Kaltenkirchen. Zu viel Ausfall, kein Personal: Sozialministerin hörte sich in der DRK-Einrichtung die Kritik der Betreiber, Erzieher und Eltern an.

Ihr Amtsvorgänger Heiner Garg bescheinigte ihr jüngst, sie würde diese so wichtige Zukunftsaufgabe Kinderbetreuung nur „lustlos“ und ohne Interesse bearbeiten. Davon war an diesem Vormittag in der Kindertagesstätte des Deutschen Roten Kreuzes am Zeisigring in Kaltenkirchen nichts zu spüren. Wie eine aufmerksame Mutter ließ sich Sozialministerin Aminata Touré in aller Ruhe von Lene (6) und Paul (4) durch die Räume in der Kita führen und alles zeigen, was den 100 hier betreuten Kindern in vier Krippen- und drei Elementargruppen so alles geboten wird.

Besonders gefiel der Ministerin aus Kiel die kindgerechte Miniaturküche, die ihr die beiden Kinder stolz vorführten. Auch Kaltenkirchens Bürgermeister Stefan Bohlen schien begeistert und setzte sich spontan zur Ministerin auf den Boden, um den Kindern auf Augenhöhe zu begegnen.

Ministerin Touré ist auf Kita-Tour

Lene und Paul auf Augenhöhe mit Sozialministerin Touré und Bürgermeister Stefan Bohlen, denen sie ihre kleine Küche in der Kita am Zeisigring in Kaltenkirchen aus nächster Nähe zeigten.
Lene und Paul auf Augenhöhe mit Sozialministerin Touré und Bürgermeister Stefan Bohlen, denen sie ihre kleine Küche in der Kita am Zeisigring in Kaltenkirchen aus nächster Nähe zeigten. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Der Besuch der Ministerin hatte einen ernsthaften Hintergrund. Die Kindergartenpolitik des Landes Schleswig-Holstein steht auf dem Prüfstand. Ein 570 Seiten umfassender Evaluationsbericht, der im Februar von einer Expertengruppe nach eingehender Analyse der Zustände und Befragung der Mitarbeitenden in den 1950 Einrichtungen vorgelegt wurde, bescheinigte der Regierung, dass nicht alles rund läuft. Es gebe zu viele Ausfallzeiten, beim Personal „knirscht es“ gewaltig. Die Bertelsmann-Stiftung hat errechnet, dass landesweit 15.600 Kita-Plätze und etwa 4000 Erzieherstellen fehlten.

Ministerin Touré ist sich dieser Krise bewusst. Es fehlten rund 100 Millionen Euro „im System“, sagt sie nach dem umfassenden Rundgang mit Kita-Leiterin Constanze Hildebrandt in Kaltenkirchen. Wie diese Finanzierungslücke geschlossen werden kann und wer wie viel Geld beizusteuern habe, darüber will sich die Ministerin im Praxistest klar werden. Deshalb ist sie derzeit auf Kita-Tour in allen elf Landkreisen und in den vier kreisfreien Städten. Pro Stopp ein Kitabesuch und eine Diskussion mit Fachkräften und Elternvertretern.

Kitas: Es klafft eine Finanzierungslücke

Sozialministerin Aminata Touré hörte sich die Sorgen und Nöte von Kita-Leiterin Constanze Hildebrandt (links) in Kaltenkirchen an, die auch Bürgermeisterin Stefan Bohlen besuchte.
Sozialministerin Aminata Touré hörte sich die Sorgen und Nöte von Kita-Leiterin Constanze Hildebrandt (links) in Kaltenkirchen an, die auch Bürgermeisterin Stefan Bohlen besuchte. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

„Kita fairlässlich“ hat sie diese Tour betitelt. Es gehe darum, den Eltern eine verlässliche Betreuung für deren Kinder anzubieten, sagt die Ministerin. „Wir haben einen massiven Fachkräftemangel“, sagt Touré. Die jetzt von Land und Kommunen für die Kita-Betreuung aufgewendeten 1,2 Milliarden Euro zuzüglich der etwa 300 Millionen Euro, die die Eltern beitragen, reichten bei weitem nicht aus. Darum reise sie durch die Lande, um mit den Fachkräften, Kommunen, Trägern und Eltern zu beraten, wie diese Lücke geschlossen werden könnte. Im Herbst werde sie die Ergebnisse dem Landtag präsentieren.

DRK-Präsident und Ex-Landtagspräsident Thorsten Geerdts mit Kita-Leiterin Constanze Hildebrandt wünscht sich mehr Flexibilität und weniger Bürokratie für die Mitarbeitenden in den 130 DRK-Kitas im Land.
DRK-Präsident und Ex-Landtagspräsident Thorsten Geerdts mit Kita-Leiterin Constanze Hildebrandt wünscht sich mehr Flexibilität und weniger Bürokratie für die Mitarbeitenden in den 130 DRK-Kitas im Land. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

DRK-Präsident Thorsten Geerdts, 20 Jahre CDU-Abgeordneter des Kieler Landtags und ehemaliges Mitglied des Sozialausschusses, lobte das Vorgehen der Grünen-Ministerin. „Sie geht direkt in die Kitas und redet mit den Betroffenen, bevor sie ihre Entscheidung trifft“, sagte Geerdts. „Das ist gut. Denn am Ende geht es um sehr viel Geld.“ Als Präsident des DRK, das landesweit 130 Kitas betreibe, wünschte er sich weniger Bürokratie und mehr Flexibilität, damit das Fachpersonal sich mehr für diese Aufgabe begeistern kann.

Eltern leben in ständiger Ungewissheit

Vater Ole Kümmritz, dessen Tochter Ellie in der Kita betreut wird, wünscht sich, dass Eltern in der Kita aushelfen könnten, wenn dort Personalnot herrscht und sie ohnehin einen Urlaubstag nehmen müssten.
Vater Ole Kümmritz, dessen Tochter Ellie in der Kita betreut wird, wünscht sich, dass Eltern in der Kita aushelfen könnten, wenn dort Personalnot herrscht und sie ohnehin einen Urlaubstag nehmen müssten. © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Für Elternvertreter Ole Kümmert, dessen vier Jahre alte Tochter Elie in der Kita Zeisigring betreut wird, ist es vor allem die Ungewissheit, die Mütter und Väter umtreibe, ob die Kita-Betreuung aus Krankheitsgründen plötzlich ausfiele und ein Elternteil nicht mehr zur Arbeit gehen könnte. Dann müsste einer von beiden Urlaub nehmen. „Warum kann dann nicht dieses Elternteil, das ohnehin frei hat, in die Kita gehen, um die Mitarbeitenden zu unterstützen?“, fragt er sich. Grundsätzlich sei es ja zu begrüßen, dass das Kita-Gesetz zwei Fachkräfte für jede Kita-Gruppe vorschreibe. Aber dieser Betreuungsschlüssel sollte seiner Ansicht nach im Bedarfsfall nicht so streng ausgelegt werden, findet Vater Kümmert.

Kita-Leiterin Hildebrandt erklärte, dass sie sie sich Hilfe von außen, über die sogenannten „helfenden Hände“ hole, wenn Erzieherinnen ausfielen. Das sei bei ihren 20 Erzieherinnen oft bei Schwangerschaften nötig, die zu Engpässen führten. „So schnell kriege ich dann kein neues Personal“, sagte sie. „Mit unseren modernen Räumen von 2019 und unserem tollen Team haben wir eigentlich kein Problem, neue Fachkräfte zu gewinnen“, erklärt die Kita-Leiterin. Zudem habe sie vier Kolleginnen in praktischer Ausbildung (PiA), die die Stadt Kaltenkirchen mitfinanziere.

„Fachkräfte wandern nach Hamburg ab“

Bürgermeister Stefan Bohlen mit Sachgebietsleiterin Petra Dibbern: Kaltenkirchen investiert 7,25 Millionen Euro in seine 14 Kindertagesstätten im Jahr. 98 Prozent der drei- bis sechsjährigen und 40 40 Prozent der unter dreijährigen Kinder sind so professionell betreut.   
Bürgermeister Stefan Bohlen mit Sachgebietsleiterin Petra Dibbern: Kaltenkirchen investiert 7,25 Millionen Euro in seine 14 Kindertagesstätten im Jahr. 98 Prozent der drei- bis sechsjährigen und 40 40 Prozent der unter dreijährigen Kinder sind so professionell betreut.    © Burkhard Fuchs | Burkhard Fuchs

Und die tue einiges für die Kinderbetreuung in der Stadt, betonte Bürgermeister Bohlen. 1125 Kinder würden in 14 Kindergärten von verschiedenen Trägern betreut und versorgt, was die Stadt 7,25 Millionen Euro im Jahr koste. Damit seien 98 Prozent der Kinder zwischen drei und sechs Jahren sowie 40 Prozent der unter Dreijährigen in Kaltenkirchen versorgt, erklärt Sachgebietsleiterin Petra Dibbern.

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Zurzeit werde an der Hamburger Straße eine 15. Einrichtung für neun Millionen Euro gebaut, sagte der Verwaltungschef. „Wir als Stadt unterstützen massiv diese PiA-Ausbildung und finanzieren auch Studiengänge mit bis zu 30.000 Euro in drei Jahren in der Kindertagespflege.“ Die Kita-Gruppen langfristig abzusichern, sei „ein großes Problem“, so Bürgermeister Bohlen. „Und viele Eltern können es sich nicht leisten, Urlaub zu nehmen, wen die Kita ausfällt.“ Außerdem fehle es oft am Geld und die Nähe zu Hamburg ließe viele Fachkräfte dorthin abwandern, weil sie in der Hansestadt mehr verdienen könnten.

„Kita-Versorgung ist ein Top-Thema“

Ministerin Touré hörte sich diese Vorschläge und Kritik an und versprach, bald Abhilfe zu schaffen. In einem Sofortprogramm habe das Land 15 Millionen Euro bereitgestellt für Kitas, die in Personalnot sind. Dabei könnten die Kitas sogar die Mitarbeit der „helfenden Hände“ über den Betreuungsschlüsse von zwei Fachkräften je Gruppe hinaus nutzen, erklärte Touré. Auch der Quereinstieg von Fachpersonal solle erleichtert werden.

Ihre Strategie umfasse vier wesentliche Punkte, erklärte Aminata Touré: Eine verlässliche Betreuung ihrer Kinder müsse für die Eltern sichergestellt werden. Die Kitas sollten die Hilfen flexibler als bisher anwenden dürfen und bürokratische Hürden würden abgebaut, versprach Touré. Und natürlich müsse dann geklärt werden, wie die rund 100 Millionen zusätzlich von Land, Kommunen, Trägern und Eltern in welchem Verhältnis getragen werden und ob die Elternbeiträge erhöht werden müssten. „Wir brauchen ein faires Finanzierungssystem. Diese Frage ist noch nicht geklärt.“ Im November soll das der Fall sein.

Dass der FDP-Landtagskollege und Amtsvorgänger Garg sie als „lustlos“ bei diesem Thema kritisiert habe, halte sie sie für typische Propaganda einer Oppositionspartei, sagte Ministerin Touré noch auf Abendblatt-Nachfrage. „Für mich ist die Kita-Versorgung ein absolutes Top-Thema.“