Kiel. Schleswig-Holsteins Innenministerin Sütterlin-Waack warnt: Laut Verfassungsschutzberichtes nimmt politisch motivierte Kriminalität zu.

Der Verfassungsschutz ist alarmiert. „Die rechtsextremistische Szene verlagert sich zunehmend von der realen in die virtuelle Welt“, sagte die schleswig-holsteinische Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) am Donnerstag bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes für das Jahr 2021. Das werde aufgrund des Trends zur Nutzung verschlüsselter Kommunikationsdienste weiter zunehmen.

Das Problem: Was verschlüsselt besprochen wird, bekommen die Sicherheitsbehörden erst einmal nicht mit. Der Verfassungsschutz warnt zudem, dass Rechtsextremisten im Internet als „vermeintlich rechtsfreiem Raum rassistische und antisemitische Ressentiments“ ungehemmt auslebten. Der Nachrichtendienst regis­trierte 2021 insgesamt 1414 Fälle politisch motivierter Kriminalität – das sind 36,9 Prozent mehr als 2020.

Hamburger Abendblatt: Frau Sütterlin-Waack, ist das Internet ein rechtsfreier Raum?

Sabine Sütterlin-Waack: Nein, natürlich nicht. Die Strafgesetze gelten genauso im Internet wie in der analogen Welt. Straftaten sind aber oft schwieriger zu verfolgen.

Cyber-Kriminalität: Hunderschaft gegen Hetze im Netz

Ihr Verfassungsschutz warnt, dass im Netz „rassistische und antisemitische Ressentiments ungehemmt ausgelebt werden“. Kann die Landesregierung nicht mehr gegen die Verbreitung von Hass und Hetze im Netz tun?

Sütterlin-Waack: Ich möchte nicht von Systemimmanenz sprechen, das wäre zu viel. Aber die Bekämpfung ist schwierig. Deshalb müssen wir die Verfolgung im Netz noch verstärken, und bringen mit der neuen Cyberhundertschaft mehr speziell ausgebildete Polizeibeamte in diesem Bereich zum Einsatz. Das sind Vollzugsbeamte und IT-Spezialisten. Darüber hinaus haben wir den Landesaktionsplan gegen Rassismus aufgelegt.

Im Verfassungsschutzbericht heißt es auch, dass das Internet das Entstehen von Gegenkulturen erheblich erleichtere. Dass es leicht sei, Verschwörungserzählungen und Falschinformationen zu verbreiten. Und dass sich durch das Netz Radikalisierungsprozesse beschleunigten ...

Sütterlin-Waack: Ein Beispiel ist die Delegitimiererszene. Sie entstand in der Corona-Pandemie. Diese Szene stellt unseren Rechtsstaat infrage. Wir haben in Schleswig-Holstein sehr früh auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht und einige Fälle aufgedeckt, in denen sich Extremisten vernetzt und dieser Szene bedient haben.

Gefahr der zunehmenden Distanz zum Rechtsstaat

Sehen Sie in dieser Entwicklung bereits eine große Gefahr für die freiheitlich demokratische Rechtsordnung?

Sütterlin-Waack: Eine wirklich große Gefahr sehe ich noch nicht. Aber wir müssen aufpassen. Ich habe in der Pandemie Menschen kennengelernt, die teils auch aus Verzweiflung gesagt haben, dass unser Rechtsstaat nicht mehr die Staatsform sei, in der sie leben möchten. Wir müssen aufpassen, dass es nicht noch mehr werden, die so denken.

Wo lernt eine Innenministerin solche Leute kennen?

Sütterlin-Waack: Im Wahlkampf bin ich auf Menschen getroffen, die alles für falsch halten, was wir in der Zeit der Pandemie gemacht haben. Und das haben sie mir auch klar gesagt. Aus dieser Ablehnung erwächst, vorsichtig ausgedrückt, eine Distanz zum Rechtsstaat.

Es gibt den Begriff der „Verbitterungsmilieus“, in denen man sich abgehängt fühlt. Sind solche Menschen besonders anfällig für Verachtung oder Hass?

Sütterlin-Waack: Der Schritt ist vorstellbar, wenn man sich nicht wahrgenommen oder wertgeschätzt fühlt. Vielleicht haben wir diese Menschen in der Pandemie nicht gut genug mitgenommen und ihnen unsere Politik nicht gut genug erklärt. Oder wir haben nicht ausreichend auf deren Argumente geachtet und sind nicht auf sie eingegangen. Vielleicht haben manche dieser Menschen in der Folge dann Hassmails geschrieben. Das kann ich mir vorstellen.

Überzeugungsarbeit für Identifikationspflicht

Hass und Hetze im Internet sorgen für einen Nährboden, in dem sich Menschen weiter radikalisieren. Diese Entwicklung hat sich durch die Pandemie nochmals verstärkt. Was kann die Politik dem entgegensetzen?

Sütterlin-Waack: In der Pandemie haben wir Freiheitsrechte vorübergehend einschränken müssen, um sie grundsätzlich zu erhalten. Das muss man Kritikern immer wieder erklären, diese Diskussionen müssen wir führen. Zudem sollten wir auf die großen Vorteile und Errungenschaften unseres Rechtsstaates hinweisen.

Die Demokratie der vergangenen mehr als 75 Jahre ist die beste Staatsform, die wir je hatten. Wir müssen die Leute daran erinnern, dass sie froh sein können, bei uns ihre Meinung frei äußern zu dürfen, selbst wenn sie noch so abwegig erscheint. Diese Meinungsfreiheit müssen diese Menschen aber auch allen anderen zubilligen und deren Würde achten.

Auf der jüngsten Innenministerkonferenz Anfang Juni in Bayern haben Sie grundsätzlich beschlossen, dass sich User mit ihren IP-Adressen bei ihren Telekommunikationsanbietern registrieren müssen. Durch diese Identifikationspflicht ließe sich nicht nur Hass und Hetze besser verfolgen, sondern auch die Verbreitung von Kinderpornografie im Netz besser bekämpfen. Wann kommt das denn?

Sütterlin-Waack: Ich kann Ihnen keinen Zeitpunkt nennen. Dieser einstimmig gefasste Beschluss der Länderminister ist wie jeder andere Beschluss eine Empfehlung. Wir sind ja kein Gesetzgebungsorgan. Die Innenministerkonferenz kann deshalb nur Anregungen geben. Deshalb müssen wir jetzt Überzeugungsarbeit leisten.

Aber es wäre eine Maßnahme, die Sie als Innenministerin von Schleswig-Holstein begrüßen würden, weil sie die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden erleichtern würde?

Sütterlin-Waack: Natürlich. Das weiß ich auch von der Polizei.

Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben im Kampf gegen den Hass im Netz zentrale Anlaufstellen geschaffen. Was unternimmt Schleswig-Holstein?

Sütterlin-Waack: Wir haben den bereits erwähnten Landesaktionsplan gegen Rassismus aufgelegt. Darin ist einer der wichtigsten Punkte die Einrichtung einer Zentralstelle zur Bekämpfung der Hasskriminalität im Internet. Die kommt auf jeden Fall. Und bei der schleswig-holsteinischen Generalstaatsanwaltschaft wurde bereits eine solche Stelle eingerichtet.