Ahrensburg. Klassik-Nerd Stefan Pillhofer berichtet in seinem Online-Magazin „Orchestergraben“ über die wenig populäre Musikszene. Wie er dazu kam.

Äneas Damian Humm gilt als Shooting-Star unter den Tenören unserer Zeit. Der 27-jährige Schweizer hat auf großen Opernbühnen schon den Masetto in „Don Giovanni“, den Guglielmo in „Cosí fan tutte“, den Harlekin in „Ariadne auf Naxos“ und den Papageno in Mozarts „Zauberflöte“ gespielt und gesungen. In die erste Riege seiner namhafter Berufskollegen Plácido Domingo, Andrea Bocelli, Roberto Alagna und Jonas Kaufmann mag es für den jungen Bariton noch ein Stück des Wegs sein. Das hat den Ahrensburger Stefan Pillhofer aber nicht davon abgehalten, mit dem Spross einer schweizerisch-ungarischen Künstlerfamilie schon mal ein großes Interview für das Online-Magazin „Orchestergraben“ zu führen, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert.

Mit Freunden eine Popband gegründet

Doch warum mit Humm und nicht gleich mit einem der Top-Stars des Gewerbes? „Wir sind nicht das Feuilleton großer Zeitungen und Zeitschriften, bei denen die Etablierten ein hinreichendes Forum bekommen. Wir sind ein kleines, feines Online-Magazin, das eine Nische im großen Klassikbetrieb bespielt und dort seine Leserschaft gefunden hat“, sagt Pillhofer. Der Reiz habe nie darin gelegen, mit etablierten Printmedien zu konkurrieren. Vielmehr gehe es darum, weniger populären Themen Raum zu geben und junge Künstler darin zu unterstützen, sich in der Musikwelt zu etablieren und groß zu werden.

Musik hat den gebürtigen Franken, der nahe Nürnberg in einer durch und durch musikalischen Familie aufgewachsen ist, schon immer umgetrieben. Der Vater spielt Gitarre und Klarinette, die Mutter Flöte, der Bruder Kontrabass. „Ich selbst habe mich auf Klavier, Geige und E-Bass verlegt. Weil ich als Junge nicht zur Feuerwehr wollte, gründete ich mit Freunden kurzerhand eine Popband, die vorwiegend eigene Songs spielte“, berichtet Pillhofer.

Bei Konzerten oft am Mischpult gesessen

Doch schnell sei klar geworden, dass es für eine professionelle Musikerkarriere wohl nicht reichen würde. Also verlegt er sich aufs Produzieren. Erst mit einem selbst gebauten Vierspur-Rekorder aus den Kassettendecks von Vater und Bruder. Und nach dem Zivildienst mit einer dualen Ausbildung zum Toningenieur an einer renommierten Privatschule in Frankfurt am Main.

Pillhofer hat bei großen Livekonzerten oft am Mischpult gesessen, später aber auch viel in Studios zugebracht. So hat er unter anderem Alben der fränkischen Post-Punk-Band The Robocop Kraus produziert. Doch obwohl er heute noch Gefallen an Alternative Rock, Techno und Jazz findet, nimmt ihn Klassik doch mehr gefangen als jedes andere Musikgenre.

Feines Gehör ist Begabung und Geschenk

„Durch die fundierte Ausbildung und mein feines Gehör kann ich mich in einzelne Instrumentengruppen von großen Orchestern regelrecht reinhören und einfach mehr Klangnuancen wahrnehmen als ein Durchschnittshörer. Das ist eine Begabung und ein großes Geschenk“, sagt der 47-Jährige, der sich selbst als regelrechten Klassik-Nerd bezeichnet.

Und so kam es, dass er das, was er da selbst herausgehört hat, irgendwann mit anderen teilen wollte. „2013 hatte ich die Zeit, die Energie, die Motivation und den Impuls, einen Blog zu starten, der sich vor allem um Klassik und Opern dreht“, erzählt der Vater zweier Kinder, der vor 22 Jahren wegen eines Jobs nach Ahrensburg kam und in der Schlossstadt inzwischen fest verwurzelt ist.

Sieben Mitstreiter aus ganz Deutschland

Die Resonanz war von Beginn an da. Nicht nur von Klassikfreunden, die seine Texte regelmäßig lasen und kommentierten. Auch von Musikkennern, die anboten, ihn mit Texten zu unterstützen. Heute hat Pillhofer sieben Mitstreiter aus ganz Deutschland, die den „Orchestergraben“ mit ihrer Expertise und Fachkompetenz füllen.

„Inzwischen haben wir längst einen Namen in der Klassikszene. Wir sind bei den wichtigen Klassiklabels gelistet, rezensieren regelmäßig neue Alben, besuchen selbst Klassikkonzerte und Opern, sprechen mit Künstlern und unterstützen mit unseren Artikeln kleinere Klassikfestivals, die sich profilieren und wachsen wollen“, sagt Pillhofer.

Plattform für Tipps jenseits des Mainstreams

Er versteht sein Magazin vor allem als eine Plattform für persönliche Empfehlungen und außergewöhnliche Tipps jenseits des Klassik-Mainstreams. Das komme vor allem beim jüngeren Leserkreis gut an, dessen Durchschnittsalter deutlich unter jenem der traditionellen Kulturmedien liege. Weshalb sich das Autorenteam des „Orchestergrabens“ auch verstärkt zeitgenössischer Musik und neuen Konzertformaten zuwenden will, wie sie etwa an der Alten Oper Frankfurt entwickelt werden.

„Es gibt zum Beispiel die Idee, bei uns eine Art Best of der spektakulärsten Opernszenen in Wort und Bild zu zeigen, wenn möglich sogar mit Videosequenzen“, verrät Pillhofer. Der mit Unterstützung des Grafikers Bertram Sturm längst auch die sozialen Netzwerke intensiv bespielt, um sein Online-Magazin noch bekannter zu machen. Und das sind nicht nur die reichweitenstarken Schwergewichte wie Facebook, Instagram und Twitter, sondern auch unabhängige Fediverse-Netzwerke wie Mastodon.

Inzwischen verzeichnen die „Orchestergraben“-Artikel in der Regel Zugriffszahlen im vierstelligen Bereich, Tendenz steigend. Ist es da an der Zeit, das wachsende Interesse zu monetarisieren? „Ich will das nicht ausschließen“, sagt Pillhofer. Aber noch sei sein Baby vor allem ein Hobby, so der Ahrensburger, der seinen Lebensunterhalt vornehmlich mit Software für Onlinemedien verdient.

Ein alter Mann in seiner alten Heimat Franken, der in seinem Garten zwar stets hart arbeitete, aber vollkommen unabhängig war, habe mal den schönen Satz geprägt: „Auf meiner Ranch, da bin ich König!“ Und so sieht Pillhofer auch sich und sein Online-Magazin: „Der Orchestergraben ist meine Ranch. Wo ich die Freiheit habe, mir die Themen aussuchen und neue Formate ausprobieren zu können, ohne dabei auf Klickzahlen und Abos achten zu müssen. Diese Freiheit würde ich mir gern noch eine Weile gönnen.“