Hörnum. Von November bis Januar bekommen Kegelrobben ihre Jungen. Damit sie sicher ins Leben starten, warten Freiwillige stundenlang.
Die Sonne ist noch nicht einmal ganz aufgegangen, aber Amelie Gelzenleuchter steht schon in den Hörnumer Dünen. Gemeinsam mit einer Kollegin ist sie heute für den „Keglergang“ an Sylts Südspitze verantwortlich. Seit Juli 2022 macht die 19-Jährige ihren Bundesfreiwilligendienst in der Schutzstation Wattenmeer Hörnum.
„Jeden Tag laufen wir die Strände rund um Hörnum ab und halten nach Seehunden und Kegelrobben Ausschau“, erklärt Gelzenleuchter, die in Hörnum mit sieben anderen Freiwilligen untergebracht ist. Mit einem Fernglas um den Hals steigt sie die Dünen zum Strand hinab.
Nordsee Wattenmeer: Kegelrobben stehen unter besonderem Schutz
Für Februar sind die Temperaturen an diesem Morgen mild, 5 Grad Celsius, ein sanfter Wind weht. Am Himmel stehen in paar rosa Wolken.
Amelie Gelzenleuchter erklärt: Die morgendlichen Rundgänge im Winter dienen vor allem dazu, die „Kegler“, wie der Nachwuchs der Kegelrobben genannt wird, zu schützen. Denn im Gegensatz zu Seehunden bringen Kegelrobben ihre Jungen zwischen November und Januar zur Welt. Die Säugetiere stehen im Wattenmeer unter besonderem Schutz – und werden daher speziell umsorgt.
Freiwillige warten manchmal stundenlang
„Wenn ich eine junge Kegelrobben entdecke, melde ich das der Schutzstation. Dann kommt, so schnell es geht, jemand mit einem Rucksack mit Equipment angeradelt oder sogar angerannt“, so Gelzenleuchter. Das Gebiet um das Tier müssen die Naturschützer weiträumig abstecken. Und dann heißt es: Warten.
„Wegen des besonderen Schutzes haben wir die Verantwortung, auf die Tiere zu achten.“ Aus sicherer Entfernung behalten die Naturschützer das Junge dann im Auge. „Wenn das Tier gesund wirkt, warten wir bis zum Sonnenuntergang, ob die Mutter kommt“, sagt die 19-Jährige aus Gießen. Und das kann dauern. „Wir lösen einander ab. Aber ich habe auch schon mal vier Stunden bei einer Kegelrobbe gewartet.“
In Friedrichskoog werden die Tiere gestärkt
Falls bis zum Abend nichts passiert ist, wird am nächsten Morgen wieder nach dem Tier geguckt. Sollte das Jungtier noch immer da sein, wird es mit dem Zug aufs Festland nach Friedrichskoog gebracht. Dort wird es in der Seehundstation aufgepäppelt, bis es wieder in die Freiheit entlassen werden kann.
Denn einmal am Strand angespült, kann es für die ganz kleinen Jungen schwierig sein, ohne Hilfe zu überleben. „Gerade wenn sie noch das weiße sogenannte Lanugo-Fell haben, können sie nicht schwimmen“, weiß Amelie Gelzenleuchter. Dann seien sie zum Beispiel durch einen Sturm an die Küste gelangt und kämen nicht so leicht wieder weg. Wenn sie schon selbstständig sind, sei die Situation weniger kritisch. Jetzt, Anfang Februar, hätten die meisten schon das dunkle Schwimmfell.
Keine Robben am Hörnumer Strand
An diesem Montagmorgen sind jedoch keine Meeressäuger in Sicht. Der Strand in Hörnum ist einsam und friedlich. Es ist Ebbe, die Wellen spülen in der Ferne sanft übers Watt.
Etwa nach einer halben Stunde Gehen deutet die Freiwillige auf ein schwarzes, längliches Objekt im Sand. Was ist das? Eine Kegelrobbe? Ein Seehund? Sie steuert auf den Fleck zu – der sich als Plastikmüll entpuppt. „Aber das können wir melden, größere Müllteile werden öfter entsorgt.“
Vier mehr Seehunde als Kegelrobben
Kegelrobben finde man insgesamt eher selten, auch weil der Bestand im Wattenmeer viel kleiner sei (8948 Kegelrobben, Stand April 2022). Diese Saison seien es bei Hörnum bisher etwa zehn Stück gewesen. Und das sei schon viel. „Seehunde hingegen findet man schon alle zwei Tage“ (etwa 41.700 Tiere, Stand 2021).
Bei Seehunden seien die Probleme meist andere als bei den Kegelrobben. Auch weil die Heuler, also die Jungen der Seehunde, von Anfang an schwimmen können. Sie kommen im Sommer zur Welt.
Seehunde sind oft sehr krank
„Aber leider kommen oft junge, geschwächte Seehunde an die Strände.“ Wenn die Tiere einen Buckel und Blut am Fang hätten, sei das ein Hinweis auf Lungenwürmer. „Darunter leiden derzeit viele Seehunde“, sagt Amelie Gelzenleuchter. Die Krankheit sei kaum heilbar.
Ihre Aufgabe sei es, bei einem solchen Fund die „Seehundjäger“ der Insel zu informieren. Die Ehrenamtlichen kommen dann zum Strand, um den Seehund zu begutachten. Wenn er zu krank ist, erlösen ihn die „Jäger“ mit ihrem Gewehr.
Dabei sei es wichtig, zu wissen, dass der Begriff „Seehundjäger“ veraltet ist. „Diese Menschen machen das auch nicht gern. Ihnen liegt etwas an den Tieren“, sagt die junge Naturschützerin. Sie weiß: Einige Menschen würden diesen Ehrenamtlichen Vorwürfe machen. Das findet sie nicht fair. „Wenn das Tier sich quält, ist es aus meiner Sicht würdiger, es so zu erlösen. Auch wenn es sehr traurig ist. Gerade wenn in der Hochsaison viele Menschen am Strand sind, können die Tiere nicht in Ruhe sterben.“
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Oft ist es bei den Touren stürmisch
Am Hörnumer Hafen angelangt, geht es durch den Ortskern wieder zur Schutzstation. Etwa 4,5 Kilometer ist die Strecke lang, die Tour um die Südspitze dauert etwa zwei Stunden.
So gutes Wetter wie an diesem Morgen sei gerade im Winter nicht selbstverständlich. „Manchmal haben wir bei den Runden Windstärke 8 oder 9, das ist dann schon ziemlich doll.“
Die Freiwillige liebt es auf Sylt
So lange und viel in der Natur zu sein, das sei für sie erst einmal neu gewesen, erzählt die Hessin. „Aber es macht wirklich unglaublich viel Spaß. Gerade die Öffentlichkeitsarbeit – vor allem die Wattwanderungen mit Kindern finde ich toll.“ Bis August ist Amelie Gelzenleuchter noch auf Sylt. Bald zieht sie mit den anderen Freiwilligen wieder von der Winter- in die Sommerunterkunft einige Häuser weiter. Darauf freut sie sich schon.
In ein paar Tagen ist sie wieder dran mit dem Keglergang. Noch etwa zwei Wochen macht das Team die Rundgänge – dann sind die Jungen alle selbstständig genug. Heute war keins der Säugetiere am Strand – vielleicht beim nächsten Mal. Ihre Aufgabe sei es, bei einem solchen Fund die „Seehundjäger“ der Insel zu informieren.