Kiel. Wut und Gewalt gegen Öko-Partei nimmt zu. Lasse Petersdotter, Fraktionschef im Kieler Landtag, über Konsequenzen im Land und in Berlin.

Ihre Veranstaltungen werden gestört. Mit Trillerpfeifen, Pöbeleien und auch mit Steinwürfen. Sie tagen unter Polizeischutz, müssen öffentliche Auftritte absagen, werden körperlich angegriffen. Die Grünen sind zu DEM Feindbild von Unzufriedenen, Enttäuschten und Demokratiefeinden geworden. Frust über die Politik der Ampel-Koalition wandelt sich zunehmend in Wut auf und Gewalt gegen grüne Politiker, wie zuletzt in Biberach, Magdeburg, aber auch in Ansätzen in Bad Segeberg.

Das drastische Auseinanderklaffen und die zunehmende Radikalisierung eines Teils der Gesellschaft macht sich auch an diesen Zahlen fest: Unter den Opfern der 2790 Angriffe auf Politiker im vergangenen Jahr waren 1219 Grüne. 224-mal wurden 2023 Abgeordnetenbüros oder Parteizentralen der Grünen attackiert. Auch hier lagen sie weit vor allen anderen Parteien. Nur: Was heißt das für die Grünen? Wie gehen sie damit um?

Die Grünen – Angriffe auf Politiker mehren sich: „Ein Stück weit schockiert“

Lasse Petersdotter, der grüne Fraktionschef im Schleswig-Holsteinischen Landtag, spricht von einer „neuen Qualität“ des Protestes, der sich beim aus Sicherheitsgründen abgesagten politischen Aschermittwoch in Biberach, am Fähranleger von Schlüttsiel oder beim Auftritt von Parteichefin Ricarda Lang in Magdeburg gezeigt habe. „Das hat uns ein Stück weit schockiert“, sagt der Grüne im Gespräch mit dem Abendblatt. Man lasse sich aber nicht von den Zielen abbringen, auch wenn die Angriffe intensiver und deutlich mehr geworden seien.

Der Protest rühre aus einer generellen Unzufriedenheit mit der Politik, sagt Petersdotter. „Im aktuellen ,Deutschlandtrend‘ wird die fehlende Akzeptanz der Politik und die unterstellte Abgehobenheit von Politikern als zweithäufigster Grund genannt, wenn es um die Gefährdung der Demokratie geht. Das müssen wir als Politikerinnen und als Politiker sehr ernst nehmen, weil das unsere Arbeit infrage stellt. Wir müssen Vertrauen zurückgewinnen.“

Grünen Fraktionschef: Veränderungsdruck löst Verlustängste und Verunsicherung aus

Petersdotter spricht von einem durch Krisen und Klimawandel ausgelösten Veränderungsdruck, der bei vielen Menschen Verlustängste und Verunsicherung auslöse. „Das führt bei einigen zu einem radikaleren Widerspruch als nur dem bloßen Protest.“ Und so unterscheidet Petersdotter zwischen einem breiten, aber friedlichen Widerspruch und „kleinen, radikalen Gruppen, die versuchen, in der generellen Unzufriedenheit mitzuschwimmen, um dann aus diesen Gruppen auszubrechen und gezielt zu stören. Diese kleinen Gruppen machen gerade große Schwierigkeiten.“ So haben die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg bei den Ausschreitungen in Biberach Angehörige der Reichsbürger- und Querdenkerszene unter den Demonstranten ausgemacht.

Petersdotter fordert von den Sicherheitsbehörden, diese radikale Szene im Blick zu haben. „Wir dürfen nicht blind sein gegenüber dem, was die neue Rechte rund um die identitäre Bewegung oder die junge Alternative in den letzten Jahren aufgebaut hat. Wir müssen deren ideologisches Fundament und deren Strukturen erkennen und verstehen. Und dann muss gegen diese rechtsextremen Strukturen sicherheitspolitisch vorgegangen werden.“ Petersdotter fordert zudem, die Treffen der rechtsextremen Szene zu beobachten, Finanzströme zu verfolgen und Einzelpersonen gegebenenfalls zur Verantwortung zu ziehen.

Fraktionschef der Grünen: AfD-Verbot prüfen und Verfahren extrem gut vorbereiten

Der Fraktionschef der Grünen im Kieler Landtag setzt sich dafür ein, ein AfD-Verbotsverfahren zu prüfen. „Solche Verfahren brauchen aber Jahre und helfen kurzfristig nicht weiter. Außerdem muss ein entsprechendes Verfahren extrem gut vorbereitet sein, gegen Rechtsextremisten sollte man vor Gericht nicht verlieren.“

Kurzfristig wirbt Petersdotter für einen deutlich anderen Umgang der Ampel-Koalition miteinander. Um den gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder zu stärken, brauche es „Politiker, die das Format haben, der Versuchung zu widerstehen, durch Spaltung schnellen Applaus zu bekommen. In die Kritik nehme ich alle rein, auch uns, auch wenn das Problem bei anderen größer ist. Dieser Versuchung muss man als Politiker widerstehen können, und das fällt der politischen Kultur in Berlin schwer.“

Was die „Ampel“ jetzt leisten muss

In der Ampel-Koalition seien sehr unterschiedliche Positionen vereint. Das habe aber auch Vorteile, sagt Petersdotter: „Dass FDP, SPD und Grünen unterschiedlichste Positionen vertreten, kann mit Blick auf eine in vielen Teilen gespaltene Gesellschaft eine extreme Stärke sein. Denn die Ampel kann die unterschiedlichen Blicke auf ein politisches Thema im politischen Raum abbilden – wenn sie diese Perspektiven vorher auf Arbeitsebene einbringt, dann zu Kompromissen kommt und diese schließlich aushält.“ Das sei eine Stärke der Jamaika-Koalition in Schleswig-Holstein gewesen, das sei auch aktuell bei Schwarz-Grün so. „Wir sind uns in der Sache in den wenigsten Dingen einig. Wir kommen aber bisher bei jedem Punkt zu einem Kompromiss. Das sollte der Geist einer Ampel-Koalition sein“, fordert der Nord-Grüne.

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Mit ihren hohen Forderungen nach Veränderungen überforderten die Grünen viele Menschen – teilweise auch sich selbst. „Wenn wir von Maßnahmen, die wir als Grüne in der Regierung durchsetzen, danach selbst so überrascht sind, obwohl sie seit Jahrzehnten in unserem Programm stehen, ist das kein gutes Zeichen. Ein Beispiel ist die Abschaffung des Agrardiesels und die Kfz-Steuer-Befreiung von Landmaschinen. Das haben wir lange gefordert, danach waren wir trotzdem überrascht und irgendwie dagegen.“