Sylt. Lister Ellenbogen, Morsum Kliff und Hörnum Odde – eine Expedition an ganz besondere und unterschiedliche Endpunkte der Nordseeinsel
Alles hat ein Ende – aber Sylt hat drei: Zwei Endpunkte der Insel kennt jeder Besucher – na ja, zumindest vom Namen. Im Norden begrenzt der Lister Ellenbogen mit seiner weiten Dünenlandschaft und den langen einsamen Stränden die Insel. Das Südkap Sylts bildet die Hörnum Odde mit seinem weiten, sich ständig verändernden Sandstrand. Das dritte Ende der Insel besuchen wahrscheinlich die wenigsten Sylt-Urlauber. Das Morsum Kliff liegt ganz weit im Osten – und ist so ganz anders. Alle drei Sylter Enden sind ein Erlebnis – und allemal einen Ausflug wert. Wir sind einmal vorausgegangen – folgen Sie uns!
Die Endpunkte der Welt, die abrupten Übergänge von Land und Meer, von Heimat und der unbegreiflichen Weite des Nichts haben schon immer eine faszinierende Anziehung auf Menschen gehabt: das Kap Hoorn in Südamerika, das Kap der Guten Hoffnung in Südafrika oder auch das Nordkap – die Enden der Welt ziehen uns an. Sie sind besondere Orte der Kontinente – und im Kleinen auch besondere Orte einer jeden Insel. Manchmal möchte man sie nur erreichen, um sie von der eigenen Erlebnisliste streichen zu können – und manchmal ist man von ihrer Magie ganz überrascht.
Das Nordende von Sylt: Der Lister Ellenbogen
Wer sich ganz bis ans nördliche Ende Sylts wagt, der wird von Dänemark empfangen. Am einsamen Strand des Lister Ellenbogens logt sich das Mobiltelefon ins dänische Netz ein. Kein Wunder: Die Insel Rømø liegt scheinbar zum Greifen nah. Es sieht fast so aus, als könne man hier herüberschwimmen. Aber das ist weiß Gott keine gute Idee. Die Strömung zwischen den Inseln ist lebensgefährlich – weshalb das Schwimmen am Ellenbogen verboten ist. Und obendrein täuscht die Nähe: Es liegen immer noch gut vier Kilometer Wasser zwischen den Inseln …
Der Lister Ellenbogen ist weitläufig, in der Nebensaison ist es einsam hier. Zu Hause sind hier vor allem Schafe. Manchmal auch Filmteams: Hier werden die ganzen Fernsehfilme der Reihe „Nord Nord Mord“ gedreht. Wenn die Beamten in der Sendung über eine Straße zum Tatort oder zur Vernehmung jagen – dann fahren sie gefühlt immer über diese eine Straße am Lister Ellenbogen.
Der Ellenbogen ist gleich in vielfacher Hinsicht etwas Einmaliges: Die 4,5 Kilometer lange Halbinsel ist nur zwischen 330 und 1200 Meter schmal. Das ganze Landstück ist Privatbesitz und gehört der Listland-Eigentümergemeinschaft. Wer am Wochenende oder in der Saison mit dem Auto den Lister Ellenbogen befahren will, der muss eine Mautabgabe zahlen. Zu Fuß und mit dem Rad kann man eines der schönsten Stückchen Sylts kostenfrei erkunden. Die Öffnungszeiten der Mautstelle variieren nach Jahreszeit und Wetter.
Der Ellenbogen ist ein einziges riesiges Vogel- und Naturschutzgebiet. Am Strand gibt es Robben, in den Dünen tummeln sich die Schafe. Die frei laufenden Schafe haben übrigens auf dem Ellenbogen auch auf der Straße grundsätzlich Vorfahrt. Und sie scheinen das zu wissen: Die Vierbeiner tummeln sich auch gern mal in aller Seelenruhe auf dem Asphalt. Und damit die Schafe auch sonst nicht gestört werden, gilt überall auf dem Ellenbogen eine strenge Anleinpflicht für alle Hunde.
Der Strand am Ellenbogen ist lang und einsam. Vielleicht auch, weil man hier nicht schwimmen darf und sollte. Vielleicht weil das Meer und die Strömung so kraftvoll sind. Auf eine besondere Art zeigen das auch ein paar verrostete, durchlöcherte Spundwände, die wohl einst als Buhnen gedacht waren. Die Strömung der Nordsee zerreißt den Stahl im Laufe der Jahrzehnte förmlich in Stücke.
Am Ende des Ellenbogens ragt der Strand steil aus dem Meer hinauf. Hier möchte man nicht hinunterstürzen. Zwei Meter Höhenunterschied sind es bestimmt, als ich hinunterschaue. Verdammt – wie hält der Sand bloß in dieser Lage der Strömung stand?
Im Inneren des Ellenbogens ist es deutlich ruhiger. Weniger Drama! Dafür reichlich Sport: Hier befindet sich der Surfspot Königshafen. Ein wahres Paradies für Kite- und Windsurfer – und ein ideales Gebiet für die Neulinge unter den Surfern. Auf der langen Wanderung rund um den Ellenbogen stapfen immer wieder Neopren-Geschöpfe glücklich erschöpft aus dem Wasser.
Das Ostende von Sylt: Morsum Kliff
Hier, auf der südlichen Seite der Bahnlinie, ganz am östlichen Ende der Insel, erholen sich die Kühe und Schafe auf saftigen Wiesen. Nur schmale Feldwege führen hier hin. Ein Bauer zieht mit seinem Traktor gemütlich seine Bahnen über das Feld. Auf einem Hof laufen Hühner frei herum. Ja, hier sieht man: Der Stempel „Sylter Eier“ im Feinkostladenregal ist kein Etikettenschwindel. Kurz vor Beginn des Bahndamms in Richtung Festland hat ein Jäger einen Hochsitz aufgebaut. Was auch immer da Leckeres vom Festland illegal herüber nach Sylt will: Hier wird es abgefangen. Na ja, nicht immer. Gerade sitzt dort kein Jäger. Aber benutzt sieht der Hochsitz auf jeden Fall aus. Ein Traktor pflügt den Acker. Und vor dem kleinen Bahnwärterhaus steht ein Schild: „Zu verkaufen“. Nur am Absender und Eigentümer des Schildes erkenne ich, dass ich auf Sylt bin. Wahrscheinlich stehe ich vor dem weltweit einzigen Bahnwärterhaus, das von Sothebys verkauft wird.
Nördlich der Bahnlinie liegt das Morsum Kliff. Das Kliff ist nicht umsonst ein besonderer Anziehungspunkt für anspruchsvolle Urlauber – es ist auch optisch wirklich eine Schau: Oben ist es eine typisch wilde Sylter Heidelandschaft. Das Kliff ist etwa 1800 Meter lang und mehr als 20 Meter hoch. Geologisch ist das Kliff einzigartig in Europa: Sein Erscheinungsbild aus unterschiedlichen Rottönen verdankt es mehreren Erdschichten, einem dunklen Glimmerton, dem roten Limonit-Sand, dem weißen Kaolinsand und braungelbem Geschiebelehm.
Entstanden ist das Kliff während einer Eiszeit vor rund 150.000 Jahren. Die Erdschichten wurden durch Gletscher schräg übereinandergeschoben. Wenn man heute auf das Kliff und dessen Erdschichten blickt, dann schaut man auf stolze 12 Millionen Jahre Geschichte unserer Erde.
Bei der nur etwa 3,5 Kilometer langen Rundwanderung durch das Naturschutzgebiet Morsum Kliff – immerhin eines der ältesten Naturschutzgebiete Schleswig-Holsteins – fragt man sich immer wieder einmal: Bin ich eigentlich noch auf einem Weg? Oder stapfe ich aus Versehen doch bereits durch die abbrechende Heidelandschaft? Wenn da nicht ab und an ein kleines Holzschild am Rand der Trampelpfade mit dem unerklärlichen Hinweis „Hauptweg“ stehen würde – ich hätte gedacht, ich sei längst mitten in der Heide verloren.
Start und Endpunkt der kleinen Wanderung ist der Parkplatz an Severin*s Landhaus. Das Landhaus ist auch ein perfekter Platz für eine anschließende Erfrischung in Form von Kaffee und Kuchen oder Wein und Salat. Übrigens: auch Fahrräder müssen hier abgestellt werden, denn ins Naturschutzgebiet geht es nur zu Fuß. Am Parkplatz gibt es einige Schautafeln, die einem ein wenig Grundlagenwissen über die Geologie, aber auch die Flora, Fauna und die historischen Hügelgräber des Morsum Kliffs mit auf den Weg geben. So kann man unterwegs alles in Ruhe genießen – die vielfältigen Tierarten, die imposante Natur und nicht zuletzt den wunderschönen Blick über das Wattenmeer.
Vom Kliff blickt man bis Keitum ebenso wie bis zum Festland. Selbst hier auf der Lee-Seite der Insel wachsen die Bäume und Sträucher mit dem Wind und neigen sich weit gen Osten. Über einem Feldweg sind die Bäume wie ein Torbogen gewachsen.
Immer wieder einmal sehe ich in der Ferne einen Zug über den Hindenburgdamm fahren. Mal ist es ein Regiozug, dann ein doppelstöckiger Autoreisezug der Deutschen Bahn, dann der flache blaue Autozug. So viel Abwechslung, aber auch so herrliche Weite … Wem der Rundweg durch das Morsumer Kliff nicht reicht, der kann sich im Anschluss noch auf den kurzen Weg nach Klein Afrika machen: Nicht einmal 200 Meter vom Parkplatz entfernt – zurück in Richtung Morsum – geht es rechts hinunter durch ein kleines dünenartiges, um nicht zu sagen: wüstenartiges Tal bis zur See.
Das Südende von Sylt: Die Hörnum Odde
Das südlichste Ende der Insel wird immer kleiner. Einst war die Hörnum Odde ein riesiges Sandgebiet. Aber die Nordsee hat in den vergangenen Jahrzehnten eifrig daran geknabbert. Aber bevor wir hier weiter einsteigen: Warum eigentlich Odde? Wir alle wissen, was ein Ellenbogen ist und können uns auch ein Kliff vorstellen.
Aber was bitte ist eine Odde? Google und Wikipedia finden auch in den Dünen von Hörnum die passende Antwort: „Mit Odde, früher auch Aad, wird in Dänemark, Norddeutschland und Skandinavien eine schlanke, ins Meer ragende Landzunge bezeichnet. Wegen ihrer exponierten Lage kann eine Odde auch Seezeichen, z. B. einen Leuchtturm, beherbergen.“ Und weiter lernen wir: In Deutschland gibt es die Amrumer Odde – und die Hörnum Odde. Also: Wir befinden uns hier an einem wirklich besonderen Ort.
Aber zurück zum Knabbern der Nordsee: Die Hörnum Odde verlagert sich mit etwa 40 Metern im Jahr dramatisch schnell in Richtung Osten – und verliert dabei gleichzeitig insgesamt an Fläche. Doch kampflos will man Insel und Odde nicht aufgeben: Seit 2012 wurden insgesamt 14,7 Millionen Kubikmeter Sand (für mehr als 73 Millionen Euro) vor die Küstenlinie gespült. Das meiste davon vor Hörnum … Und dennoch: Es lohnt immer noch die Hörnum Odde zu entdecken! Am besten, man beginnt im Nordwesten am FKK-Strand, am Strandrestaurant Kap-Horn.
Vom Ort Hörnum geht man dann erst einmal durch die wilde – und dennoch teilweise bebaute – Dünenlandschaft. Unten am Strand angelangt, „biegt“ man (bevor man nasse Füße bekommt) links ab. Die rund zwei Kilometer lange Odde steht seit 1972 unter Naturschutz.
1968 wurden an der Odde zum Schutz der damaligen Neubauten im Südwesten von Hörnum sogenannte Tetrapoden verlegt. Der Name klingt wie aus einer griechischen Saga entsprungen. Und ja: Ein wenig Griechenland verbirgt sich auch darin. Tetrapodes ist das griechische Wort für „vierfüßig“.
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Das klingt leichtfüßig harmlos, aber Tetrapoden sind sechs Tonnen schwere Betongebilde (mit vier Füßen), die seit den 50er-Jahren zum Küstenschutz nicht nur auf Sylt an die Küste gehievt werden. Insgesamt stattliche 6000 Stück. Der Plan, die Insel durch das bizarre Betonbollwerk zu schützen, ging nur halb auf: Zwar wurden die Dünen in dem Bereich stabilisiert, doch der südlich gelegene Teil der Odde erodierte dafür umso stärker.
Wer immer noch glaubt, die Geschichten vom Schwinden der Insel seien Märchen, der ist hier an der Hörnum Odde genau richtig: Kaum hat man die Tretrapoden hinter sich gelassen, reduziert sich der Strand auf eine Breite von wenigen Zentimetern. Bei Flut kommt man kaum trockenen Fußes hier entlang. Rechts das Meer, links abgerissene Dünen. Da stehen Zaunpfähle, die man bereits zur Hälfte von unten sehen kann. Die Erde, die sie einst rund herum bedeckte, liegt längst irgendwo auf dem Grund der Nordsee. Beim nächsten Sturm schwimmt dieser Pfahl davon – auf nach Schottland, Dänemark oder weiter …
Aber diese dramatische Kulisse ist zum Glück nur 100 bis 200 Meter lang. Dann weitet sich der Strand wieder. Wobei: Ist das wirklich noch so, wenn Sie dieses Magazin in einigen Wochen oder Monaten wieder zur Hand nehmen und dann vielleicht endlich diesen Bericht lesen? Ich kann für nichts garantieren!
An der südlichsten Spitze der Odde bieten sich den Strandspaziergängern wahrhafte Strömungsschauspiele im Meer: Hier treffen die Strömungen von Luv und Lee der Insel an der Spitze gegeneinander. Strudel bilden sich hier. Eine weiße Gischt trifft auf die andere. Ich könnte hier stundenlang zuschauen.
Aber ich muss weiter: In der Ferne ist der Hafen von Hörnum in Sicht. Muschelfischer fahren ein und aus. Der Leuchttum von Hörnum thront über den Dünen – und im Hafen wartet bestimmt ein sonniges Plätzchen auf mich. Vielleicht sogar mit einer erfrischenden Belohnung am Ende dieser kleinen Reise an die drei Enden von Sylt …
Das Sylt-Magazin:
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