Kampen. Dirk Erdmann spricht über kürzere Urlaube und kostenlose Busse für alle auf der Insel. Welche Entwicklung ihn überrascht.

Dirk Erdmann ist ein echter Sylter, aber regelmäßig zieht es ihn nach Hamburg. In der Hansestadt hat der 59-Jährige einst im Hotel Vier Jahreszeiten seine Ausbildung als Hotelkoch absolviert und auch seine Ehefrau kennengelernt. Als hervorragender Golfer spielte Erdmann Anfang der 2000er drei Jahre für den Golfclub Hamburg-Walddörfer in der 2. Bundesliga. Ab und zu reist er auch zu den Spielen des HSV ins Volksparkstadion.

So, wie sich die Hamburger auf der Insel über die Ruhe der Natur freuen, so braucht Erdmann mit seiner Familie zum Entspannen ab und an die Großstadtluft. Denn Sylt fordert ihn auf verschiedene Art und Weise. Seit 1994 leitet Erdmann in Kampen das Top-Hotel Rungholt, das sich in dritter Generation in Familienbesitz befindet.

Außerdem sitzt er im Gemeinderat des Ortes, im Aufsichtsrat der Wasserwerke und der Sylt Marketing GmbH und führt (natürlich auch ehrenamtlich) den Golfclub Sylt in Wenningstedt als Vizepräsident und Schatzmeister. Ach ja, und Vorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) auf der Insel ist Erdmann auch seit zwei Jahren. Wenn jemand also Bescheid über die Bedürfnisse und Herausforderungen Sylts weiß, dann Dirk Erdmann.

Sylt rechnet 2023 mit einem Minus von fünf bis acht Prozent

Herr Erdmann, wie fällt als Dehoga-Vorsitzender Ihr Fazit für diese Saison bisher aus?

Dirk Erdmann: Wir bewegen uns auf 2019er-Niveau, also alles völlig normal. Allerdings gehen die Prognosen für die nächsten zwei Jahre auf Sylt eher in Richtung Minderung der Übernachtungen, obwohl das im Moment keiner so ganz genau weiß angesichts der vielen Unwägbarkeiten auf dem Energiemarkt oder allgemein bei den Preissteigerungen.

Dennoch: Womit kalkulieren Sie für 2023?

Dirk Erdmann: In der vergangenen Woche saßen wir mit Touristikern zusammen und rechnen mit einem Minus von fünf bis acht Prozent. Die Menschen werden weiterhin Urlaub machen wollen, aber die Verweildauer sinkt. Was wir schon jetzt feststellen ist eine Zurückhaltung in den Restaurants, die lange nicht so gut gebucht waren wie 2020 und 2021. Diese Entwicklung nach den beiden Ausnahmejahren wegen Corona war allerdings so nicht erwartet, was mich überrascht.

Für Erdmann ist der fehlende Dauerwohnraum auf Sylt nicht das Hauptargument für fehlende Arbeitskräfte

Einige Restaurants mussten mitten in der Saison wegen Personalmangels plötzlich ein, zwei Ruhetage eingelegen...

Dirk Erdmann: ...eine Entwicklung, von der wir vor drei Jahren behauptet hätten: So etwas wird es nie geben. In der ganzen Restaurantlandschaft hat sich wahnsinnig viel verändert .

Liegt es vor allem am fehlenden Dauerwohnraum, dass es so viele offene Stellen auf der Insel gibt?

Dirk Erdmann: Das Wohnraum-Argument ist für mich nur vorgeschoben. Hier geht es um kein Sylter Problem, sondern um ein deutschlandweites. Es sind einfach nicht genug Fachkräfte im Angebot. Vor Corona haben in Deutschland bereits 40.000 Köche gefehlt. Wo sollen die jetzt plötzlich herkommen? Richtig ist, dass wir durch Corona noch mehr Leute in andere Branchen verloren haben, das gebe ich zu.

Wie wollen Sie dem begegnen?

Dirk Erdmann: In den Berufsschulen herrscht eine dramatische Situation. Durch geburtenschwache Jahrgänge bekommen wir immer weniger Auszubildende. Wenn wir hier auf Sylt alle alles richtig machen, der perfekte Arbeitgeber sind, über Tarif zahlen, was wir auf Sylt sowieso schon fast alle machen, und dann noch perfekte Arbeitszeiten anbieten, werden wir trotzdem zu wenig Angestellte haben. Weil einfach alle suchen!

Erdmann stellt in seinem Hotel ab März zwei Vietnamesen an. Begrenzte Arbeitserlaubnis ein Problem.

Was ist für Sie der Ausweg? Gibt es ihn überhaupt?

Dirk Erdmann: Das geht nur durch professionellen Zuzug, durch Schulungszentren, auch aus Ländern, wo das bisher nicht zugelassen ist. Wir stellen ab März zwei Vietnamesen ein. Das Problem dabei ist, dass deren Arbeitserlaubnis nach einem Jahr erlischt, dann muss ich wieder tauschen. Für mich stellt sich da die Frage, ob das wirklich sinnhaftig ist, um es einmal zurückhaltend zu formulieren.

Wie nehmen Sie angesichts dieser schwierigen Rahmenbedingungen die Stimmung auf der Insel wahr?


Dirk Erdmann: Von Pleiten werden wir verschont bleiben in diesem Winter, da das Sommergeschäft sehr gut war. Grundsätzlich müssen wir uns in der Hotellerie und Gastronomie aber von unserem schlechten Image befreien. Manchmal spüre ich eine gewisse depressive Haltung, Aber ich frage Sie: Wie wirkt das auf einen Hamburger Koch, wenn ich mich als Dehoga-Vorsitzender hinstelle und über einen ungeheuren Mangel hier klage? Wir brauchen wieder positiven Input - auch in diesen schwierigen Zeiten. Wir könnten auch betonen, wie cool und gut wir sind, und dass wir einiges auf Sylt zu bieten haben.

Durchschnittlich ein Viertel der Angestellten wechselt in der Hotelbranche pro Jahr den Job

Wie groß ist die Fluktuation in Ihrem Hotel?

Dirk Erdmann: Die Rate liegt seit Jahren beständig zwischen 23 und 27 Prozent, das ist normal in unserem Geschäft. Wir versuchen nur, permanent alle unsere Mitarbeiter zu halten.

Wie kalkulieren Sie in der jetzigen Energiekrise?

Dirk Erdmann: Durch einen längerfristigen Vertrag ist Gas derzeit tatsächlich nicht das ganz große Problem. Noch! Wir müssen nur die Strompreisentwicklung abfedern. Allerdings kündigt sich an, dass sich auch Wasser deutlich verteuert. Durch die Pumpen ist das ein großer Stromverbraucher. Ich rechne mit einer Verteuerung von 15 Prozent, genau wie auch beim Fleisch, dazu kommen Lohnerhöhungen. Die Mitarbeiter kommen natürlich und sagen: Mein Strom, meine Heizung - die Kosten fliegen mir nur so um die Ohren. Da müssen wir reagieren und die Löhne anheben.

Wie wirtschaftlich ist so noch ein Hotel zu führen?

Dirk Erdmann: Derzeit erheben wir einen Energieaufschlag von 7,50 Euro pro Nacht. Sollte sich der Markt entspannen, senken wir diesen Aufschlag aber sofort wieder. Grundsätzlich wäre ich ein schlechter Kaufmann, wenn wir nicht auch mal ein schlechtes Jahr verkraften könnten. Das Problem für Deutschland sehe ich darin, dass immer mehr gerade keine oder immer weniger Steuern zahlen. Der große Topf wird nicht mehr genug gefüllt, wenn es uns allen geschäftlich schlechter geht. Diesen Folgeeffekt schätze ich als viel dramatischer ein.

Derzeit wird intensiv darüber diskutiert, den Bau von Ferienwohnungen zu stoppen oder die Anzahl sogar zu reduzieren.

Dirk Erdmann: Damit sprechen Sie eines der Hauptprobleme der Insel an. Was schätzen Sie, wie ist das Verhältnis zwischen der Hotellerei und Ferienwohnungen?

Eine gemeine Frage für einen Auswärtigen.

Dirk Erdmann: Ich verrate es Ihnen. Nur 18 Prozent der Übernachtungen entfallen auf die Hotels, 82 Prozent auf Ferienwohnungen, Appartements und Häuser. Häufig spricht man in der Öffentlichkeit von den bösen Hotels, dabei sind wir gar nicht diejenigen, die in den vergangenen Jahren so stark expandiert sind.

Was meinen Sie mit böse?

Dirk Erdmann: Es wird oft behauptet, dass wir immer mehr Übernachtungen generieren wollen. Das stimmt aber nicht. Der Lanserhof in List beispielsweise stand mächtig in der Kritik. Über Größe, Standort und Lage kann man bei Lanserhof sicher diskutieren. Aber wenn Sie schauen, wie viele Ferienwohnungen im gleichen Zeitraum entstanden sind, ist diese Steigerung der Bettenzahl sehr klein. Ferienwohnungen sind im Vergleich sehr viel mehr hinzugekommen

Das heißt, Sie sind für eine Kontrolle und Begrenzung bei Ferienwohnungen und damit für ein insulares Beherbergungskonzept?

Dirk Erdmann: Nicht nur Ferienwohnungen, auch Hotelbetten! Aber es ist ein heikles Thema. Ich habe mir die 122 Seiten des Beherbergungskonzepts angeschaut, das Sie ansprechen, das stecken durchaus Lösungen drin. Was die Gemeindevertretungen aber noch benötigen, sind weitere Informationen.

Über wie viele Ferienwohnungen reden wir, die betroffen von einer Umwandlung wären? Welche Entschädigungsforderungen können entstehen, wenn ein Bebauungsplan geändert wird? Damit hat sich noch niemand auseinandergesetzt. Jedenfalls weiß ich davon nichts. Aber verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin total dafür, das Thema anzugehen, damit wir Erstwohnsitze erhalten und neue gewinnen.

Erdmann ist für ein insulares Gremium auf Sylt, aber gegen eine Fusion

Glauben Sie, dass die Insel das vereint hinbekommt?

Dirk Erdmann: Aus Ihrer Frage höre ich Zweifel heraus. Ich gebe Ihnen insofern recht, als dass der Umgang miteinander zuweilen unterirdisch ist. Wir Sylter sollten endlich anfangen, vernünftig miteinander umzugehen. In der Diskussion um das Amtsmodell haben wir teilweise ein nicht mehr tolerables Niveau. Dabei bin ich überzeugt von einem insularen Gremium wie dem Amtsmodell ohne Fusion. Andere Meinungen dazu gibt es natürlich auch und das ist auch völlig in Ordnung – wenn wir darüber sachlich diskutieren.

Das müssen Sie erklären.

Dirk Erdmann: Bestimmte Aufgaben, ob Flughafen, Landschaftsschutz, Kindergärten, Schulen und besonders Infrastruktur sind wichtige insulare Themen, die zum Beispiel in einem Amtsausschuss behandelt werden könnten. Was wir nicht wollen ist eine Großgemeinde Sylt, die in Kampen unsere Bebauungspläne gestaltet. Wir hätten Angst, dass plötzlich zweieinhalbgeschossig gebaut oder ein Dorfpark verkauft wird, Im Übrigen haben wir aus der Fusion der Gemeinde Sylt gelernt, dass nicht unbedingt eine Verbesserung eingetreten. ist. Gefühlt ist es eher das Gegenteil. Trotzdem brauchen wir einen starken insularen Verbund.

Für ein kostenloses Bussystem auf der Insel würde Erdmann die Tourismusabgabe erhöhen

Sie haben die Infrastruktur angesprochen, was meinen Sie konkret?

Dirk Erdmann: Das ist meines Erachtens die größte Baustelle, die wir auf der Insel haben, ob das Radwegenetz oder vor allem den öffentlichen Personennahverkehr. Ich wäre dafür, das kostenfrei zu machen, sowohl für Einheimische als auch für Gäste. Ich habe drei Kinder, die reden nicht über ein Auto, da wächst eine neue Generation heran. Die wird sich deutlich weniger um Automobile kümmern. Das heißt aber, dass wir gewährleisten müssen, dass die in ein paar Jahren auf Sylt auch von A nach B kommen.

Wie wollen Sie das finanzieren?

Dirk Erdmann: Über eine kleine Tourismusabgabe. Wenn wir dem Gast zumuten, 50 Cent mehr pro Übernachtung zu bezahlen, wären das bei derzeit circa 6,7 Millionen Übernachtungen gut drei Millionen Euro in den Topf. Für die Gäste wäre das ein richtiger Mehrwert. Das hieße aber auch, dass wir den höheren Takt hinkriegen müssten bei der Nord-Süd-Verbindung, speziell von Westerland nach List. Bisher sind es 15-Minuten-Abstände bei den Bussen, wir bräuchten aber mindestens zehn.

Das heißt also, Sie wären eher nicht für eine Autostraße von der Insel aufs Festland, wenn Sie mal nach Hamburg wollen?
Dirk Erdmann: Nein, die wird es auch hoffentlich nie geben. Mit der Bahn auf die Insel, das ist Weltkulturerbe (lacht).