List. Die Schalentiere werden aus dem Watt ins Winterlager in einer Halle an Land gebracht. Für die Austernfischer ist das ein Knochenjob.

Es ist ein Umzug der besonderen Art: Auf Sylt werden in den Wintermonaten Hunderttausende Austern vom Watten in Meerwasserbecken an Land gebracht. Die Schalentiere, die hier in Deutschlands einziger Austernzucht, Dittmeyer's Austern-Compagnie, gezüchtet werden, kommen ins Winterlager in den Betrieb nach List.

Frostige Wassertemperaturen sind kein Problem für die Austern. Aber Eis: „Wir müssen unsere Austern reinholen, damit sie vom Eisgang nicht zerstört werden“, sagt Betriebsleiter Christoffer Bohlig. „Deswegen wird alles abgebaut, reingeholt, weggestellt.“ Etwa sechs Tonnen Austern holen Bohlig und seine Leute an diesem Tag aus dem Watt. Am Abend werden sie wissen, was sie getan haben: „Die sechs Tonnen sind bei uns dreimal in der Hand, das heißt, 18 Tonnen werden hier heute bewegt händisch, das ist schon eine ganze Menge Arbeit.“ Insgesamt müssen rund eine Million Austern ins Winterquartier.

Sylt: Austernfischer haben nur wenige Stunden

Die Arbeit der Austernfischer wird von den Jahres- und den Gezeiten bestimmt. Für ihre Arbeit haben die Männer immer nur kleine Zeitfenster von wenigen Stunden. Nur rund um das Niedrigwasser sind die Tische im Watt trockengefallen. Zu den anderen Zeiten strömt das Nordseewasser bis etwa zwei Meter hoch über die Austern. Wenn der Wind ungünstig steht, können die Männer manchmal gar nicht raus. An diesem Tag ist Ostwind, das Wasser läuft weit ab. „Heute haben wir ungefähr eineinhalb, zwei Stunden Zeit ungefähr zu arbeiten“, sagt Bohlig.

Bohlig und sein Team springen auf die Trecker und in den Transporter, fahren die wenigen Kilometer vom Betrieb bis ins Aufzuchtgebiet der „Sylter Royal“ in der Blidselbucht zwischen List und Kampen. Die Austern liegen dicht an dicht in Netzsäcken, sogenannten Poches, auf tischartigen Gestellen. Durch die Netzöffnungen wird bei Flut das nährstoffreiche Wasser der Nordsee gespült.

Austernfischer sammeln im Watt der Nordsee in der Blidselbucht zwischen den Ortsteilen List und Kampen Netzsäcke mit Austern ein.
Austernfischer sammeln im Watt der Nordsee in der Blidselbucht zwischen den Ortsteilen List und Kampen Netzsäcke mit Austern ein. © Daniel Bockwoldt/dpa

Austernfischen hat an vielen Küsten eine lange Tradition

Der Transporter muss am Rand des Watts stehen bleiben. Nur die beiden Traktoren samt Hänger schaffen die rund 300 Meter über den nassen, nachgiebigen Untergrund bis zu den Gestellen, die jetzt noch im Watt stehen.

Austernfischen hat an vielen Küsten eine lange Tradition. „Die Austernfischerei in Nordfriesland war eine der Bedeutendsten im Wattenmeer und bereits im 12. und 13. Jahrhundert zählte sie – neben dem Heringsfang – zu den ersten kommerziell betriebenen Fischereien“, heißt es beim Naturerlebniszentrum List. Unter anderem Überfischung führte dazu, dass die Europäische Auster (Ostrea edulis) dann seit Mitte des 20. Jahrhunderts aus dem nördlichen Wattenmeer verschwunden ist.

Bei den Austern, die heute im Sylter Wattenmeer weit verbreitet sind, handelt es sich um die Pazifische Auster (Crassostrea gigas). Auch die „Sylter Royal“ gehört dazu. Seit 1986 werden Jungaustern dieser Art aus Zuchtbetrieben in Deutschlands einziger Austernkultur zur Konsumreife großgezogen. Gegründet wurde Dittmeyer‘s Austern-Compagnie von Clemens Dittmeyer. Vor etwa zwei Jahren ist auch seine Tochter Pauline mit ins Unternehmen eingestiegen.

Sylt: Neue Vorgabe bereitet Austernzucht Probleme

Bohlig und seine Leute holen an diesem Tag Austern rein, die Weihnachten, Silvester verkauft werden. Setzen sie in leicht zugängliche Becken. „Alles was überwintert werden soll, kommt in andere Becken, an die wir nicht mehr so schnell ran müssen vor März“, sagt Bohlig. „Die holen wir später rein.“

Dazu gehört auch die Nachzucht, die das Unternehmen seit drei Jahren betreiben muss. Bisher seien Setzlinge von etwa 30 bis 50 Gramm Gewicht aus Irland gekauft worden und dann innerhalb von ein bis zwei Jahren auf Konsumreife groß gezogen worden, sagt Bohlig. „So wird das eigentlich europaweit betrieben.“ Doch jetzt dürfen die Sylter nur noch Mini-Austern einkaufen, die aus einer geschlossenen Hatchery (Brüterei) kommen. Das Einschleppen invasiver Arten soll so verhindert werden.

Bei Bohlig stößt dies auf Unverständnis. „Wir haben eh eine Westdrift. Das heißt alles was vor Irland im Wasser ist, schwimmt irgendwann hier vorbei. Wir können also eigentlich nichts einschleppen, was hier nicht vorkommt, sondern nur da unten.“ Für das Unternehmen bereitet die neue Vorgabe jedoch große Probleme. Die Austern brauchen nun etwa fünf Jahre im Watt vor Sylt, bis sie groß genug sind, um auf den Teller zu kommen. „Wir haben den zweieinhalbfachen Mengendurchsatz im Moment.“ Das bringt das Unternehmen an die Kapazitätsgrenze.

Sylt: Im März ziehen die Austern wieder ins Watt um

Die Austernfischer sind mittlerweile fertig mit ihrer Arbeit im Watt. Die Poshes werden – auf Paletten gestapelt – nun nach List gebracht. Zurück am Betrieb in List werden die Netzsäcke aufgemacht und die Austern locker in Kisten gelegt. Mit einem Stock schlagen die Austernfischer gegen die Säcke, damit auch wirklich jede Auster herausfällt. Anschließend werden die Kisten mit Sackkarren zu den Meerwasserbecken in der Halle gebracht und ins Wasser „eingestaut“, wie Bohlig sagt.

Frisches Wasser erhalten die Austern in den 30.000-Liter-Becken über eine 400 Meter lange Pipeline, die in der Nähe des Fährhafens in der Nordsee endet. Wachsen werden die Austern in den Becken übrigens nicht. „Wir überwintern sie wirklich nur und hungern sie ein bisschen durch bis zum März“, sagt Bohlig. Dann geht es für die Austern zurück ins nährstoffreiche Watt.