eigener Erfahrung.
Und was wird aus der trutzigen Fischerklause gleich nebenan? „Sie steht natürlich unseren Hotelgästen nach wie vor fürs Frühstück zur Verfügung. Unsere großzügigen Räumlichkeiten bieten zudem weiterhin ideale Voraussetzungen für Firmenveranstaltungen und Familienfeiern. Und sie wird auch unseren neuen kulinarischen Events einen attraktiven Rahmen bieten“, glaubt Claudia Albrecht fest an eine zukunftsträchtige Kombination aus Klause und Bootshaus.