Kiel. Sozialministerin Touré stellt Evaluationsbericht vor: Die Situation hat sich in den vergangenen fünf Jahren deutlich gebessert. Aber ...

Es fehlt an Kitaplätzen, an Erzieherinnen und Erziehern, es fehlt an Geld, die Bürokratie ist zu hoch, die Flexibilität zu gering. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler bei einer Art Inventur („Evaluation“) der Kindertagesbetreuung in Schleswig-Holstein. Demnach hat sich die Situation in den vergangenen fünf Jahren klar verbessert, aber die Finanzierung ist immer noch nicht „vollauskömmlich“, der gesetzlich vorgeschriebene Betreuungsschlüssel wird nicht durchgängig erreicht, das Kitagesetz ist „zu weit weg von der Praxis“, und beim Personal „knirscht es“.

Das sagte Sozialministerin Aminata Touré, als sie am Mittwoch den gut 500-seitigen „Evaluationsbericht zum Kindertagesförderungsgesetz (KITaG) vorstellte. Höhere Kitabeiträge – noch sind sie gedeckelt – schloss die Politikerin der Grünen als Konsequenz nicht aus. Der Bericht wird in den nächsten Monaten erst einmal in neun verschiedenen Arbeitsgruppen ausgewertet. Dann wird die schwarz-grüne Landesregierung Konsequenzen ziehen, schließlich wird der Landtag darüber abstimmen.

Kitas fehlt Geld: 1,5 Milliarden Euro für die Kinderbetreuung in Schleswig-Holstein

Aktuell fließen jedes Jahr in Schleswig-Holstein gut 1,5 Milliarden Euro in das Kinder-Betreuungssystem. 43 Prozent zahlt laut Gesetz das Land (700 Millionen Euro), 37 Prozent finanzieren die Gemeinden (550 Millionen Euro) und 20 Prozent die Eltern (300 Millionen Euro) über Beiträge, die seit der Kitareform bei rund 230 Euro pro Kind gedeckelt sind. Zum Vergleich: Vor zehn Jahren lag der Anteil des Landes noch bei 145 Millionen Euro, ein Kitaplatz kostete Eltern damals bis zu 800 Euro. Die Zahl der Menschen, die in Kitas oder als Tageseltern arbeiten, ist innerhalb von zehn Jahren von 17.000 auf 25.000 gestiegen.

Diese Zahlen zeigen: Seit der Kitareform unter der Jamaika-Regierung (2017 bis 2022) hat sich die Situation deutlich verbessert. So werden heute rund 125.000 Kinder betreut, 2014 waren es 105.000. Aber: Laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung vom November 2023 fehlen in Schleswig-Holstein immer noch 15.600 Kitaplätze im Norden – eine Zahl, der die Landesregierung nicht widerspricht.

Kitas im Norden fehlt Geld: Was ist zuletzt passiert?

An den Kitas im Norden wurde zuletzt der Quereinstieg erleichtert, mit den „Helfenden Händen“ wurden zudem Hilfskräfte in den Gruppenalltag integriert. Nur: Das reicht nicht aus, es fehlen Fachkräfte. Die Folge: Kitas müssen vorübergehend schließen oder ihre Öffnungszeiten einschränken. So kritisiert der Wirtschaftsverband „Die Familienunternehmer“, dass „die miserable Betreuungssituation an Kindergärten und Schulen die Wirtschaft massiv schädigt“.

In einer verbandsinternen Umfrage beklagen 90 Prozent der schleswig-holsteinischen Firmenchefs die Verlässlichkeit der Kitas. Rüdiger Behn, Landesvorsitzender der Familienunternehmer: „Ausfälle in der Kita-Betreuung spüren wir in den Unternehmen jeden Tag. Es ist mittlerweile so schlimm, dass die mangelhafte Betreuungssituation Eltern vom Arbeitsmarkt fernhält.“ Auch für die Eltern sei die Situation unbefriedigend: Sie müssten kurzfristig umplanen, was oft zu höherer Belastung und Stress führe. Das recht starre schleswig-holsteinische Kitagesetz schreibt einen Personalschlüssel von zwei Fachkräften pro Gruppe und eine Obergrenze von 20 Kindern vor. Durch Putins Überfall auf die Ukraine und die Flucht vieler Mütter mit Kindern nach Deutschland kann die Obergrenze auf 25 Kinder pro Gruppe angehoben werden.

Müssen Eltern in Schleswig-Holstein mehr bezahlen? Wie es jetzt weitergeht

Um, wie Sozialministerin Touré sagt, die Kinderbetreuung im Norden anders als heute künftig „vollauskömmlich“ zu finanzieren, müssen die neun Arbeitsgruppen in den kommenden Monaten mehrere unpopuläre Maßnahmen diskutieren: Land und/oder Kommunen könnten mehr Geld in das System geben. Nur: Das Land Schleswig-Holstein ist bettelarm und hoch verschuldet. Alternativ könnte die Obergrenze von Gruppen angehoben oder der Betreuungsschlüssel (zwei Erzieher pro Gruppe) gesenkt werden. Letzte denkbare Variante: Die Eltern müssen mehr für die Betreuung zahlen, was Frau Touré – wie alle anderen Maßnahmen auch – nicht ausschließt.

Gegen diese Variante regt sich schon jetzt politischer Widerstand. „Wir können nicht auf dem Rücken der Eltern und Kinder Sparmaßnahmen auf den Weg bringen“, sagte SPD-Chefin Serpil Midyatli. Das Land drohe sich zum familienfeindlichsten Bundesland zu entwickeln. Die SPD nennt den Evaluationsbericht der Sozialministerin einen „Offenbarungseid“ und fordert: „Es muss mehr Geld ins System!“

FDP lehnt „Vermögensabgabe auf Kinder ab“

Tourés Amtsvorgänger Heiner Garg (FDP) kündigt „erbitterten Widerstand“ an, sollte die Landesregierung die Kitagebühren erhöhen wollen. Die FDP werde weder Gebührenerhöhungen für jedermann akzeptieren noch einkommensabhängige Elternbeiträge. „Eine Vermögensabgabe auf Kinder lehnen wir ab“, sagt Garg. Stattdessen wirbt der ehemalige Sozialminister für die Idee einer beitragsfreien Kita, die man schon mit der Kitareform perspektivisch angepeilt habe. Statt die Eltern stärker zu belasten, sollte die Sozialministerin die Mehrkosten aus ihrem Etat finanzieren, verweist Garg auf Rücklagen im Landeshaushalt.

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Die grüne Sozialministerin spricht von einem „gut funktionierenden Kitasystem in Schleswig-Holstein mit Verbesserungspotenzial“. Sie kündigte an, bei der jetzt anstehenden Überarbeitung des Kitagesetzes die Verlässlichkeit in der Betreuung zu verbessern, die Fachkräfte zu stärken, mehr Flexibilität zu ermöglichen und eine „faire Aufteilung der Finanzierung unter allen Beteiligten“ hinzubekommen.