Sylt. Anlässlich des 9-Euro-Tickets machten sich zahlreiche linke Aktivisten zu den “Chaostagen“ auf nach Sylt. So verlief das Wochenende.
- 9-Euro-Ticket bringt Hunderte neuer Gäste nach Sylt
- Mindestens 150 Punks feiern in der Fußgängerzone an der Friedrichstraße
- Kurkartenkontrolle am Strand überrascht die neuen Sylt-Gäste
- Züge an die Nordsee und Ostsee sind brechend voll
„Das ist erst der Anfang“, sagt ein älterer Herr zu seiner Frau. Die beiden schlendern gerade am Wilhelmine-Brunnen in der Fußgängerzone von Westerland vorbei. Es ist 11 Uhr am Sonnabend, und zu diesem Zeitpunkt haben sich hier bereits 150 Menschen im Bereich des Brunnens niedergelassen. Unter ihnen viele Punks.
Man trinkt Bier und harte Sachen, und noch ist die Musik in einer moderaten Lautstärke – es ist aber ja auch erst 11 Uhr. Diese neue Zielgruppe hat der Insel das 9-Euro-Ticket der Deutschen Bahn beschert, mit dem jetzt wohl Zehntausende an diesem Pfingstwochenende in überfüllten Zügen auf die Insel geschwemmt werden.
Sylt: Junge Leute schieben Alkohol in Einkaufswagen durch Westerland
Die Lage sei allerdings friedlich, sagte ein Sprecher der Regionalleitstelle Nord der Polizei in Harrislee. In der Nacht zum Sonnabend habe es zwei Einsätze wegen Ruhestörung am Strand von Westerland gegeben: Die Punks hätten im Bereich des Rettungsschwimmerhäuschens Radau gemacht. Bei einem Hotel wurde eine Scheibe beschmiert.
Auch am Sonntagmorgen spricht die Polizei von einer normalen Einsatzlage, wie man sie in einer Sonnabendnacht im Sommer habe. Es habe zwar 25 Einsätze seit Sonnabend 20 Uhr gegeben, die meisten davon seien jedoch unspektakulär gewesen. Hauptsächlich habe es sich um Ruhestörungen, Betrunkene auf der Straße oder Camper in den Dünen gehandelt, sagt ein Sprecher der Polizei Flensburg.
Lage auf Sylt: Sieben Polizeieinsätze in der Nacht zum Montag
Ebenso am Sonntagnachmittag: Bundespolizeisprecher Hanspeter Schwartz sagte, alles sei weiter ruhig. Am Sonnabend seien die Züge stark ausgelastet gewesen, die ersten Züge am Sonntag schon weniger. Es habe keinen Grund für die Bundespolizei gegeben einzuschreiten.
In der Nacht zum Montag blieb die Lage auf der Insel überwiegend ruhig. Trotz der vielen Touristen mit dem 9-Euro-Ticket und der allgemeinen Feierlaune zu Pfingsten gab es in der Nacht nur sieben Einsätze der Polizei.
Mitarbeiter gewürgt – Restaurant-Chef klagt über Punker
Am frühen Sonnabendabend kam es vor dem Restaurant Cropino derweil zu seinem handgreiflichen Zwischenfall. Ein Mitarbeiter des Restraurants, der auf die Punks einreden wollte, wurde gewürgt, blieb aber unverletzt. Es war der traurige Höhepunkt eines Tages, der für Cropino-Chef Mickey Schreiber ohnehin eine einzige Katastrophe war. "Eigentlich könnte ich sofort zumachen. Wir gehen hier komplett unter. Heute saßen gerade einmal zehn Leute hier. Das Pfingst-Geschäft ist komplett im Eimer. Dabei hätten wir das nach der harten Zeit in der Pandemie gut gebrauchen können. Da hilft nur noch eine Flasche Korn", klagte Schreiber gegenüber dem Abendblatt. Das italienische Restaurant hatte im Februar 2020, unmittelbar vor Beginn der Corona-Pandemie, eröffnet.
Seine Kritik richtete sich auch an die Politiker und die Polizei. "In Hamburg kann man im Schanzenviertel doch auch Versammlungsverbote aussprechen. Warum hier nicht? Die Polizei, die hier mit drei Wagen auf und ab fährt, kann auch nichts machen. Ich habe häufig mit denen am Tag gesprochen. Es ist einfach eine Katastrophe", sagte Schreiber.
Auf der Whiskymeile in Kampen ging es derweil ruhiger zu. Von Punks war nichts zu sehen. Sonnabendnachmittag feierten schick gekleidete – vor allem junge Leute – ausgelassen auf den Terrassen der Edellokale. Champagner und Longdrinks flossen in Strömen. Vor dem Pony hat sich bereits eine Schlange gebildet.
Am Sonnabendabend musste die Polizei auf Sylt aber konstatieren, dass es an Arbeit wahrlich nicht mangelte. "Die Telefonleitungen brummen. Wir haben wirklich viel zu tun. Körperverletzung, Ruhestörungen, Randale. Aber nichts, was den Rahmen sprengt. Wir hoffen, dass es so bleibt", erklärte eine Sprecherin am späten Sonnabend dem Abendblatt.
Sylt: Verhalten der Punks stößt auf Kritik
Bei Unternehmer Ole König stößt das Verhalten der jungen Leute auf Kritik. Der Chef von König-Immobilien hat rund 300 Feriendomizile auf der Insel in seinem Portfolio, ihm gehört auch das "I love Sylt"-Boutiquehotel in Westerland. Der Unternehmer zieht eine kritische Bilanz: "Die Insel ist über Pfingsten gut besucht. Traditionell mit vielen jungen und junggebliebenen Menschen, die zum Feiern kommen. In diesem Jahr fällt negativ auf, dass sich teilweise Rucksacktouristen hinzugesellt haben und mit lauter Musik, Respektlosigkeit, Wildpinkelei und zurückgelassenem Müll bleibenden Eindruck hinterlassen. Toleranz in allen Ehren. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wie die des Nächsten beginnt."
Polizei auf Sylt sieht sich gut vorbereitet
Die Polizei sei vorbereitet, sollten wie erwartet weitere Punks in der Touristenhochburg eintreffen. Linke Aktivisten hatten in sozialen Netzwerken anlässlich der Einführung des 9-Euro-Tickets zu „Chaostagen Sylt 2022“ aufgerufen.
Die eintreffenden Züge waren am Sonnabend brechend voll, auch die Autozüge ausgebucht, wie ein Fotograf berichtet. Viele Bahnreisende seien in Partystimmung angekommen. In der Fußgängerzone Friedrichstraße fielen viele Gruppen junger Menschen auf. Sie haben Gettoblaster und jede Menge Alkohol im Gepäck – einige schoben Einkaufswagen voller Bierdosen vor sich her –, und machten sich auf den Weg Richtung Promenade und Strand, „Vamos a la playa“ grölend. Eine Gruppe hatte einen Kochtopf mitgebracht und bereitete mitten in der Fußgängerzone Essen zu.
Kurabgabe sorgt für Ratlosigkeit
Ein Polizeiwagen rollte im Schritttempo durch die Fußgängerzone. Während die Touristen auf den Terrassen der Lokale ihren Kaffee oder ein Pils genossen, hatte sich eine kleine Gruppe Punks neben dem Imbiss Otto von Wurst niedergelassen. Es wurde getrunken, und noch lächelten die meisten der „normalen" Urlauber über die ungewöhnlichen Inselbesucher.
Unterdessen standen etwa 30 junge Leute vor den Häuschen, in dem die Kurkarten kontrolliert werden, ohne die kommt man nicht an den Strand. Vier Euro Kurabgabe müssen Tagesgäste bezahlen – sonst keinen Zugang zum Strand. Ratlosigkeit machte sich breit. „Wir haben doch gar kein Geld dabei“, sagt ein junger Mann. Ein anderer sagte: „Uns gehört doch jetzt Westerland, warum müssen wir bezahlen, um an den Strand zu kommen?“
Timmendorfer Strand voll, aber nicht übervoll
Szenen wie diese sind an der Ostsee nicht zu sehen. An der Lübecker Bucht genießen am Sonnabend und am Sonntag zahlreiche Urlauber und Tagesgäste Sonne und Strand. Es sei voll, aber nicht übervoll, fasst eine Mitarbeiterin des Touristen-Informationszentrum im Niendorfer Hafen die Lage zusammen. Es seien mehr Menschen gekommen als an Himmelfahrt, aber da sei das Wetter auch nicht so schön gewesen.
Promenaden und Cafés sind gut besucht, doch an den Stränden zeigt sich die entspannte Lage. In der Lübecker Bucht war es am Pfingstsonntag etwas voller als am Vortag. Mehrere Strandkorbvermieter hatten am Mittag bereits ein „Belegt“-Zeichen rausgestellt. Viele Vermieter am Timmendorfer Strand oder im benachbarten Scharbeutz haben noch genügend freie Körbe.
9-Euro-Ticket: Ansturm auf Busse und Bahnen
Timmendorfer Strand und Lübeck-Travemünde sind etwa von Hamburg aus leicht mit dem 9-Euro-Ticket erreichbar. Am Pfingstwochenende ist es im Norden bei sonnigem Wetter zu dem erwartet großen Andrang auf Busse und Bahnen gekommen. „Regionalzüge, insbesondere zu den touristischen Zielen, sind heute wie erwartet sehr stark nachgefragt“, sagte ein Sprecher der Deutschen Bahn am Sonnabend. Auch am Sonntag waren viele Menschen im Norden in Ausflugslaune und haben die Zugfahrt an die Ostsee angetreten.
Die Bahn empfehle ihren Fahrgästen, sich kurz vor Reiseantritt noch einmal in den Auskunftsmedien der Verkehrsverbünde vor Ort oder über den DB Navigator zu informieren. Eine Fahrradmitnahme könne aufgrund des hohen Fahrgastaufkommens nicht garantiert werden. „Wer kann, sollte daher auf das Rad verzichten.“ Für Pfingstmontag erwartet die Deutsche Bahn viele Reiserückkehrer in ihren Zügen.
Auch auf den Autobahnen in Richtung Norden sei viel los, sagt ein Sprecher des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC) am Sonnabendmittag. So staute es sich teilweise bis zu zehn Kilometer, etwa auf der Autobahn 7 zwischen dem Dreieck Walsrode und Soltau-Süd. Auf der A1 zwischen dem Maschener Kreuz und Stillhorn staute es sich auf sieben Kilometern. Immer wieder komme es zudem zu Störungen oder kleineren Staus.
Für ein Ferienwochenende sei das Verkehrsaufkommen jedoch insgesamt erwartbar. „Es geht nicht gut voran, aber wir haben nicht das absolute Chaos“, so der Sprecher. Insbesondere für Montag erwartet der ADAC viele Reiserückkehrer. Vor allem von den Inseln aus sei mit dann mit Staus und stockendem Verkehr zu rechnen.
Bereits am Freitag hat der beginnende Pfingstreiseverkehr im Norden zu überfüllten Zügen und langen Staus geführt. Bus- und Bahnunternehmen hatten angekündigt, die Fahrgastkapazitäten zu erhöhen.
9-Euro-Ticket in Hamburg: Alle Fragen und Antworten
- Wo kann ich das 9-Euro-Ticket kaufen? Die Tickets sind über die Apps, Fahrkartenschalter, Kundenzentren und andere Verkaufsstellen der Deutschen Bahn erhältlich. In Hamburg ist die Fahrkarte über die HVV-App, den HVV-Onlineshop, die Servicestellen, die HVV-Switch-App, an den Fahrkartenautomaten und in allen Bussen zu bekommen. Außerdem gibt es vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) auch eine eigene „9-Euro-Ticket“-App, die auf den gängigen Plattformen runtergeladen werden kann.
- Für welchen Zeitraum gilt das Ticket? Die Tickets gelten jeweils für Juni, Juli und August – und zwar für den Kalendermonat. Nicht möglich sind Tickets für gleitende 4-Wochen-Zeiträume, also zum Beispiel von Mitte Juli bis Mitte August.
- Wie weit kommen Hamburger mit dem 9-Euro-Ticket in Deutschland? In unserer interaktiven Karte finden Sie Ziele, die ab Hamburg mit Regionalzügen zu erreichen sind – direkt oder mit höchstens dreimal Umsteigen.
- Welche Verkehrsmittel kann man mit dem Ticket nutzen? Prinzipiell gilt das 9-Euro-Ticket bundesweit in allen Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen, S-Bahnen und Zügen des Nah- und Regionalverkehrs – egal ob von der Deutschen Bahn oder anderen Anbietern. Nicht genutzt werden kann der Fernverkehr der Deutschen Bahn mit ICE, Intercity und Eurocity. Auch auf einigen Intercity-Abschnitten, auf denen Fahrgäste mit anderen Nahverkehrsfahrkarten sonst zusteigen dürfen, gilt das Ticket nicht. Diese Fernverkehrszüge werden in der Reiseauskunft neben der IC- mit einer Regionalzug-Kennzeichnung ausgewiesen. Dabei stehe der Hinweis „9-EUR-Ticket nicht gültig“. Nach Angaben der Deutschen Bahn laufen zu dem Thema regional noch Gespräche.
- Kann man das 9-Euro-Ticket mit ICE-Tickets kombinieren? Ja. Wie die Deutsche Bahn mitteilte, kann man damit im Regionalverkehr zu dem Bahnhof fahren, an dem man in einen Fernzug umsteigt. Für die Fahrt im Fernverkehr ist dann aber immer ein separates Ticket notwendig.
- Was ist mit Fahrrädern? Wer Fahrräder mitnehmen will, muss für diese trotz 9-Euro-Tickets meist ein paar Euro extra zahlen, zudem kann es passieren, dass die Züge so ge- oder gar überfüllt sind, dass ein Rad schlicht nicht mehr mitgenommen wird.
- Wird trotz der günstigen Tickets weiter kontrolliert? Ja, die Verkehrsunternehmen kontrollieren eigenen Angaben zufolge wie gewohnt weiter. Wer ohne Ticket angetroffen wird, zahlt nach wie vor ein sogenanntes erhöhtes Beförderungsgeld von meist 60 Euro.
- Warum ist das Ticket nicht gleich kostenlos? Diesen Vorschlag hat es aus den Ländern tatsächlich gegeben. Einfach auf Tickets (und die Kontrolle) zu verzichten, hätte den Aufwand deutlich gesenkt, so die Argumentation. Ein Grund dafür, dass nun doch etwas Geld verlangt wird: Die Nutzung lässt sich auf diese Weise besser analysieren. Wer nutzt auf welchen Strecken Busse und Bahnen, wenn es deutlich günstiger ist – das ist für die Verkehrsbetriebe eine spannende Frage.
- Werden zusätzliche Züge eingesetzt? Viele Verkehrsunternehmen haben für die drei Monate Verstärkerzüge angekündigt. Die Deutsche Bahn etwa will 50 zusätzliche Züge einsetzen und das Personal verstärken. Mit den Fahrzeugen könnten 250 zusätzliche Fahrten angeboten werden, hieß es. Sie sollen vor allem entlang der Touristenstrecken in Richtung Nord- und Ostsee sowie im Süden eingesetzt werden. Doch angesichts von durchschnittlich rund 22.000 Regionalbahnfahrten jeden Tag sind Fachleute skeptisch, ob das reicht.
- Welche Ausflüge gibt es in Hamburg und Umgebung? Das finden Sie im neuen Magazin „Ausflüge“ vom Hamburger Abendblatt. Es ist erhältlich in der Abendblatt-Geschäftsstelle am Großen Burstah 18–32 gleich hinter dem Rathaus, auf abendblatt.de/shop und im Buch- und Zeitschriftenhandel.
- Fahrpläne ab Hamburg unter www.bahn.de, www.der-metronom.de, www.nordbahn.de, www.hvv.de, www.nah.sh, regional.bahn.de/regionen/meckpomm/fahrplan