Sylt. Deutschlands beliebteste Insel bietet nicht nur viele Naturschönheiten, sondern auch viele überraschende Fakten und Geschichten.

Wer sich mit offenen Augen und einem neugierigen Blick über die Insel und durch seinen Urlaub bewegt, der wird auf Sylt an vielen Stellen Dingen begegnen, mit denen man so vielleicht nicht rechnet. Das Spektrum reicht von Sylts höchstem Bauwerk über einen kaum bekannten Urwald auf Sylt bis hin zu einem etwas anarchistischen Pionierflug, der in List startete.

1. Wurde die höchste Erhebung Sylts, die Uwe-Düne in Kampen, nach Uwe Seeler benannt?

Auch wenn es sich der Hamburger Sportverein und die HSV-Fans wünschen und das Hamburger Fußballidol einen Rekordgipfel wahrlich verdient hätte: Mit Uwe Seeler hat die Uwe-Düne leider nichts gemein. Die mit 52,5 Meter höchste natürliche Erhebung Sylts, die ursprünglich „Uwenberg“ hieß (bis man feststellte, dass es sich hierbei eigentlich um eine zum Stillstand gekommene Wanderdüne handelt), wurde nach dem Keitumer Uwe Jens Lornsen (1793– 1838) benannt. Der Keitumer war Jurist und Freiheitskämpfer. Er setzte sich für Menschenrechte und freiheitliches Denken ein. Als er für kurze Zeit Sylter Landvogt wurde, veröffentlichte er eine 14-seitige Schrift „Ueber das Verfassungswerk in Schleswigholstein“.

Die Uwe-Düne in Kampen ist mit 52,5 Meter Höhe die höchste natürliche  Erhebung der Insel.
Die Uwe-Düne in Kampen ist mit 52,5 Meter Höhe die höchste natürliche Erhebung der Insel. © picture alliance | Udo Bernhart

Schon das Weglassen des Bindestrichs war Programm. Lornsen wollte eine umfassende Veränderung der politischen Struktur und ein von Dänemark unabhängiges Schleswig-Holstein erreichen. Allerdings: Der dänische König Frederik VI. fand das gar nicht lustig und ließ Lornsen nur wenige Wochen nach seinem Amtsantritt auf Sylt verhaften und zu einem Jahr Festungshaft verurteilen. Nach der Entlassung wanderte Uwe Lornsen nach Brasilien aus. 1837 kehrte er nach Europa zurück und nahm sich 1838 am Genfer See das Leben. Uwe Jens Lornsen gilt er als Vordenker des modernen Verfassungsstaates – und Stolz der Sylter.

2. Was hat es mit der sogenannten Ralf-Regel auf Sylt auf sich?

Nein, hier geht es nicht darum, dass man in Kampen nur mit schicken Polohemden von Ralph Lauren (der schreibt sich ja auch mit „ph“) herumlaufen darf. Auch die Surflehrer müssen nicht zwingend Ralf heißen. Die Ralf-Regel ist einfach nur eine nette Eselsbrücke für all jene, die an der Südspitze der Insel auf der Hörnumer Odde stehen und sich fragen, welche Inseln sie da in greifbarer Nähe sehen. Ganz einfach: RALF – Rechts Amrum. Links Föhr.

3. Wurde die bekannteste Straße Westerlands, die Friedrichstraße, nach dem gleichnamigen dänischen oder dem preußischen König benannt?

Weder noch! Die freiheitsliebenden Sylter haben ihre Prachtstraße weder dem einen noch dem anderen König vermacht. Die Geschichte der Friedrichstraße in Westerland ist viel schöner. Sie wurde benannt nach zwei Westerländern: dem Kaufmann Friedrich Wünschmann und dem Kapitän Friedrich Erichsen. Die heutige Einkaufsmeile zwischen Bahnhof und Nordseestrand war bis weit in das 19. Jahrhundert hinein nicht mehr als ein unbefestigter, namenloser Weg.

Die Friedrichstraße in Westerland wurde nach zwei Westerländer Bürgern benannt.
Die Friedrichstraße in Westerland wurde nach zwei Westerländer Bürgern benannt. © imago stock&people | imago stock&people

Die beiden Westerländer stellten unentgeltlich Teile ihrer Grundstücke für den Ausbau des Weges zur befestigten Straße zur Verfügung. Als die Gemeinde 1888 den Straßen des Ortes Namen gab, gab sie der Straße – vielleicht aus Dank eben dafür – den Namen „Friedrichstraße“. Die Friedrichstraße auf Sylt steht also ganz anders als die Friedrichstraße in Berlin (benannt nach Kurfürst Friedrich III.) ganz und gar für Bürger und bürgerliches Engagement.

4. Wenn man auf der Landstraße von Sylt in Richtung Hörnum fährt, erblickt man, kurz hinter dem Parkplatz der Sansibar, einen riesigen stählernen Sendemast. Werden hier Radiosendungen verbreitet? Wird hier Forschung betrieben? Oder handelt es sich bei dem Mast um ein militärisches Bauwerk?

Die Antwort: Keine der Fragen trifft wirklich ins Schwarze. Wenngleich – die letzte Frage führt vielleicht am ehesten in die richtige Richtung. Bei dem 193 Meter hohen Bauwerk handelt es sich um den Loran-C-Sender Rantum. Er ist das höchste Bauwerk der Insel. Der Sender wurde von 1963 bis 1994 von der US Coast Guard betrieben. Die Abkürzung „Loran“ steht für „Long Range Navigation“. Das System wurde von den USA für die Schifffahrt im Zweiten Weltkrieg entwickelt und war bis in die 90er-Jahre Standard für die west­liche Seefahrt.

Loran-C-Sender Rantum ist 193 Meter hoch – und damit das höchste Bauwerk der Insel. 
Loran-C-Sender Rantum ist 193 Meter hoch – und damit das höchste Bauwerk der Insel.  © AURORA SYLT / Georg Supanz | AURORA SYLT / Georg Supanz

Die Signale des Rantumer Senders wurden für die Navigation der Schiffe bis zu 1000 Kilometer weit auf die See gesendet. In Kombination mit Nebensendern konnte eine Positionsbestimmung bis auf wenige Meter erreicht werden. 1994 übergab die US Coast Guard den Sender an Deutschland. Während die USA auf GPS umstellten, wurde der Betrieb der Sender in Europa noch bis zum 31. Dezember 2015 aufrechterhalten. Heute ist das Bauwerk nicht mehr als eine imposante Erinnerung – an einen kurzen Moment in der Inselgeschichte.

5. Die Sylter sprechen manchmal von „Seekühen im Watt“ – was bitte hat es damit auf sich?

Die „Seekühe“ gibt es wirklich. Sie sind zwischen Kampen und List auf der Wattseite der Insel zu sehen. Auf Beinen stehende Ungetüme im Wasser. Aber: Sie bewegen sich nicht. Sie sind aus Stahl und rotten langsam vor sich hin. Was es damit auf sich hat? Die Antwort ist in einer Zeit zu finden, in der Sylt komplettes Sperrgebiet für Touristen war – im Zweiten Weltkrieg. Die stählernen Konstruktionen im Wattenmeer dienten als Zielobjekte für Flugzeugstaffeln der Wehrmacht. Heute brüten hier Vögel.

6. Angeblich soll es auf Sylt einen Urwald geben. Wie kann das sein?
Wo soll denn der versteckt sein?

Ja, in der Tat: Der Lister Urwald ist ein wenig versteckt und auch nicht allzu groß. Er liegt zwischen der Straße Landwehrdeich und Am Brünk. Einst wurde das Grün als Kurpark angelegt – seit den 1950er-Jahren verwildert es.

Der Lister Urwald zwischen der Straße Landwehrdeich und Am Brünk ist sicher nicht das, was man in anderen Teilen der Welt als Urwald bezeichnet – ungewöhnlich ist das kleine Wäldchen für Sylt dennoch.
Der Lister Urwald zwischen der Straße Landwehrdeich und Am Brünk ist sicher nicht das, was man in anderen Teilen der Welt als Urwald bezeichnet – ungewöhnlich ist das kleine Wäldchen für Sylt dennoch. © AURORA SYLT / Georg Supanz | AURORA SYLT / Georg Supanz

Auch wenn es hier keine wilden Tiere gibt und die Ausmaße überschaubar sind: Der Lister Urwald ist eine kleine Oase. Übrigens, auch wenn man Sylt vor allem mit Strand, Dünen, Wiesen und Heide verbindet: Insgesamt gibt es auf der Insel auch zwölf kleine Wäldchen.

7. Stimmt es, dass Sylt nicht nur eine Insel der Fischer und Seefahrer ist, sondern in seiner Geschichte auch mit Pionierleistungen der Luftfahrt punkten kann?

Absolut! Und das gleich mehrfach: Der Flughafen Westerland ist einer der ältesten Deutschlands. Die Verbindung Westerland–Hamburg–Berlin wurde im Juli 1919 als zweite Verbindung der Deutschen-Luft-Reederei (einer Vorgängerin der Lufthansa) in Betrieb genommen. Hintergrund war damals der neue Grenzverlauf zwischen Deutschland und Dänemark nach dem Ersten Weltkrieg. Während Sylt nach einer Volksabstimmung zu Deutschland gehörte, lag der Fährhafen Hoyerschleuse, der bislang Sylt mit dem Festland verband, nunmehr in Dänemark. Und auch wenn es sich heute niemand mehr vorstellen kann: Damals war eine Reise über die Grenze verdammt kompliziert. Die Eisenbahnwaggons mit den Passagieren mussten für die Reise verplombt werden. Im Fährhafen wurde genauestens darauf geachtet, dass die Deutschen den direkten Weg aufs Schiff nehmen.

Aber es gibt noch viel abenteuerlichere Bedeutungen Sylts für die Luftfahrt: Und die hat gleich zweifach Wolfgang von Gronau begangen. Der Berliner, der damals Leiter der Verkehrsfliegerschule in List war, startete am 18. August 1930 mit einer alten Dornier Wal D-1422, einem Flugboot, zu seinem ersten Trans­atlantikflug in Ost-West-Richtung.

Der Flugpionier Wolfgang von Gronau flog 1930 mit dem Flugboot Dornier Wal D-1422 von Sylt nach New York.
Der Flugpionier Wolfgang von Gronau flog 1930 mit dem Flugboot Dornier Wal D-1422 von Sylt nach New York. © picture-alliance / dpa | Fotoreport Dornier GmbH

Der Clou: Er hatte eigentlich den Auftrag, zum Nordkap und zurück zu fliegen. Stattdessen nahm er Kurs auf Island. Dort informierte er seine Crew – sowie das Reichsverkehrsministerium – über seinen Plan, als Erster weiter bis in die USA zu fliegen. Es gelang ihm, den Luftweg über den Atlantik (4670 Meilen) in „nur“ 47 Flugstunden zu bewältigen. Während man in Berlin über Disziplinarverfahren nachdachte, wurde er bei seiner Landung auf dem Hudson River vor Manhattan als Held gefeiert – und vom Präsidenten im Weißen Haus empfangen.

Zwei Jahre später trat Wolfgang von Gronau ebenfalls von List aus einen weiteren Rekordflug an, der in die Geschichte einging: Im Juli 1932 startete er mit einem zweimotorigen Wasserflugzeug Dornier-Wal zu einer Reise um die ganze Welt. Nach mehr als 44.000 Kilometern kehrte er am 24. November 1932 nach List zurück. Die Gemeinde List verlieh ihm die Ehrenbürgerschaft, zu der auch ein unentgeltliches Begräbnis gehörte. So kommt es, dass der deutsche Flugpionier, der in Berlin geboren wurde und in Bayern starb, 1977 auf dem Friedhof in den Lister Dünen beerdigt wurde.

8. Was kostet 1000 Euro Strafe – wenn man es am Sylter Strand macht?

Nein, nackt herumlaufen ist an vielen Strandabschnitten kein Problem. Sie werden es kaum glauben: Auch wenn sich an der Westküste Sylts mehr als 40 Kilometer feinste Sandstrände aneinanderreihen – der Bau von Strandburgen ist auf der Nordseeinsel streng verboten. Auch Löcher dürfen die Urlauber nicht in den Strand graben. Wer sich nicht daran hält, dem droht eine Strafe von bis zu 1000 Euro für seine illegale Strandburg. Die Vorschrift mag für den Urlauber auf den ersten Blick befremdlich oder gar klein­kariert erscheinen – doch für Sylt ist sie im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig.

Strengstens verboten: Sandburgen sind am Strand von Sylt nicht erlaubt.
Strengstens verboten: Sandburgen sind am Strand von Sylt nicht erlaubt. © picture alliance / dpa | Christian Charisius

Die Inselgemeinde will kein Spielverderber sein. Sie muss schlichtweg den Sand und die Insel schützen. Wind und Wasserströmung dürfen nicht noch mehr Sand von der Insel abtragen als ohnehin schon. Denn die Insel wird immer kleiner. Der Sand ist der einzige Küstenschutz, den die Insel besitzt. Es gibt keine andere natürliche Barriere gegen die enorme Wasserkraft der Nordsee.

Das Meer trifft mit voller Wucht auf die Küste und reißt mit jeder Welle riesige Sandmengen mit sich. Wenn dann auch noch Urlauber Sand- oder Strandburgen bauen, lockern sie den Sand noch weiter auf und beschleunigen den Prozess dadurch weiter. Und: Auch der Wind findet an den Burgen eine perfekte Angriffsfläche und trägt den Sand fort. Wer also Sylt schützen will, der verzichtet auf Sandburgen ...

9. Wurde der Bahndamm zwischen dem Festland und Sylt nach Reichspräsident Paul von Hindenburg benannt, weil dieser eine besondere Beziehung zu Sylt hatte?

Ein netter Gedanke – die Wahrheit aber sieht ganz anders aus: Paul von Hindenburg hatte eigentlich so gar keine Beziehung zu Sylt. Der fast 80 Jahre alte Reichspräsident weihte den Eisenbahndamm am 1. Juni 1927 nach einer Bauzeit von vier Jahren mit einer Fahrt nach Westerland ein. Bereits nach wenigen Stunden – kurz nach Ende der offiziellen Feierlichkeiten – verließ er die Insel wieder in Richtung Festland. Es war sein erster – und auch sein letzter Besuch auf Sylt.

Doch es kommt noch besser: Offiziell heißt der Damm gar nicht „Hindenburgdamm“ – es gab keine wirkliche Namensverleihung, es gibt kein Namensschild, und bei der Deutschen Bahn als Eigentümerin firmiert das Bauwerk schlicht unter der Bezeichnung „2010“. Der Name „Hindenburgdamm“ hat sich einfach nach der Einweihung im Sprachgebrauch so eingebürgert. Das macht es im Übrigen auch so schwer, den Damm umzubenennen: Denn ebenso wie bei diversen Straßen und Schulen in ganz Deutschland (in Hamburg die Hindenburgstraße, in Kiel das Hindenburgufer) gab es auch für den Hindenburgdamm immer wieder Anläufe für eine Umbenennung. Denn: Der 1934 gestorbene Generalfeldmarschall und Reichspräsident gilt heute auch als Steigbügelhalter Adolf Hitlers.

Paul Ludwig von Hindenburg weihte den Eisenbahndamm am 1. Juni 1927 nach einer Bauzeit von vier Jahren mit einer Fahrt nach Westerland ein.
Paul Ludwig von Hindenburg weihte den Eisenbahndamm am 1. Juni 1927 nach einer Bauzeit von vier Jahren mit einer Fahrt nach Westerland ein. © De Agostini via Getty Images | DEA / A. DAGLI ORTI

Der jüngste Vorstoß wurde im Jahr 2022 von den Grünen im Amt Südtondern unternommen. Wohl wissend, dass man etwas, das keinen offiziellen Namen trägt, nicht umbenennen kann, fordern sie die öffentlichen Einrichtungen schlicht auf, den Namen „Hindenburgdamm“ nicht mehr zu benutzen. Man solle stattdessen lieber vom „Syltdamm“ sprechen.

10. Wird im Süden Sylts ein neuer Damm zwischen Hörnum und dem Festland zur Entlastung des Hindenburgdamms gebaut – oder soll er gar zur Insel Föhr führen?

Wer an der Hörnum Odde, der sandreichen, aber immer mehr schwindenden Südspitze der Insel steht und in Richtung Südosten über das Wattenmeer blickt, der mag sich darüber wundern, was sich da im Meer tut: In Richtung Festland baut sich in der Ferne eine weithin sichtbare Pfahlreihe auf. Aus dieser Position sieht es so aus, als würde die Linie eine Verbindung zum Festland aufnehmen. Wird dort Land gewonnen für einen neuen Damm?

Die Frage beschäftigt so manchen Frühlingsspaziergänger auf der Odde. Eine interessante Vorstellung – aber die Wahrheit wird die Spaziergänger enttäuschen (oder auch beruhigen). Denn die Pfähle in der Ferne sind kein riesiges Verkehrsprojekt, sondern schlichtweg die Muschelfelder der Hörnumer Muschelfischer.

Seit 2006 werden die Miesmuscheln vor Hörnum regelrecht landwirtschaftlich angebaut: Zwischen den weithin sichtbaren Pfählen sind rund 100 Meter lange schwimmende Kunststoffrohre mit Netzen befestigt. An diesen Netzen wachsen Miesmuscheln, die europaweit gekocht und genossen werden.