List. Ein riesiger Sandberg bewegt sich Richtung Straße zwischen List und Westerland. Experten: Das könnte die Lösung sein.
Die Dünenlandschaft im Norden von Sylt zählt zu dem, was die Nordseeinsel so besonders macht. An schönen Tagen kommen Tausende Besucher, um das Gebiet zwischen List und Ellenbogen zu erleben. Kilometerweit ziehen sich heidebewachsene Hügel, aus denen sich die drei Lister Wanderdünen erheben – 30 Meter hohe Sandberge auf einer Fläche von mehr als 2500 Fußballfeldern. Seit 1923 unter Naturschutz bilden sie heute das größte zusammenhängende Wanderdünengebiet Europas. Ein Naturspektakel in ständiger Bewegung. Und genau da wird es schwierig.
Sylt: Wanderdüne bei List bewegt sich drei bis vier Meter pro Jahr
Sven Lappoehn steht am Ortseingang von List und schaut auf die südlichste der Dünen. In den vergangenen Jahren ist der Sandberg der Listlandstraße immer nähergekommen. Lappoehn ist Geschäftsführer des Kultur- und Heimatvereins Söl´ring Foriining, der unter anderem das Naturschutzgebiet Nord-Sylt betreut. „Vor allem, wenn der Wind von Südwest kommt und es trocken ist, wandert die Düne weiter“, weiß der 53-Jährige.
Es können bis zu 10 Meter im Jahr sein, im Schnitt waren es in den vergangenen Jahren drei bis vier Meter. Den genauen Weg kann man im Erlebniszentrum Naturgewalten in List nachverfolgen, wo die Wanderung der Düne im Rahmen eines Fotoprojekts seit 2007 einmal in der Woche dokumentiert wird. „Wir rechnen damit, dass die Wanderdüne innerhalb der nächsten Generation die Straße erreicht“, sagt Lappoen.
„Bei den Syltern haben die Dünen kein gutes Image“
Das ist die konservative Schätzung. Niemand kann vorhersagen, wie sich der Klimawandel auf die Geschwindigkeit der Düne auswirkt. Das Problem: Die Listlandstraße ist Teil der Landstraße 24 Richtung Westerland und die Lebensader für die 1557 Lister und Tausende Feriengäste. Um zu verhindern, dass die Düne die zweispurige Fahrbahn irgendwann unter sich begräbt, gibt es verschiedene Szenarien. Sie reichen von der Bepflanzung der Düne, um die Wanderung zu stoppen, über eine Verlegung der Straße auf die Westseite des Wanderdünengebiets bis zu einem Straßentunnel, über den der Sandberg wandern könnte.
Ein Tunnel für eine Düne – das gibt es bislang noch nirgendwo auf der Welt. Karsten Reise, langjähriger Chef der Wattenmeerstation am Alfred-Wegener-Institut in List und Meeresbiologe mit großer Liebe zu Dünen, hatte die Idee vor Jahren ins Spiel gebracht. „Bei den Syltern haben die Dünen kein gutes Image“, sagt der emeritierte Professor, der auch ein Buch über Dünen im Norden geschrieben hat. „Der Sand war immer da, wo man ihn nicht braucht.“ Einst sollen die Sandberge sogar das Dorf Alt-List unter sich begraben haben. Auch deshalb sind schon in vergangenen Jahrhunderten Dünen bepflanzt worden.
Prof. Reise lehnt erneute Bepflanzung der Düne ab
Die letzte große Aktion hatte vor etwa 50 Jahren der damalige Lister Bürgermeister initiiert, nachdem die südliche Wanderdüne der gerade gebauten Landstraße gefährlich nah gekommen war. Bepflanzt wurde damals allerdings nur der vordere Teil, von hinten rückt der steilaufragende Sandberg weiter vor. Eine neuerliche Pflanzaktion lehnt Wissenschaftler Reise ab. „Die Dünen haben Seltenheitswert“, sagt er. Bundesweit seien es die einzigen, die noch frei wandern dürfen.
Der 76-Jährige setzt sich für den sorgsamen Umgang mit dem Naturphänomen ein. Es habe schließlich auch etwas Gutes, wenn der Sand auf die andere Seite der Listlandstraße wandere und dort die Uferbefestigung zum Watt verstärke, sagt er. Sein Fazit: "Ein Tunnel wäre die dünenfreundlichste Lösung.“
Lister Bürgermeister sieht keine Eile
Bislang war das Thema eher etwas für Insider. Und schon gar kein Grund zur Aufregung bei den Syltern, die es gewohnt sind, dass Naturgewalten seit Jahrhunderten an ihrer Insel zerren. Eine Wanderdüne ist angesichts von zunehmenden Stürmen und steigendem Meeresspiegel da eher ein kleineres Problem. „Man hat es im Kopf, aber es geht um einen Zeitraum von 20 bis 30 Jahren“, sagt der Lister Bürgermeister Ronald Benck auf die Frage nach der Bedrohung für sein Dorf. Die Gemeindevertretung habe sich noch nicht final mit der Wanderdüne befasst, sagt der CDU-Politiker. „Die Frage ist ja auch, ob es überhaupt so weit kommt, dass die Düne die Straße erreicht.“
Allerdings kommt nun offenbar von anderer Seite Bewegung in die Sache. Denn der Landesbetrieb Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein beschäftigt sich jetzt auch mit der Düne und ihrer Wanderung, hat gerade erstmals offiziell den Abstand zur Landestraße 24 vermessen. Den Angaben zufolge will die Behörde ermitteln, „wieviel Zeit verbleibt, um Maßnahmen zu entwickeln – oder entwickeln zu lassen, bevor die L 24 vom Sand begraben wird“.
Straßenbauamt vermisst Abstand zwischen Düne und L24
Ergeben hat die Messung einen Wert von rund 83 Metern. „Bei einer durchschnittlichen Wandergeschwindigkeit von vier Metern pro Jahr bleiben rund 19 Jahre bis zum Schadenseintritt“, rechnet die Behörde auf Abendblatt-Anfrage vor. Im Dialog mit der unteren Naturschutzbehörde, der Gemeinde und weiteren Beteiligten sollen nun die möglichen Maßnahmen zusammengestellt und erörtert werden. Dabei steht eine „Einhausung der L24“, wie der Tunnelbau im Fachjargon heißt, neben Bepflanzung und Straßenverlegung ausdrücklich auf der Agenda.
Parallel haben Bauexperten die Machbarkeit des visionären Tunnelprojekts überprüft. Nicht etwa auf Initiative von Politik, Naturschutz oder Wirtschaft. Eine junge Frau, nicht mal von der Insel, hat den Prozess ins Rollen gebracht. Antje-Marie Mischke, die bis zum Sommer ein Freiwilliges Ökologisches Jahr am Alfred-Wegener-Institut gemacht hat und jetzt an der Universität Bremen Biologie studiert, hatte den Projektentwickler Gerhard Koerver vom Hildener Planungsbüro Concept zu einem Treffen in List eingeladen und um eine Einschätzung zum Tunnelbau gebeten.
Ein Tunnel, der schnell wieder abgebaut werden könnte
„Es ist technisch möglich, einen Tunnel für die Düne zu bauen“, sagt Koerver, der gemeinsam mit einem spezialisierten Ingenieurbüro schon mehrere Tunnelbauten umgesetzt hat. Den Planer hat das Projekt so begeistert, dass er gleich mit Skizzen und Berechnungen zum Termin kam. Koerver schlägt für die zweispurige Straße mit Radweg einen gewölbten Tunnel in offener Bauweise vor, über den die Düne dann langsam wandern könnte.
„Ein Modulbau ist sinnvoll“, sagt der Bauexperte. Sprich: Der Tunnel würde aus Stahlelementen aneinandergesetzt, die je nach Wanderrichtung der Düne versetzt und vor allem auch schnell wieder abgebaut werden könnten. Bei einer Länge von 500 Metern schätzt Koerver die Kosten für das Bauwerk auf 13 bis 15 Millionen Euro.
Tunnel kostet 15 Millionen Euro - "Aktionismus"
Das ist sehr viel Geld. Nicht nur deshalb ist offen, wie realistisch die Tunnellösung ist. „Das ist übertriebener Aktionismus“, sagt etwa Thomas Diedrichsen, Sprecher der Listland-Eigentümer. Die Erbengemeinschaft mit 40 Mitgliedern spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung der nördlichen Inselspitze, die seit Jahrhunderten in Privatbesitz ist. Die L24 inklusive der Seitenstreifen ist allerdings im Besitz des Landes, das damit auch für die Kosten aufkommen müsste. „Da sind wir nicht im Boot“, sagt Diedrichsen. Auch aus Naturschutzaspekten steht er einen Tunnelbau skeptisch gegenüber.
Der Lister Bürgermeister Ronald Benck wird noch deutlicher. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das Land Schleswig-Holstein für die Bau- und Wartungskosten für einen Dünen-Tunnel aufkommt“, sagt er. Benck, auch Mitglied der Listland-Eigentümer und zudem Vorsitzender der Listland-Stiftung plädiert für eine Bepflanzung der Düne, um die Wanderung zu stoppen. „Das ist die schnellste und günstigste Lösung“, sagt er. Denn auch die Verlegung des Verkehrs auf die alte Straße auf der westlichen Seite der Dünenlandschaft wird teuer. Die ehemalige Militärstraße ist komplett runtergefahren und müsste für den Verkehr von und nach List grundlegend saniert werden.
Um auszuloten, was letztlich möglich ist, rät Projektentwickler Gerhard Koerver, eine Bauvoranfrage für einen Tunnel beim zuständigen Bauamt zu machen. „Nur so ist es möglich herauszufinden, ob das Projekt realistisch ist.“ Aber auch das kostet nach seinen Angaben zwischen 8000 und 10.000 Euro. Unklar ist, der dafür aufkommen würde. Jetzt soll es erste Gespräche geben. Das Straßenbauamt hat nach der ersten Vermessung angekündigt, demnächst alle Beteiligten an einen Tisch zu holen.
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Sylt: Tunnel wäre ein Alleinstellungsmerkmal
Die Tunnelbefürworter denken inzwischen schon laut über eine Sponsorenlösung nach, zumindest um erstmal die Bauvoranfrage zu starten. Immerhin spielt die Lister Wanderdüne in einer Liga mit den ganz Großen ihrer Art wie etwa den Wanderdünen von Corralejo auf der spanischen Insel Fuerteventura.
"Die Frage ist, überlässt man die Wanderdüne der Natur oder managt man sie“, sagt Sven Lappoehn von Söl‘ring Foriining. Der Verein ist für die naturnahe Variante. Dazu kommt noch etwas anderes. „Es wäre das erste Mal, dass ein Tunnel gebaut wird, bevor der Berg kommt. Das wäre ein neues Alleinstellungsmerkmal für Sylt."