Kiel. Finanzministerin im Abendblatt-Interview über ein bettelarmes Schleswig-Holstein, Schuldenberge, sinkende Einnahmen und Notkredite.

10.600 Euro. So viele Schulden hat umgerechnet jeder Schleswig-Holsteiner. Jedes Baby, jeder Jugendliche, jeder Arbeitnehmer, jeder Rentner. 10.600 Euro – multipliziert mit der Zahl der Einwohner – so hoch in etwa ist der Schuldenstand des Landes. Tendenz: Rasch weiter steigend. Allein in diesem Jahr sollen drei Notkredite über insgesamt 1,65 Milliarden Euro das finanzielle Überleben des Landes sicherstellen. Massive Kritik an der Haushaltspolitik kommt vom Landesrechnungshof, Steuerzahlerbund und von der Opposition. Monika Heinold ist die Herrin dieser Zahlen. Am kommenden Mittwoch steht der Etat im Kieler Landtag zur Abstimmung. Erwartet wird ein heftiger Schlagabtausch.

Frau Heinold, würden Sie meiner Einschätzung widersprechen, wonach Schleswig-Holstein bettelarm ist? Immerhin muss das Land in diesem Jahr trotz Schuldenbremse 1,65 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen.

Wir haben in den Jahren vor der Krise Schleswig-Holstein aus der Schuldenfalle herausgeführt, Vermögen aufgebaut und Zukunftsinvestitionen getätigt. Aber ja, durch die Krisen ist das Land wieder Haushaltskonsolidierungsland, und wir haben erneut einen ziemlich harten Sparkurs vor uns.

Neue Notkredite – Trickserei bei der Haushaltsführung?

Zwischen Einnahmen und Ausgaben klafft eine Lücke von rund zwei Milliarden Euro. Tendenz weiter steigend. Wäre Schleswig-Holstein ein Unternehmen – es hätte längst Insolvenz anmelden müssen. Oder etwa nicht?

Zum Glück ist der Staat kein Unternehmen. Dennoch muss die Lücke geschlossen werden. Die Situation aktuell ist schwierig, aber ich traue unserem Bundesland zu, sich erneut aus der Krise herauszuarbeiten. So, wie wir es schon einmal geschafft haben. Das erfordert klare Entscheidungen und einen Kurs, der dem Land nicht die Luft zum Atmen nimmt. Als Landesregierung tragen wir Verantwortung dafür, dass die notwendige Daseinsvorsorge erhalten bleibt. Auch deshalb arbeiten wir mit Notkrediten.

Die Vorwürfe von Opposition, Rechnungshof und Steuerzahlerbund gegen Ihre Haushaltspolitik wiegen schwer. Tricksen Sie bei der Haushaltsaufstellung, Frau Heinold?

Nein, bei uns ist alles maximal transparent und mit dem Parlament besprochen. Für die FDP sind Schulden Teufelszeug, sie lehnt den geplanten Notkredit ab. Bei der SPD werbe ich nach wie vor für Zustimmung, denn ohne Notkredit wäre der notwendige Sparkurs extrem hart für unser Land, und das kann eigentlich nicht in deren Interesse sein.

Jetzt nehmen Sie nicht nur neue Kredite über besagte 1,65 Milliarden auf, Sie greifen zudem auf Rücklagen zurück, mit denen Sie ursprünglich die Steigerung der Pensionslasten von 1,5 auf 2 Milliarden Euro jährlich kompensieren wollten. Ist das Haushaltspolitik nach dem Motto „Linke Tasche, rechte Tasche“?

Ziel ist es, die anstehenden Sparmaßnahmen schrittweise umzusetzen. Wir planen mit Konjunktur- und Notkrediten, um in der Krise gemachte Versprechen zu halten, unsere Gesellschaft zusammenzuhalten und um in die Energiewende und Energiesouveränität zu investieren. Und wir sparen. In 2024 rund 100 Millionen Euro, ab 2025 kommen Jahr für Jahr 200 Millionen hinzu. Das ist ein harter Kurs, das werden die Menschen in Schleswig-Holstein spüren. Um diesen steinigen Weg abgefedert gehen zu können, nutzen wir vorübergehend aufgebautes Vermögen aus dem Versorgungsfonds.

Unter anderem der Rechnungshof befürchtet, dass die Landesregierung durch die Entnahme aus dem Versorgungsfonds „auf mittlere Sicht an die Höhe der Beamtenpensionen geht“. Können Sie das kategorisch ausschließen?

Die Landesregierung plant keine Kürzung der Beamtenpension. Für die Beschäftigten hat eine Entnahme aus dem Fond keine Auswirkung.

Wenn Sie jährlich Geld aus dem Versorgungsfonds nehmen, um damit laufende Ausgaben zu finanzieren, reißen Sie eine neue Lücke. Das Geld wird Ihnen fehlen, wenn die Pensionslasten weiter steigen.

Im Versorgungsfonds liegen rund 1,1 Milliarden Euro. Die Hauptlast der 1,5 Milliarden Euro Versorgungskosten wird nicht durch den Fonds gedeckt, sondern aus dem Etat. Der Fonds hilft die wachsenden Versorgungskosten abzufedern – im letzten Jahr mit 14 Mio. Euro. Deshalb wird er nicht aufgelöst, er wird vorübergehend genutzt und soll ab 2028 wieder gefüttert werden.

Ein Grund, warum die Ausgaben so stark gestiegen sind, sind die Personalkosten. Die Jamaika-Koalition wollte eigentlich gut 5000 Stellen abbauen, stattdessen sind bis heute 5000 Stellen zusätzlich geschaffen worden. Das engt den finanziellen Handlungsspielraum der Regierung weiter ein. Warum haben Sie das als „Herrin des Geldes“ mitgemacht?

Der Personalabbaupfad wurde 2010 beschlossen und von der Küsten-Koalition weiter umgesetzt. In der Jamaika-Koalition haben wir dann gemeinsam mit der FDP Stellen auf- statt abgebaut. Vor allem im Bereich von Schulen, innerer Sicherheit und allgemeiner Verwaltung. Damit ist es gelungen, junge Nachwuchskräfte zu gewinnen. Angesichts des Fachkräftemangels eine richtige Entscheidung.

Anders als vom Rechnungshof kritisiert, war der Personalaufbau aus Ihrer Sicht also kein Fehler?

Nein. Wir stehen künftig vor hohen Altersabgängen, da findet der Personalabbau quasi von selbst statt. Wenn wir den nutzen wollen, um Kosten zu sparen, müssen wir aber auch Aufgaben reduzieren, denn die Arbeitsbelastung ist schon jetzt sehr hoch.

Schwarz-Grün hat jährliche Kürzungen von 200 Millionen Euro von 2025 an beschlossen. Wo im Haushalt sehen Sie als Finanzministerin noch solche Einsparmöglichkeiten?

Das wird, auch mit Blick auf die Mehrausgaben der vergangenen Jahre, schwierig. Wir haben Kommunen, Kindertagesstätten und Schulen gestärkt. Auch kosten uns Maßnahmen des Bundes viel Geld – die Wohngeldreform, das Deutschlandticket, die große Steuerreform. Bei den rund 100 Millionen Euro, die wir dieses Jahr sparen, haben wir keinen Bereich ausgenommen. Schule, Hort, Hochschule, Straßenbau, Naturschutz, Landwirtschaft – jeder hat seinen Beitrag geleistet.

Sie sparen im aktuellen Haushalt rund 100 Millionen Euro. Künftig sollen es jährlich 200 Millionen sein. Das wird von Jahr zu Jahr schwieriger. Also noch einmal die Frage: Worauf kann das Land aus Sicht seiner Finanzministerin verzichten?

Wenn ich jetzt etwas dazu sagen würde, hätte ich ab morgen die Proteste. Wir arbeiten in dieser Regierung sehr vertrauensvoll miteinander. Das werden wir auch beim Haushalt 2025 so machen. Jedes Ministerium macht für seinen Bereich Sparvorschläge, daraus erstellen wir ein Gesamtkonzept, das dann gemeinsam verantwortet wird. Dem nehme ich nichts vorweg.

Seit Langem werben Sie für eine Reform der Schuldenbremse. Bislang sind Sie immer am Widerstand der CDU gescheitert. Empfinden Sie eine innere Genugtuung, dass Daniel Günther jetzt umschwenkt?

Nein. Ich habe als junger Mensch im Landtag für die Schuldenbremse gekämpft. Ich finde sie im Grundsatz richtig. Aber sie ist reformbedürftig. Die großen Zukunftsinvestitionen können nicht aus dem laufenden Haushalt bezahlt werden. Die Länder brauchen einen klar definierten Verschuldungsspielraum, und auch der Reformvorschlag des Sachverständigenrats vom Januar 2024, dass es nach Krisenjahren in einer Übergangsphase noch eine begrenzte Verschuldungsmöglichkeit gibt, ist richtig. Um wieder in eine Normalsituation zu kommen. Dazu hat sich der Ministerpräsident jetzt auch positiv geäußert. Das freut mich, aber Genugtuung ist das falsche Wort.

Wie geht es mit einer möglichen Reform der Schuldenbremse jetzt konkret weiter?

Vor der Bundestagswahl wird sich nichts mehr tun. Da bin ich mir sicher. Aber die nächste Regierung wird, wie immer sie zusammengesetzt ist, eine Reform der Schuldenbremse auf den Weg bringen. Im Bund, in den Ländern und in den Kommunen ist die Finanzlage extrem angespannt. Und Deutschland hat keine Antwort auf die Frage, wie Zukunfts- und Klimainvestitionen finanziert werden können. Darauf wird es aber eine Antwort geben müssen. Deshalb wird es nach der Bundestagswahl eine Reform der Schuldenbremse geben.

Sie sind 65 Jahre alt. Die Zeiten, in denen Sie als Finanzministerin mit hohen Steuereinnahmen Politik aktiv gestalten konnten, scheinen vorbei. Wie lange wollen Sie sich der wenig erfreulichen Aufgabe einer Sparkommissarin noch stellen?

Hinter uns liegen Jahre der Haushaltskonsolidierung. Dann kamen 2015/2016 viele Flüchtlinge zu uns. Gemeinsam mit Hamburg haben wir die HSH Nordbank verkauft. Dann kamen Corona, der russische Angriffskrieg und schließlich die Jahrhundertsturmflut. Da war und ist viel zu tun, aber ich mache den Job ausgesprochen gerne. Es ist ein Privileg mitgestalten zu dürfen.

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