List auf Sylt. Sylts Küste liefert Treibholz und ist gleichzeitig Produktionsstätte: Wind und Meer bearbeiten Werkstücke aus Holz und Stahl.
Der 40 Kilometer lange Sylter Sandstrand ist seine Rohstoffquelle. Er liefert Boris Janssen, dem Strandgut-Künstler, Material, das bereits von der Natur bearbeitet wurde. Aus ihm macht Janssen Möbel, Türen, Schilder, Lampen und andere Wohnaccessoires, die er unter der Marke Dünenstrauss vertreibt. "Es gibt keinen Strandspaziergang, bei dem ich nicht irgendetwas mitnehme", sagt der 43-Jährige. Die Geschenke der Flut veredeln er und ein Mitarbeiter in seiner Werkstatt in List zu gefragten Unikaten.
Am meisten sammelt der Künstler, der sich kurz Bo nennt, Treibholz. "Wir tragen alles zu Fuß weg", sagt er. Am Silvestertag habe er ein besonders tolles Holz gefunden, eine Planke von einem Boot, mit der er sich ziemlich abgeschleppt habe. Noch lehnt die vom Meer vorbearbeitete Holzbohle an der Hauswand, wartet auf die künstlerische Weiterverarbeitung. Neben Holz trägt Janssen auch Steine, Meeresglas (vom Wasser rund geschliffene Scherben) sowie Tampen und Reste von Fischernetzen weg.
Sylt: Der Strandgut-Künstler öffnet seinen Laden nur für ein paar Stunden
Auf seiner Website duenenstrauss.de, bei Facebook und Instagram ist zu sehen, was aus den Rohstoffen vom Spülsaum alles werden kann. Der reale Shop an der Dünenstraße in List ist vollgestellt und -gehängt, wirkt unübersichtlich, aber dennoch sortiert. "Hier muss man sich Zeit lassen", rät der Ladenbesitzer. "Wenn man hier mehrmals durchgeht, findet man immer wieder etwas Neues." Manche Ausstellungsstücke tragen kein Preisschild. Sie sind unverkäuflich. Wie der vom Meer bearbeitete Wurzelstock eines Baumes. Er wirkt wie ein überdimensionaler hölzener Schwamm.
Einmal in der Woche, jeweils donnerstags von 13.01 Uhr bis 17.01 Uhr, öffnet Bo seinen Shop. Mehr Zeit kann er sich für seine Kundschaft schwer nehmen, denn das Sammeln und Verarbeiten füllt seine Arbeitstage. Hinzu kommen noch die Buchhaltung und der Online-Shop. Weil es von jedem Artikel nur ein Exemplar gibt, ist die Pflege des digitalen Ladens besonders aufwendig.
Im realen Shop fällt als erstes ein Mini-Tischgrill auf, der BOBQ: Auf einem Spieß stecken zwei Rindfleischstücke, etwas zu groß, um für Gulasch zu taugen. Mehr passt nicht drauf. Betrieben wird das Grillchen mit 80-prozentigem Stroh-Rum - "das gibt eine saubere Verbrennung, die für Innenräume geeignet ist", sagt Janssen. Den Stahl für den Grill hat er zugekauft.
Möbelgestelle bekommen am Meeresgrund eine Seepocken-Deko
Viele seiner Produkte sind eine Kombination aus Treibholz und Stahl, wobei Boris Janssen das Metall gern vom Meer bearbeiten lässt, bevor er es einsetzt. So wie den stählernen Fisch auf einem Holzbrett. Er ist rostig und voller Seepocken. Solche Kunstwerke brauchen viel Zeit: "Seepocken dauern mindestens ein Jahr", sagt Bo., "Holz mehrere Monate."
Beim Treibholz wirkt die salzhaltige Luft. Zusammen mit der Sonne bleicht sie das Holz gleichmäßig aus, wenn Janssen etwa eine Tischplatte aus mehreren Bohlen fertigt. Das gebe den Produkten ein "natürliches Finish" sagt er. Der Produktionsprozess sei wetterabhängig und deshalb nicht steuerbar. Er findet auf einem Privatgelände irgendwo in den Lister Dünen statt. Den genauen Standort will er verständlicherweise nicht preisgeben.
Die Sylter Treibholz-Kunst von Bo ist sehr gefragt
Das gilt auch für die Stahlteile, die jenseits des Strandes auf dem Meeresgrund stehen und Nordsee-Patina bekommen. Aktuell sind ein Tischgestell und Stühle untergetaucht, damit sie von Seepocken bewachsen werden. Ungefähr zehn Stücke werden es sein, sagt Bo, ab und an finde er ein Stück auch mal nicht wieder. Vielleicht wird es eines Tages bei Sturm an den Strand gespült.
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Bo hat sich längst einen Namen gemacht. Er könne sich vor Aufträgen kaum retten, sei mit seinem Mitarbeiter – wie er ein gelernter Tischler – an die Kapazitätsgrenze der 30 Quadratmeter kleinen Werkstatt und Teeküche gekommen. Angefangen hatte alles vor zwölf Jahren. Damals schenkte er Freunden jeweils zum 30. Geburtstag Bilder, die er aus Treibholz angefertigt hatte. Alle waren begeistert. Auch eine gute Freundin. Die überraschte Janssen damit, dass sie für ihn ein Kleingewerbe angemeldet hatte. Sehr schnell wurde es zum Vollzeitjob.
Sylt: Der Strandgut-Künstler arbeitet in einem alten Bunker
Von einer Garage in Westerland vergrößerte er sich in einer Scheune in Morsum, bevor der Strandgut-Künstler 2015 in den ehemaligen Lazarettbunker an der Dünenstraße zog. "Durch die meterdicken, stahlbewehrten Wände hat er im Shop und in der Werkstatt keinen Handyempfang, sagt er und wirkt dabei nicht unglücklich.
Er habe "tolle Kunden", erzählt der Vater einer 14-jährigen Tochter, "mit tollen Ideen, die sie verwirklicht haben wollen". Andere schicken ihm Fotos von interessantem Strandgut, das sie irgendwo auf Sylt gesehen haben und schreiben den genauen Fundort dazu. Janssen macht sich dann auf den Weg und hebt es auf.
Auf seinen Sammeltouren am Sylter Strand nimmt Boris Janssen immer auch Muscheln mit. Sie finden sich weniger bei seinen Kunstwerken wieder, sondern in den Paketen, die er seinen Kunden schickt: "Ich packe da immer eine Tüte mit Sand, einer Muschel und Meeresglas dazu. Als kleinen Gruß von Sylt."