Kiel. Schleswig-Holsteins Innenministerin stellt Kriminalstatistik vor. Neun Menschen bei Messerangriffen getötet. Warnung vor Schockanrufen.

  • Mehr als jede fünfte Straftat in Schleswig-Holstein wurde 2023 von Menschen verübt, die jünger als 21 Jahre sind.
  • Die Straftaten aus der Gruppe der Kinder (unter 14 Jahre) liegen in Schleswig-Holstein auf Zehnjahreshoch.
  • Die Polizei hat in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr 1057 Messerangriffe erfasst. Das entspricht einem Anstieg um 16,3 Prozent oder 148 Fällen.

Die Zahl der jungen Menschen in Schleswig-Holstein sinkt, gleichzeitig steigt aber die Zahl der Straftaten, die auf das Konto von Unter-21-Jährigen im nördlichsten Bundesland gehen. Auf diese „besorgniserregende Entwicklung“ wies Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) am Donnerstag hin, als sie in Kiel die Kriminalstatistik für das vergangene Jahr vorstellte. Mehr als jede fünfte Straftat im Norden wurde 2023 von Menschen verübt, die jünger sind als 21 Jahre.

Die Polizei registriert in allen drei Altersgruppen unter 21 einen Anstieg: Bei den Kindern unter 14, bei den Jugendlichen bis 18 und den sogenannten Heranwachsenden (unter 21). Die Straftaten aus der Gruppe der Kinder liegen sogar auf Zehnjahreshoch. Kinder, also Jungen und Mädchen unter 14, begehen inzwischen fünf Prozent aller Straftaten in Schleswig-Holstein. Die Zahl ist um fast zehn Prozent oder 326 Fälle auf 3722 Tatverdächtige gestiegen. Dazu muss man wissen: Ein Kind kann juristisch nicht belangt werden. Erst mit 14 werden Jungen und Mädchen strafmündig.

Polizei Schleswig-Holstein: Jugendgewalt - die Zahlen sind alarmierend

Die Fälle von Jugendgewalt im Norden sind alarmierend: Anfang dieser Woche war ein Fall öffentlich geworden, bei dem ein Zwölfjähriger in Uetersen einen Gleichaltrigen geschlagen, gewürgt und gedemütigt hat. Filmaufnahmen der Misshandlung landeten postwendend im Internet. 80 Kilometer nördlich von Uetersen, in Heide, ist eine etwa zehnköpfige Gruppe von Kindern und Jugendlichen allein in den vergangenen Wochen gleich für mehrere Straftaten (Raub, Beleidigung, Körperverletzung) verantwortlich. Auch hier können einige der Täter nicht zur Verantwortung gezogen werden – weil sie zu jung sind.

Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack stellte die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2023 am Donnerstag in Kiel vor.
Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack stellte die Polizeiliche Kriminalstatistik für 2023 am Donnerstag in Kiel vor. © BREUEL-BILD/CNTV | BREUEL-BILD/CNTV

In der Gruppe der Jugendlichen (14 bis einschließlich 17) ist die Zahl der Verdächtigen um 645 oder fast zehn Prozent auf 7209 gestiegen, in der Gruppe der Heranwachsenden waren es 241 Tatverdächtige mehr. Innenministerium und Polizei erklären sich den „deutlichen Anstieg mit einem Nachholeffekt im Anschluss an die Corona-Jahre, in denen die Mobilität und die Teilnahme am sozialen Leben von Kindern und Jugendlichen massiv eingeschränkt waren.“ Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack kündigte „gründliche Untersuchungen und sinnvolle Gegenmaßnahmen an, um diese bedauerliche Entwicklung aufzuhalten“.

FDP-Politiker fordert direktere Ansprache der Täter

FDP-Innenexperte Bernd Buchholz bereitet der Anstieg der Straftaten in der Gruppe der jungen Leute „große Sorge. Wenn schon Kinder und Jugendliche kriminell werden, dann ist das eine Entwicklung, die dringend aufgehalten werden muss.“ Buchholz fordert eine direktere Ansprache. „Man muss gerade den sehr jungen Tätern deutlich machen, dass ihre Taten Folgen haben, auch wenn sie die Strafmündigkeit noch nicht erreicht haben.“

Neben dem Phänomen steigender Jugendkriminalität ging die CDU-Politikerin Sütterlin-Waack auch auf das „Phänomen Messerangriff“ ein. Unter diesem Begriff werden alle Straftaten zusammengefasst, bei denen mit einem Messer gedroht oder zugestochen wurde. Die Polizei hat in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr 1057 Messerangriffe erfasst. Das entspricht einem Anstieg um 16,3 Prozent oder 148 Fällen. Knapp 60 Prozent der Verdächtigen sind Deutsche, entsprechend haben rund 40 eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit.

Brokstedt – Zwei junge Menschen in Regionalbahn erstochen

Ann-Marie und Danny – so heißen zwei der neun Messertoten im Jahr 2023. Ein staatenloser Palästinenser hatte die 17-Jährige und ihren 19 Jahre alten Freund heimtückisch in der Regionalbahn von Neumünster nach Hamburg in Brokstedt angegriffen und erstochen. Ibrahim A., so heißt der Mann, der sich aktuell vor dem Landgericht Itzehoe verantworten muss, hat bei der Bluttat mit einem Küchenmesser vier weitere Fahrgäste lebensgefährlich verletzt und zum Teil lebenslang entstellt. Ein Opfer des Messerangreifers hat sich vergangenes Jahr das Leben genommen.

„Die Entwicklung beim ,Phänomen Messerangriff’ dürfen wir nicht hinnehmen. Messer und andere Waffen haben in der Öffentlichkeit nichts verloren“, sagt SPD-Innenexperte Niclas Dürbrook. Er fordert individuelle Waffenverbote für Menschen, von denen potenziell Gefahr ausgehe. „Es ist völlig inakzeptabel, dass das Mitführen von Messern bei einigen das neue Normal ist.“

Knapp 30 Prozent aller Straftaten schreibt die Polizei nichtdeutschen Verdächtigen zu – wenn man die Vergehen herausrechnet, die nur Ausländer begehen können („ausländerrechtliche Verstöße“). Die Statistik (PKS) rechnet Zugewanderten 2601 sogenannte Rohheitsdelikte zu, 2318 Diebstähle und 1849 Ladendiebstähle. Von den insgesamt 6867 ausländischen Tatverdächtigen kommen 1416 aus Syrien, 1092 aus der Ukraine, 837 aus Afghanistan und 589 aus dem Irak.

Polizei Schleswig-Holstein: Mehr als 27.000 Schockanrufe in einem Jahr

Insgesamt weist die PKS im Vergleich zum Jahr 2022 deutlich weniger Fälle aus. Die Gesamtzahl der Straftaten sank um 25.000 auf unter 200.000. Allerdings geht dieser starke Rückgang auf ein einziges großes Betrugsverfahren aus dem Jahr 2022 zurück, so Sütterlin-Waack. Hier waren 33.738 Menschen von einer Dating-Plattform um 17,7 Millionen Euro abgezockt worden. Rechnet man dieses besondere Verfahren aus den 2022er-Zahlen heraus, ist die Zahl der Straftaten 2023 im Vergleich nicht gesunken, sondern gestiegen.

Noch einige Zahlen aus der PKS: Die fast 72.000 Diebstähle (plus sieben Prozent) machen mit 36,6 Prozent den größten Anteil an der Gesamtkriminalität aus. Den Anstieg erklärte Rolfpeter Ott, Leitender Kriminaldirektor im LKA, im Wesentlichen mit dem Anstieg der „Lebenshaltungskosten sowie der Knappheit von Ressourcen und Waren, auch als mittelbare Folgen der Ukraine-Krise.“

Ott warnte vor Schockanrufen durch falsche Polizeibeamte. Hier suchten sich Täter - meist aus dem Ausland - gezielt Senioren, um sie um ihr Erspartes zu bringen. In der PKS für 2023 sind 27.518 solcher Fälle erfasst. Das sind noch einmal zehn Prozent mehr als im Jahr zuvor. Rolfpeter Ott: „Achten Sie auf sich selbst und ihre älteren Angehörigen, damit Sie nicht auf diese Anrufe hereinfallen. Die Polizei holt kein Bargeld in Plastiktüten an der Haustür ab!“

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Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack bedankte sich „ausdrücklich bei allen Polizistinnen und Polizisten, die zur Aufklärung dieser Straftaten beigetragen, akribisch ermittelt und geschickte Vernehmungen durchgeführt haben. Bei ihrer Arbeit riskieren sie leider häufig selbst ihre Gesundheit. Sie verdienen unseren Respekt und unsere Unterstützung“, so die Ministerin.