Kiel. Naturschützer befürchten bei weiterem Ausbau große Nachteile für Zug- und Wattvögel. Gemeinsamer Brandbrief an Kieler Landesregierung.
Eiderstedt – auch wer den Namen nicht kennt, kennt sich hier aus: Auf der nordfriesischen Halbinsel steht – in Westerhever – einer der bekanntesten deutschen Leuchttürme, mit St. Peter-Ording liegt hier einer der beliebtesten Urlaubsorte an der Nordseeküste. Urlauber genießen Kilometer lange Sandstrände, die Rauheit der See und die einzigartige Natur des Wattenmeers. Die sehen die großen Umweltverbände im Norden jetzt gefährdet – durch den Ausbau der Windenergie. Sie wenden sich in einem Brandbrief an die Kieler Landesregierung.
„Wir fordern Sie auf, den Bau von weiteren Windenergieanlagen auf der Halbinsel Eiderstedt nicht zu ermöglichen und der besonderen Natur und Landschaft dort den notwendigen Schutz zu gewähren“, heißt es im Schreiben, das der BUND, der Nabu, die Schutzstation Wattenmeer, der WWF, der Verein Jordsand, der Landesnaturschutzbeauftragte, die Ornithologische Arbeitsgemeinschaft und der Landesnaturschutzverband gemeinsam verfasst haben.
Naturschutz: „Windregionalplan“ für einige Orte unwirksam
Worum geht es? Zum einen hat die Ampel-Koalition in Berlin den beschleunigten und vorrangigen Ausbau der Windenergie beschlossen. Jetzt können auch einzelne Gemeinden Windräder genehmigen. „Für das Erreichen der klimapolitischen Ziele ist die Planung einer Windenergieanlage auf Ebene der Gemeinden nicht nur völlig unnötig – sie führt auch zu schweren und unnötigen Konflikten vor Ort“, argumentieren die Umweltschützer dagegen.
Zum anderen hat das Oberverwaltungsgericht in Schleswig in diesem Monat die bestehende Planung des Landes, für den kontrollierten Ausbau der Windenergie endgültig für unwirksam erklärt. Damit ist der „Windregionalplan“ für die Kreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg sowie die Stadt Flensburg unwirksam. Erfolgreich geklagt hatte eine Projektgesellschaft, die in Schleswig-Flensburg ein Windrad errichten wollte.
Wildwuchs beim Windradbau befürchtet
Mit dieser Regionalplanung hatte die Regierung in Kiel, vereinfacht ausgedrückt, das Land zweigeteilt: in große Abschnitte, in denen der Windenergieausbau Vorrang hatte, und in Zonen, in denen er – wie weitgehend auf Eiderstedt – tabu war. „Das Ergebnis des Normenkontrollverfahrens ist bedauerlich. Nun tritt ein, was wir unbedingt vermeiden wollten“, hat Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) nach der finalen Gerichtsentscheidung gesagt. Nach dem Urteil befürchten neben den Umweltverbänden auch Teile des Kieler Kabinetts Wildwuchs beim Windradbau. Dagegen sieht der Landesverband Erneuerbare Energien das Urteil als Chance, die Windkraft im Norden noch weiter voranzubringen.
Die Umweltverbände sind nicht grundsätzlich dagegen. Im Gegenteil: Bei der Stromerzeugung konsequent auf regenerative Energien zu setzen, sei die Voraussetzung für vollständige Klimaneutralität, heißt es im Brandbrief. Wichtig, auch für die Akzeptanz der Windräder in der Bevölkerung, seien aber geeignete Flächen. Die landesweite Regionalplanung habe bislang die Nutzung der Windenergie dort verhindert, „wo sie am wenigsten verträglich ist und dort zugelassen, wo der im Vergleich geringste Schaden entsteht“, heißt es in dem Schreiben.
Eiderstedt ist letzte noch weitgehend offene Korridor für Zugvögel
Gerade auf Eiderstedt werde die Natur großen Schaden nehmen, befürchten die acht Umweltschutzgruppen und -institutionen. Bislang hatten die Vorgaben die Halbinsel westlich von Husum weitgehend von Windrädern freigehalten. Doch jetzt stünden Gemeinden und Investoren in den Startlöchern, Windkraftanlagen hochzuziehen. Das sei fatal. Denn Eiderstedt sei der letzte noch weitgehend offene Korridor für Zugvögel.
Nördlich und südlich würden Zugvögel „von der Elbe bis nach Dänemark durch eine dichte Kette von Windrädern behindert“. Das Weltnaturerbe Wattenmeer habe zudem große Bedeutung für Zug, Rast, Mauser oder Überwinterung von mehr als zehn Millionen Wat- und Wasservögeln“ warnen die Naturschützer vor Gefahren für Nonnen- und Ringelgänse, Gold- und Kiebitzregenpfeifer, Knutt und Alpenstrandläufer.
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Die Klimakrise dürfe nicht auf Kosten der Biodiversität gelöst werden, fordern die Umweltgruppen Ministerpräsident Daniel Günther, Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (beide CDU) und Umweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne) auf zu verhindern, dass signifikante Flächen auf Eiderstedt für Windräder freigegeben werden. „Wir sind davon überzeugt, dass in Schleswig-Holstein die notwendige Menge an erneuerbarer Energie erzeugt werden kann, ohne dabei Hotspots der Natur und der Vogelwelt wie Eiderstedt für die Windenergie in Anspruch nehmen zu müssen.“
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„Schleswig-Holstein profitiert sehr von der Energiewende und insbesondere auch von der Windkraft. Zu einem Energiewendeland gehört aber auch, dass es Bereiche gibt, die von Windkraftanlagen freigehalten werden sollten, etwa zum Schutz des Wohnumfeldes oder besonders schützenswerte Naturflächen. Eiderstedt gehört als wichtiges Nahrungs- und Rastgebiet für Zugvögel und überregional bedeutendes Brutgebiet für Wiesenvögel eindeutig dazu“, verspricht Umweltminister Tobias Goldschmidt auch nach dem Urteil „eine gut abgewogene Planung“.
Das Kieler Innenministerium kündigt an, die Lockerungen durch den Bund mit der Regionalplanung Windenergie des Landes „so weit wie es möglich ist, in Einklang zu bringen.“ Dafür habe das Kabinett bereits einem entsprechenden Gesetzentwurf zugestimmt, der in den Landtag eingebracht werde. Das geht SPD-Landtagsfraktionschefin Serpil Midyatli viel zu langsam. „Die Ankündigung der Innenministerin, mit Hochdruck bis 2027 neue Regionalpläne zu erstellen, ist ein Witz.“