Großhansdorf. Die „Stettin“ feiert 90. Geburtstag mit buntem Programm. Ricarda Lange (56) gehört zur ehrenamtlichen Besatzung. Was sie erlebt.

Es riecht nach Rauch am Elbufer in Hamburg-Neumühlen. Ein Zeichen dafür, dass an Bord der „Stettin“ gearbeitet wird. Der historische Dampf-Eisbrecher ist zweifelsohne eines der interessantesten Schiffe im Museumshafen Övelgönne – nicht nur wegen seines imposanten Äußeren. Die „alte Lady“ ist ein Schiff der Superlative: Einst war die Stettin der größte zivile Eisbrecher unter deutscher Flagge, heute gehört sie zu den größten fahrtüchtigen Museumsdampfschiffen und verfügt über die weltweit größte Dampfmaschine mit Kohlenantrieb.

Am kommenden Wochenende feiert der Eisbrecher seinen 90. Geburtstag – und altersmüde ist die stolze alte Dame noch lang nicht. Zu verdanken ist das zahlreichen Ehrenamtlern, die sich im Förderverein Dampf-Eisbrecher Stettin zusammengeschlossen haben und das Schiff vor 42 Jahren vor der sicheren Verschrottung retteten.

Eisbrecher „Stettin“ feiert 90. Geburtstag – Großhansdorferin gehört zur Crew

Eine, die sich für den Erhalt des Kulturdenkmals einsetzt, ist die Großhansdorferin Ricarda Lange. Seit mittlerweile neun Jahren gehört die 56-Jährige zur Besatzung des historischen Eisbrechers. „Die Stettin ist für mich zu einer Leidenschaft geworden“, sagt sie.

Dabei sei sie eigentlich „nie einer dieser Schiffsmenschen gewesen, auch wenn die Faszination für große Pötte allein schon wegen der Wohnortnähe zu Hamburg natürlich irgendwie da war“, erzählt Lange. Zur Crew kam die Großhansdorferin durch einen Zufall.

Durch einen Zufall kam Ricarda Lange vor neun Jahren an Bord

„Es war in den Sommerferien 2014, mein Mann Thomas und ich haben mit unserer Tochter eine Fahrradtour nach Finkenwerder und zurück unternommen“, sagt die 56-Jährige. Auf dem Weg macht die Familie am Museumshafen Övelgönne Station. „Da haben wir die „Stettin“ gesehen und unsere Tochter wollte sie unbedingt angucken.“

Ihr Mann sei zunächst nicht begeistert von der Idee gewesen, doch Mutter und Tochter überredeten ihn, an Bord zu gehen und sich das Schiff zeigen zu lassen. „Er war sofort fasziniert von der Technik“, erinnert sich Lange. Am Ende der Besichtigung hat die Familie eine Fahrt mit dem Eisbrecher gebucht. Es geht durch den Nord-Ostsee-Kanal von Rendsburg nach Hamburg.

Die 56-Jährige verbringt rund 25 Tage im Jahr auf der Stettin

„Wir saßen danach noch lang mit dem Zahlmeister zusammen und haben geschnackt“, sagt Lange. Bei einem Glas des schiffseigenen Schnapses „Eisbrecher“ habe der sie schließlich überredet, Teil der Crew zu werden. „Und seitdem hat uns die Stettin nicht mehr losgelassen“, sagt Lange und schmunzelt.

Mittlerweile verbringt das Paar rund 25 Tage im Jahr an Bord. Es geht auf private Charterfahrten – die Stettin kann für Firmen- und Familienfeiern gebucht werden – oder zu großen Hafenfesten wie die Hanse Sail in Rostock, den Schwedentagen in Wismar oder der Kieler Woche. Auch der Hafengeburtstag und die Cruise Days dürfen im Tourenkalender natürlich nicht fehlen.

Für eine Fahrt braucht es mindestens 30 Besatzungsmitglieder

Die Position von Ricarda Lange ist dann meist die sogenannte Slapskiste, ein kleiner Imbiss an Deck. Als gute Seele des Schiffs versorgt die 56-Jährige die Passagiere dort mit Stullen und Gebäck. Ehemann Thomas war zunächst als Heizer im Kesselraum, inzwischen steht er der Großhansdorferin meist bei der Betreuung der Gäste zur Seite.

Die Stettin wurde 1933 als größter deutscher Eisbrecher in Dienst gestellt. Heute ist sie ein Museumsschiff. FOTO: WIESE
Die Stettin wurde 1933 als größter deutscher Eisbrecher in Dienst gestellt. Heute ist sie ein Museumsschiff. FOTO: WIESE © Eigel

Mindestens 30 Besatzungsmitglieder braucht es, um die „Stettin“ in Fahrt zu halten. Sie alle sind Ehrenamtler, vom Kapitän bis zum Maschinisten. Der Förderverein hat mehr als 700 Mitglieder aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter 120 aktive, die regelmäßig an Bord gehen. Einige Ehrenamtler kommen auch aus dem Ausland, etwa aus den Niederlanden und der Schweiz.

Gemeinschaftsunterkünfte bieten wenig Platz und Komfort

„Zu Jahresbeginn erstellen wir einen Tourenplan, viele Mitglieder sind berufstätig und müssen für eine Fahrt Urlaub nehmen“, sagt Lange. Das Problem haben die Großhansdorferin, die im Außenvertrieb tätig ist, und ihr Mann nicht. „Wir sind beide selbstständig und haben die zeitliche Flexibilität“, so die 56-Jährige. Auch deshalb kann das Paar so viel Zeit an Bord verbringen.

Komfort dürfe man dabei nicht erwarten. Die Schlafmöglichkeiten, mehrere Gemeinschaftsunterkünfte mit je sechs Kojen in Etagenbetten, bezeichnet die 56-Jährige liebevoll als „Komfort-Holzklasse“. Lange sagt: „Man verbringt zwangsläufig viel Zeit auf engstem Raum, deshalb ist es so wichtig, dass sich die Besatzung gut versteht.“ Die ganze Crew sei für sie wie eine große Familie. „Nach jeder Tour sitzt man noch an Deck zusammen, bei Bier oder Wein, und quatscht über alles Mögliche.“

Drei Heizer müssen die Maschine unermüdlich mit Kohle versorgen

Den mit Abstand härtesten Job an Bord haben die Heizer. „Das ist eine echte Knochenarbeit, ich könnte das nicht“, sagt Lange. Zu dritt müssen sie unerlässlich Kohle in die Kesselanlage schaufeln. Die „Stettin“ verfügt über zwei Flammrohrkessel mit je drei Feuerstellen, welche 24 Tonnen Wasser auf 198 Grad Celsius erhitzen, um die Maschine mit einen Druck von 14,5 bar anzutreiben.

Pro Stunde verbraucht der 51,75 Meter lange und 13,43 Meter breite Eisbrecher etwa eine Tonne Kohle, 186 Tonnen kann die „Stettin“ im Bunker fassen. Die Maximalgeschwindigkeit liegt bei 14,2 Knoten, das entspricht etwa 26 Kilometern pro Stunde.

Die Stettin war das Flaggschiff einer Flotte von fünf Eisbrechern

„Die Heizer arbeiten eine Stunde, dann haben sie zwei Stunden Zeit zum Erholen. Länger wäre das nicht leistbar“, sagt Lange. Deshalb müssten allein schon mindestens neun Personen für den Betrieb der Dampfmaschine an Bord sein. „Man bekommt einen Eindruck davon, welche harte körperliche Arbeit die Schifffahrt früher bedeutet hat.“

Ricarda Lange verbringt im Jahr rund 25 Tage an Bord der Stettin. 
Ricarda Lange verbringt im Jahr rund 25 Tage an Bord der Stettin.  © HA | Filip Schwen

Bei ihrer Indienststellung am 16. November 1933 war die Stettin hochmodern. Gebaut von den Stettiner Oderwerken im Auftrag der Industrie- und Handelskammer zu Stettin in der heute zu Polen gehörenden Hauptstadt Pommerns, war sie das Flaggschiff einer Flotte von fünf Eisbrechern, die im Winter die Handelswege der Stettiner Kaufleute sichern sollten. Das Einsatzgebiet waren die Odermündung und das Stettiner Haff.

Der Dampfer kann bis zu einen Meter dicke Eisdecken brechen

Der Stahlrumpf ist so gestaltet, dass das Schiff im Gefahrenfall aus der sich schließenden Eisdecke heraus gepresst würde und sich durch selbsterzeugte Schaukelbewegungen vom Eisdruck befreien kann. Bei einer Leistung von 2000 Pferdestärken kann die „Stettin“ bei langsamer Fahrt eine geschlossene Eisdecke von bis zu einem Meter Dicke brechen.

Am Ende des Zweiten Weltkriegs floh der Eisbrecher mit 500 Flüchtlingen an Bord vor der anrückenden Roten Armee von Rügen über Kopenhagen nach Kiel. Nach der Flucht wurde die „Stettin“ unter die Verwaltung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Hamburg gestellt und versah noch bis 1981 ihren Dienst auf der Elbe, dem Nord-Ostsee-Kanal und der Kieler Förde. Liegeplatz war der Tonnenhof in Wedel.

Spenden und Sponsoren retteten Stettin 1982 vor Verschrottung

Als der Eisbrecher aufgrund hoher Personal- und Unterhaltungskosten außer Dienst gestellt werden sollte, übernahm der Förderverein und konnte das Schiff dank Spenden und Sponsoren 1982 erwerben und vor der Verschrottung bewahren.

„Heute finanziert sich der Verein allein über Spenden und die Einnahmen aus gebuchten Fahrten“, sagt Ricarda Lange. Besonders als Location für Hochzeiten und runde Geburtstage erfreue sich die Stettin großer Beliebtheit. Den runden Geburtstag feiert die Besatzung mit einem Festprogramm am Sonntag, 3. September.

Am 3. September gibt es zum Geburtstag ein buntes Programm

Bei freiem Eintritt bietet der Förderverein zwischen 11 und 19 Uhr Führungen an, auch der Kesselraum kann besichtigt werden. Dazu gibt es Live-Musik mit Swing und Latin Soul (11 Uhr), Hits der 1950er- und 1960er-Jahre (15 und 18 Uhr) und Shantys (16 Uhr).

Der Hamburger Stadtmaler Ralf Schwinge malt live vor Ort zum Anschauen und Kaufen, außerdem ist eine Lesung mit der Autorin Anneliese Klumbies geplant. Für Kinder gibt unter anderem es eine Wissensrallye, außerdem können die kleinen Besucher sich im Fertigen von Seemannsknoten üben.