Ahrensburg. Für 3170 Reichsmark gab’s ein Haus mit 2500 Quadratmetern Grundstück. Das Programm fürs Sommerfest zum 90-jährigen Bestehen.
350 Arbeitstage als Eigenleistung: Das war der Einsatz der Bewerber, die sich vor 90 Jahren Hoffnung auf ein Haus in der Ahrensburger Siedlung Am Hagen machten. Und auf ein besseres Leben. Denn die Weltwirtschaftskrise hat die Weimarer Republik hart getroffen. Sechs Millionen Menschen sind 1932 arbeitslos, das ist fast jeder dritte. Da trifft es sich gut, dass für ein staatliches Siedlungsprogramm eine Bruchwald- und Feldfläche in Ahrensburg bereitgestellt wird.
Die Bürgergemeinschaft Am Hagen feiert das 90-jährige Bestehen der Siedlung jetzt mit einem Sommerfest. Dazu hat eine siebenköpfige Gruppe, aus der eine Geschichtswerkstatt erwachsen ist, eine Ausstellung mit alten Fotos und Dokumenten zusammengestellt. „Wir möchten sowohl die Entstehung der Siedlung als auch den Wandel zeigen, außerdem alte und neue Bewohner zusammenbringen“, sagt Stefan Gertz, Vorsitzender der Bürgergemeinschaft.
Siedlung Am Hagen in Ahrensburg: Fast alle kamen aus Hamburg
Fast alle der Ur-Siedler kamen aus Hamburg. Sie machten sich Tag für Tag mit dem Fahrrad auf den beschwerlichen Weg zum Arbeiten nach Ahrensburg. „Es war auch ein sehr mooriges Gebiet. Deshalb mussten überall Gräben angelegt werden, die heute noch an den Straßenrändern zu sehen sind“, sagt Michael Cottel. Seine Großeltern und Eltern zählten zu den Bewohnern der ersten Stunde, hatten einen Kolonialwarenladen und die Gaststätte Zur Jägerklause.
Das gut 50 Hektar große Siedlungsgelände gehörte Schlossherr Carl Otto Graf von Schimmelmann. Weil die Familie in finanzielle Schieflage geraten war, beauftragte er einen Hamburger Makler mit dem Verkauf von Ländereien. Beim ersten Spatenstich am 10. Dezember 1933 ist auch Schimmelmann dabei – in Nazi-Uniform. Denn die NSDAP, die zuvor in Hamburg stärkste Partei geworden war, nutzte das Bauprojekt zu Propagandazwecken.
Die Monatsraten mussten in der Grundschule abgeliefert werden
Vom Gründer des einflussreichen Wehrverbands „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ und Reichsarbeitsministers (bis 1945) stammte der schon bald wieder abgelegte Name Franz-Seldte-Siedlung. Alle Doppelhäuser hatten denselben einfachen Grundriss – und rund 2500 Quadratmeter große Grundstücke, um die Selbstversorgung mit Obst und Gemüse sowie Tierhaltung zu sichern. „In den Anbauten waren Schweine und Hühnerställe“, sagt Michael Cottel.
Die Gesamtkosten lagen bei 3170 Reichsmark. Wenn kinderreiche Familien ein ausgebautes Dachgeschoss benötigten, stieg die Summe auf 5200 Reichsmark. Die Abzahlung erfolgte in Monatsraten von 20 bis 25 Reichsmark, die in der 1936 eröffneten Grundschule abzuliefern waren. Das Besondere: Die fertigen Häuser wurden im ersten Bauabschnitt unter den Siedlern verlost. So wusste niemand, wo er denn genau wohnen würde. Insgesamt entstanden 220 Häuser.
Die Jägerklause war nicht nur Kneipe, sondern auch Kino und Tanzsaal
Zeitweise habe es fünf Kneipen in der Siedlung gegeben, erinnert sich Michael Cottel. Die Jägerklause war außerdem Tanzsaal und Kino. „Bei den Vorführungen machten sämtliche Firmen aus der Umgebung Werbung“, sagt er. Um die 50 Betriebe habe es zu Spitzenzeiten gegeben. Das Spektrum reichte vom Friseur über Klempner, Schuster und Schneider bis zum Gemüseladen, Fischgeschäft und zur Tankstelle.
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„Als im Kino Anfang der 1960er-Jahre der letzte Film lief, hatten die Zuschauer Abschiedstränen in den Augen“, sagt Cottel. Die Szenen beim Winnetou-Streifen „Der Schatz im Silbersee“ und viele andere Ereignisse hat sein Vater auf Acht-Millimeter-Filmen festgehalten.
Auch wenn sich in neun Jahrzehnten viel verändert hat, ist der Stil von vielen Siedlungshäusern immer noch zu erkennen. Etliche Neubürger sind in den auf rund 2000 Einwohner gewachsenen Stadtteil gezogen. „Bei der 50-Jahr-Feier im Jahr 1983 waren aber auch noch 48 Ur-Siedler dabei“, sagt Cottel. Mittlerweile leben dort deren Kinder, Enkel und Urenkel.
Das Sommerfest zum 90-jährigen Bestehen wird an zwei Tagen gefeiert
Das Sommerfest zum 90-jährigen Bestehen wird am kommenden Wochenende gefeiert. Los geht’s am Freitag, 30. Juni, um 19 Uhr mit Livemusik von Gerd T. auf dem Bühne vor dem Edeka-Supermarkt am Dänenweg. Am Sonnabend, 1. Juli, gibt es ab 9 Uhr einen Flohmarkt. Das Bühnenprogramm für Jung und Alt beginnt um 15 Uhr. Der SSC Hagen, die Kita Pionierweg und die Freiwillige Feuerwehr sind dabei, der Verein Arise bietet Kinderschminken an. Bei der 1. Hagener Kinderolympiade geht’s um Medaillen. Zum Abschluss spielt die Band Paperclips ab 20 Uhr.
Die Geschichtswerkstatt (Heike Becker, Michael Cottel, Hilde Dabelstein, Gaby Dürkop, Susanne Möller, Hans Werner Müller, Ragnar Rohweder, Volkmar Rosink) der Bürgergemeinschaft Am Hagen zeigt die Ausstellung „90 Jahre Siedlung Am Hagen“ am Sonnabend von 13 bis 17 Uhr im Forum der Grundschule sowie online. Mitglieder beantworte vor Ort Fragen.
„Es gibt noch so viele Geschichten und Erlebnisse, die wir bewahren möchten“, sagt Cottel. So erhoffen sich die Stadtteil-Historiker Hinweise zur Familie Meier, die in dem einstigen Haus der Friedrich-Ebert-Stiftung (heute Wohngebiet Am Kratt) lebte, und zur Skulptur eines Arbeiters mit Schaufel an der Grundschule, über die nichts Genaueres bekannt ist. Denn nicht nur für Michael Cottel steht fest: „Die Siedlung war schon immer etwas Besonders – und ist es heute noch.“
Online-Ausstellung „90 Jahre Siedlung Am Hagen“:muella7.com/SaH90-Ausstellung/