List. Auf Sylt laufen die Dreharbeiten für zwei neue Folgen der erfolgreichen ZDF-Krimireihe, die zuletzt elf Millionen Zuschauer erreichte.
„Da kommt ja die Leiche!“, ruft jemand über den Strand am Ellenbogen bei List an der Nordspitze von Sylt. Es ist zugig, schauerartiger Regen, zehn Grad – eine Gemengelage, die die Gäste der Urlaubsinsel völlig zu Recht zu einem ausgedehnten Frühstück animiert. Niemand sonst zu sehen. Die 40-köpfige Filmcrew von „Nord Nord Mord“ ist an diesem Morgen unter sich. Doch Morde werden in der heutigen Zeit bei jedem Wetter aufgeklärt. Der eng getaktete Drehplan lässt keine Pausen zu.
Nord Nord Mord: Aufnahme technisch sauber – und die Leiche darf wieder atmen
Wenige Minuten später nimmt die besagte Leiche ihre (passive) Arbeit auf, und die Kommissare Carl Sievers, Ina Behrendsen und Hinnerk Feldmann können ihre Ermittlungen starten. „23,50 – 6, die Erste“ und „Achtung, und bitte“ von Regisseur Alex Schaad ist das Signal für die Aufnahme. Die Spurensicherung hat den Tatort im Umfeld einer Surfschule bereits abgesperrt, einige Schaulustige – unser Fotograf ist spontan als Komparse eingesprungen – stehen am Absperrband. Nach einer kurzen Unterredung ruft Sievers den im Neopren-Anzug inkognito ermittelnden Feldmann zu sich. Kurze Unterhaltung, Blick auf die Leiche, ein Surfer, schließlich verlässt Feldmann wieder die Szenerie. „Danke und aus, gut für mich!“, sagt der Regisseur nach der dritten Wiederholung. Kurz wird geprüft, ob die Aufnahme technisch sauber war. Und die Leiche darf wieder atmen.
Umbaupause. Julia Brendler (47) ist wie Oliver Wnuk (46), der den Feldmann spielt, seit 2011, dem Beginn der Reihe, dabei und spielt die burschikos-trockene Behrendsen. Peter Heinrich Brix (67/Sievers) hat 2018 Robert Atzorn abgelöst. Es ist der elfte von 46 angesetzten Drehtagen. Innerhalb von acht Wochen sollen je hälftig auf Sylt und in Hamburg gleich zwei Filme mit je 90 Minuten von der Firma Network Movie im Auftrag des ZDF produziert werden. Ein strammes Programm.
Das Drehteam arbeitet zum Teil seit Jahren unverändert zusammen
„Ich bin wahnsinnig dankbar, hier auf der Insel arbeiten zu dürfen“, sagt Julia Brendler. „ich liebe das Meer, die Pampa. Vor allem aber macht es unheimlich Spaß, mit diesem Team zu drehen.“ Die meisten Mitarbeiter kämen immer wieder zurück. „Nicht nur Sylt fühlt sich wie ein zweites Zuhause an. Auch die Gruppe sorgt für eine familiäre, positive Grundstimmung.“
Tatsächlich ist am Set eine ruhig-professionelle, aber genauso herzliche Atmosphäre zu beobachten. Brix und Wnuk nehmen sich während einer Stellprobe in den Arm und scherzen. Als wenn sie sich abgesprochen hätten, hebt wenige Minuten später auch Wnuk den Zusammenhalt hervor. Seine erstaunliche Aussage: Dass „Nord Nord Mord“ mit zuletzt elf Millionen Zuschauenden (inklusive Mediathek) das erfolgreichste Format des ZDF ist, habe für ihn persönlich „keine große Bedeutung. Das Zwischenmenschliche muss stimmen. Es geht darum, wie ich meine Lebenszeit verbringe. Hätte ich keine Freude hier, wäre ich sofort raus.“ Peter Heinrich Brix wirft nüchtern ein: „Die Quote ist das Regulativ.“ Bedeutet: Ist sie gut, bist du im Geschäft, wenn nicht, wird das Format beendet.“
„Nord Nord Mord" wird nur außerhalb der Hauptsaison gedreht
„Zweimal pro Jahr gastiert die Filmcrew auf der Insel, untergebracht in Hotels und Ferienwohnungen, insgesamt rund acht Wochen. Das kostet. Kein Wunder, dass die Dreharbeiten stets in die Nebensaison gelegt werden, um das angepeilte Budget von 1,7 Million Euro pro Film (jetzt bei zwei Filmen wird es günstiger) nicht zu sprengen.
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Es geht weiter. Rund 20-mal müssen Brix, Brendler und Wnuk das „Bild“, wie es im Filmsprech heißt, aus unterschiedlichen Perspektiven wiederholen. Zweieinhalb Stunden wird es dauern, bis die Szene, die im Drehbuch mit einer Minute und 55 Sekunden eingeplant ist, im Kasten ist und auch die Komparsen (erhalten 150 Euro pro Tag) ins Basis-Camp auf dem Parkplatz zurückgefahren werden.
Alle Schauspieler und Teammitglieder müssen täglich zum Corona-Test
Mittagspause. Der Imbisswagen hat heute gezupftes Weiderind, Blumenkohl-Brokkoli-Gemüse, Kartoffelkroketten, Soja-Zwiebel-Geschnetzeltes, rote Beete, Fenchel und als Dessert Mandel-Biskuit-Creme mit Vanille und Toffee-Blaubeere im Angebot. Die Stimmung ist gelöst, es hat aufgehört zu regnen, der Wind nachgelassen.
Bunt gemischt sitzen Schauspieler und Teammitglieder zusammen. Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie ist das wieder möglich. Die Vorsichtsmaßnahmen, die sind allerdings geblieben. Jeder, der am Set arbeitet oder zu Besuch kommt, muss sich beim Hygienebeauftragten einem Test unterziehen. Ein längerer Ausfall der Hauptdarsteller wäre katastrophal und entsprechend teuer.
Der „Locationscout" ist immer auf der Suche nach den besten Motiven
Tobias von Schönermark kann sich beruhigt zurücklehnen, sein Job ist größtenteils erledigt. Der Hamburger kennt Norddeutschland wie seine Westentasche und sucht acht bis zehn Wochen, bevor es auf der Insel losgeht, nach den besten Motiven. „Meistens habe ich schon Bilder im Kopf, wo die jeweilige Szene spielen könnte“, sagt der „Locationscout“, wie es offiziell heißt. „Aber wenn ich keine konkrete Idee habe, kommt es vor, dass ich mehr oder weniger ziellos über die Insel fahre.“
Logisch, sein Job gehört zu den wichtigsten in der Gruppe. „Sylt ist der vierte Hauptdarsteller“, sagt von Schönermark, der sich auch um die Genehmigungen kümmert. Dass die Krimireihe so beliebt ist, liegt auch zu einem großen Teil am Einfangen der Schönheit Sylts mit den Naturlandschaften und den Häusern.
Fällt ihm ein Reetdachhaus auf, kommt es häufiger vor, dass er an der Tür klingelt oder einen Zettel im Briefkasten hinterlässt mit der Aufschrift: „Für unseren neuen Film ist uns Ihr Haus aufgefallen. Haben Sie Lust, sich bei uns zu melden und ihr Haus zu verleihen?“ In den vergangenen Jahren kam es aber immer mal wieder vor, dass er mit Gästen in einem Restaurant ins Gespräch kam und diese ihre Bleibe spontan für Aufnahmen anboten. „Wir bezahlen sie fair, arbeiten zuverlässig, deshalb sind wir auch beliebt auf der Insel“, sagt von Schönermark, der betont, dass das Betreten von Naturschutzgebieten tabu sei. „Wir wollen schließlich nächstes Jahr wiederkommen.“
Der Arbeitstag beginnt für Peter Heinrich Brix meistens um 5.30 Uhr
Kurz darauf setzt sich Peter Heinrich Brix, der „auf der anderen Seite“ in Flensburg geboren ist, an den Biergartentisch. Die TV-Zuschauer kennen Brix seit vielen Jahren, ob durch das „Großstadtrevier“, „Pfarrer Braun“ oder „Neues aus Büttenwarder“. Seine Jugend ist durch den Fußball mit Sylt verknüpft. Mit der Mannschaft von Bezirksligist TSG Scheersberg reiste er als junger Kerl zu Spielen auf die Insel, bis ihn eine Sprunggelenksverletzung stoppte und er es am Theater versuchte. Eine weise Entscheidung.
Sein Wecker klingelte heute um 6.45 Uhr – ein Luxus, weil er nicht in der ersten Szene eingeplant war. Sonst beginnt sein Tag um 5.30 Uhr. Zu Beginn habe er den Druck verspürt, Atzorns Rolle zu übernehmen: „Das ist wie beim Fußball. Der Spielmacher ist weg, dann kommt der Neue. Da schauen alle erst einmal.“
Peter Heinrich Brix: "Wir wollen keine Chance auf einen Schmunzler auslassen"
„Sievers und Freitag, der 13.“ und „Sievers und der Traum vom Fliegen“ sind die Nummer 22 und 23 der Krimireihe, für Brix ist es die 14. und 15. Teilnahme. Drei bis vier Monate dauert normalerweise die „Postproduktion“, also die Nachbearbeitung. Hier können auch zu harte Wetterwechsel angeglichen werden durch eine Nachcolorierung. Zu sehen sein werden die Filme dann erst in einem Jahr.
Brix ist gut gelaunt, die Produktion läuft nach Plan – und er hat sichtlich Spaß, weil er in der Arbeit mit den Autoren und dem Regisseur im „Feintuning“ mitgestalten kann. „Es geht ja manchmal auch um die Dinge zwischen den Zeilen. Alex Schaad ist ein wunderbarer Mensch und Regisseur. Er weiß, wovon er redet, dabei ist noch so ein junger Kerl.“ Noch bis zuletzt, bei den Stell- und Textproben könnten sich kleinere Passagen verändern. „Wir wollen keine Chance auf einen Schmunzler auslassen, schließlich macht auch das die Charaktere aus“, sagt Brix.
Nord Nord Mord: Die Organisation ist straff, Verspätungen sind nicht vorgesehen
Die Aufnahmeleitung mahnt zum Aufbruch. „Ich muss los“, entschuldigt sich Brix. „das Zeitkorsett erlaubt keine Verspätungen.“ Das Budget ist nur einzuhalten, wenn Verzögerungen ausbleiben.“ Die Anschlussszene soll am Nachmittag abgedreht sein. Vier Minuten Sendezeit sind durchschnittlich pro Tag drin. Das klingt überschaubar, bedeutet aber in Wahrheit lange Arbeitstage.
Bevor er geht, betont Brix aber noch, wie wichtig eine gute Chemie zum Regisseur sei: „Spielen kommt von Freude, das heißt aber nicht, das wir die ganze Zeit lachend rumlaufen. Wichtig ist, sich die Leichtigkeit zu erhalten, das ist wie ein Tanz.“ Ein Tanz, der aber viel anstrengender ist und weniger Glamour versprüht, als wohl viele glauben. „Was wir machen, ist körperlich anstrengend und kostet viel Kraft“, sagt Julia Brendler noch, bevor sie in den Kleinbus steigt. Das Unterhaltungsprogramm auf der Insel fällt entsprechend reduziert aus. „Innerhalb der Woche an den Abenden passiert nicht viel. Aber am Wochenende trifft man schon den einen oder anderen.“ Oder es zieht sie dorthin, wo es ihr am Besten gefällt, auch wenn sie den ganzen heutigen Tag dort verbringen wird: an den Strand oder ins Watt.
„Nord Nord Mord – Sievers sieht Gespenster“, Nummer 18 der Krimireihe, wird am 19. Dezember ausgestrahlt.